In der Bleibeführer_in finden Neuangekommene Tipps & Tricks zum Leben in der Stadt
Frei nach dem Beispiel der Zürcher Gruppe «AntiKulti», die sich gegen ein vermarktbares Multikulti in der rausgeputzten Stadt und für Zugang zum Stadtraum unabhängig von Aufenthaltsstatus und Reisepass einsetzt, wurde in Wien die Bleibeführer_in entworfen. Eine handliche Broschüre, die Neuankömmlingen im oder außerhalb des Asylverfahrens hilfreiche Tipps für den Alltag gibt. Die Herausgeber und Autoren Clifford Erinmwionghae und Hansel Sato sprechen über Schwierigkeiten von Asylwerber_innen im Alltag und warum es wichtig war, dass Asylwerber_innen selbst die Broschüre erstellt haben.Wozu braucht es eigentlich diese Bleibeführer_in?
Clifford Erinmwionghae: Migranten erhalten oft falsche Informationen, