«Das gute Leben für alle»tun & lassen

«Besteuert mich endlich!» – mit dieser Aufforderung sorgt Marlene Engelhorn für Aufsehen. Die Österreicherin wird einen zweistelligen Millionenbetrag erben. Sie findet, der Gesellschaft gebührt ein Anteil davon. Warum Spenden nicht die (einzige) Lösung ist und was das mit Demokratie zu tun hat, erzählt sie im Interview.

INTERVIEW: RUTH WEISMANN
FOTO: JANA MADZIGON

Sie sind aus einem bestimmten Grund an die Öffentlichkeit getreten: Sie werden vermutlich viel Geld erben.
Marlene Engelhorn: Ja, ich möchte zeigen, mein persönliches Problem ist eigentlich ein öffentliches.

Warum ist Ihr privates Erbe ein öffentliches Problem?
Geld ist eine öffentliche Ressource. Überreiche Menschen haben zu viel davon zur Verfügung und können damit ihre privaten Interessen über die öffentlichen stellen. In einer Demokratie sollte so ein Machtungleichgewicht nicht existieren. Natürlich muss nicht jede überreiche Person in die Öffentlichkeit treten. Trotzdem finde ich es nicht in Ordnung zu sagen: Ich möchte den Überreichtum für mich reklamieren, aber dazu jeden Komfort, Diskretion sowie auch Intransparenz für mich beanspruchen. Ich glaube, dass dieser Diskurs wichtig ist, und es scheint so, als würde mir unglaublich viel Gehör geschenkt. Da habe ich einen privilegierten Zugang, und zwar nur, weil ich vermögend bin. Ich habe aber keine Expertise, ich habe einen demokratiepolitischen Zwick im Schuh.

Worum geht es bei diesem «demokratiepolitischen Zwick im Schuh»?
Die öffentliche Finanzierungsmethode einer Demokratie ist die Steuer. Es kann nicht sein, dass es Menschen gibt, die nur vom System profitieren. Die nichts einzahlen auf den Profit, den sie machen, und dafür von der Arbeit aller anderen ausgehen. Ein Prozent der Bevölkerung braucht 99 Prozent der Bevölkerung, um dieses eine Prozent zu sein, will dann aber nichts zurückgeben. Gleichzeitig entwickelt sich aufgrund dieses Vermögens eine riesige Macht. Nicht nur Medienzugang, sondern grundsätzlich strukturelle Macht. Damit geht in der Regel strukturelle Unterdrückung einher. Und in einer Demokratie haben wir uns eigentlich dagegen entschieden, dass das so läuft.
Sie treten für die Einführung von Vermögenssteuern ein – und sind damit nicht alleine.
Genau. Ich habe mich mit anderen Vermögenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengeschlossen. Wir haben die Initiative taxmenow ins Leben gerufen, inzwischen sind wir ein eingetragener Verein, jeder Mensch kann bei uns Mitglied werden. Wir fordern die Wiedereinführung der Vermögenssteuer in Österreich und Deutschland. In Deutschland gibt es auch diese furchtbaren Ausnahmen im Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht. In Österreich fordern wir die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer und eine Kapital­ertragssteuer, die vergleichbar ist mit der Art und Weise, wie Arbeit besteuert wird. Man kann nicht einerseits behaupten, das eigene Geld arbeitet für einen, und andererseits keine Steuer auf diese Arbeit zahlen. Oder man ist ehrlich und gibt zu, dass Geld nicht arbeiten kann. Sondern, dass Menschen arbeiten und man Anteile an einem Unternehmen hat, in dem andere Menschen Gewinn erwirtschaften, den man aber selber, ohne einen Finger zu rühren, in die Tasche stecken kann. Und dann braucht es auch eine sinnvolle Ausstattung der Steuerbehörden, damit sie Betrug nachgehen können.

Sie meinen Steuerhinterziehung?
Ja. Es gibt Berechnungen für 2020, die zeigen, dass dem Bund in ­Summe 20 Millionen Euro wegen ­«Sozialbetrug» verloren gegangen sind. Da wird aber nicht unterschieden, ob jemand irgendwo mal ein bisschen mehr verdient hat und deswegen etwas zurückzahlen muss oder ob es um einen ­echten Betrugsfall geht. Gleichzeitig aber gingen Österreich wegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Steuerflucht im Jahr 2020 734 Millionen verloren. Wo muss die bürokratische Energie also hin? Nicht zu den Menschen, die Transferleistungen beziehen, die ihnen zustehen. Etwaige Betrugsfälle liegen sowieso bei Gericht und werden juristisch geklärt. Die bürokratische Energie muss unbedingt auf die Menschen gerichtet werden, die das System ausnutzen. Das sind nunmal reiche Menschen. Das ist die gefährlichste Randgesellschaft. Sie haben viel mehr Macht, sie haben die Mittel und sie bauen sich ihre Parallelgesellschaft auf. Sie sind nicht darauf aus, sich zu integrieren. Sie machen sich ihren privaten Schul- und Bildungsweg, privaten Gesundheitsweg, exklusive Clubs, sind nicht interessiert an irgendeiner Öffentlichkeit. Dieses private Sondermodell kann es nur geben, weil die Gesellschaft die gesamte Arbeit leistet und bezahlt.

Vermögenssteuern könnten Ihrer Meinung nach der Machtkonzentra­tion entgegenwirken?
Wir hatten solche Steuern schon, es ist ja nicht so, als würden wir das Rad neu erfinden. Zwei Drittel der Bevölkerung sind laut den jüngsten Erhebungen für eine Besteuerung von Vermögen. Über 60 Prozent sind für eine Besteuerung von Erbschaften. Es ist also nicht so, dass da ein Mangel an demokratischem Willen da wäre. Es ist ein Mangel an politischem Willen vorhanden, und das liegt daran, dass diese Politik sich strukturell so abhängig gemacht hat von überreichen Menschen, die sagen: Wenn ihr nicht macht, was ich möchte, dann streiche ich euch halt die Förderung. Man muss darauf achten: Was will eine Gesellschaft? Denn der Sinn von Politik ist die Organisierung von Gesellschaft. Wie können wir uns Regeln geben, damit wir das gemeinsam gebacken kriegen und wie können wir Macht so aufteilen, dass wir einander nicht übervorteilen? Deswegen gibt es die Gewaltenteilung. Was ist denn das Ziel einer Gesellschaft? In meinen Augen ist es das gute Leben für alle.

In der Debatte um Vermögenssteuern wird auch von Fairness gesprochen. Was bedeutet Fairness für Sie?
Das muss Gegenstand eines demokratischen Diskurses sein. Denn es ist eine politische Frage. Lassen wir Vermögen in den Händen von wenigen, lassen wir es intransparent, geben wir diese Macht ab? Oder sagen wir: Nein, es gibt die Steuerpolitik, die ein demokratisches Mittel der Umverteilung ist. Natürlich, da ist das Kind eigentlich schon im Brunnen, denn das müsste in der Primärverteilung bereits geklärt werden. Aber das ist eine andere Debatte.

Tragen Vermögende also so etwas wie eine gesellschaftliche Verantwortung?
Ich bin vorsichtig beim Verantwortungsbegriff, weil er oft euphemistisch verwendet wird, gerade von Reichen: «Wir haben ja eine Verantwortung …» Das ist Unfug. Ihr habt eine Vormachtstellung, die ihr euch nicht verdient habt, und das wollt ihr euch nicht eingestehen. Geld aus Geld zu machen, ist keine Kunst. Das ist ein Selbstläufer.

Sie sind auch bei der Guerrilla Foundation aktiv, wo es um Radical Philanthropy, also radikale Philanthropie geht. Was ist das?
Der Philanthropie-Sektor reproduziert und zementiert Machtverhältnisse. Man muss sich nur anschauen: Wer kann eine Stiftung gründen? Und wofür ist eine Stiftung gut? Meistens dafür, Vermögen vor der Steuer wegzupacken. Es gibt ein paar, die meinen es gut, aber oft ist gut gemeint nicht gut gemacht. Wer sitzt in den ­Gremien, wer hat das letzte Entscheidungsrecht? In der klassischen, traditionellen Philanthropie ist das der alte weiße Mann, in der etwas moderneren, schickeren Philanthropie ist es die alte, ­weiße Frau. In der Regel also alte, weiße, global nordwestlich angesiedelte Menschen, die Vermögen haben, von dem sie nicht verraten, wo es herkommt. Mein Lieblingsbeispiel ist entweder Bill Gates oder Jeff Bezos. Bezos hat diesen Earth Fund gegründet, mit zehn Milliarden Dollar. Wo kommt dieses Geld her? Kommt es aus Amazon-Aktien? Werden da strukturell Menschen und Umwelt vernichtet und ausgebeutet, damit diese zehn Milliarden dann angelegt werden? Es ist ja wieder angelegtes Geld und nicht mal transparent. Mit der Rendite muss man dann erst mal die Finanzverwaltung bezahlen. Das sind sehr gute Gehälter dafür, dass in den eh eigenen Aktien anlegt wird. Der Rest kommt in die Gemeinnützigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Art von Teufelskreis irgendein Problem löst, im Gegenteil. Es beschreibt das Problem, das wir haben: Dass immer dieselben in der Machtposition sind, dass die sich aussuchen können, was sie gut finden. Das ist ein PR-Gag. Menschen, die quasi nichts haben, die sogenannten unteren 90 Prozent, geben viel mehr. Radikale Philanthropie ist der Ansatz: Es gibt die Philanthropie und es gibt politischen Aktivismus, soziale Bewegungen, die sich bemühen, demokratisch, öffentlich, durch die Graswurzelgruppen, die sie gründen, am Diskurs teilzunehmen und Veränderung zu erwirken. Das sind vielfach Menschen, die von sozialen und ökologischen Problemen direkt betroffen sind. Wichtig bei der radikalen Philanthropie ist, zuzuhören: Was braucht ihr wirklich, damit ihr die Arbeit, die ihr macht, gut machen könnt, ohne dass ich eine Berichtspflicht auferlege, und ohne dass ich euch irgendwie dabei störe? Man muss verstehen, dass man mit Geld, das man abgibt, Macht abgibt. Man hat denen dann nichts zu erklären. Das passiert nämlich zu oft im Stiftungskontext. Diese Auseinandersetzung finde ich interessant, um die Philanthropie zu reformieren. Das Ziel der ­Philanthropie müsste aber ­eigentlich die eigene Abschaffung sein.

Sagen wir mal, Sie erben, aber die Vermögenssteuer ist noch nicht eingeführt. Was machen Sie dann?
Ich denke, ich erlebe das noch, dass sie eingeführt wird. Was ich mit dem Erbe sonst mache, das muss ich jetzt herausfinden. Ich arbeite darauf hin, besteuert zu werden, gleichzeitig tausche ich mich mit Menschen aus, die viel dazu wissen, um einen möglichst respektvollen Umgang damit zu finden. Aber es ist immer noch das Problem, dass überhaupt eine Einzelperson in diese Position kommt. Es kann nicht sein, dass ich jetzt aussuchen darf, was ich mit einem zweistelligen Millionenbetrag mache. Wie komme ich dazu? Niemand würde herumlaufen und sagen: Hier hast du einen zweistelligen Millionenbetrag, mach mal. In einer Unternehmensdynastie ist das aber plötzlich in Ordnung? Gleiche Rechte garantiert nur die Demokratie, nicht der Geldadel.

Marlene Engelhorn: Geld
Kremayr & Scheriau 2022
176 Seiten, 21 Euro

Erscheinungstermin:
26. September

Weitere Infos:
www.taxmenow.eu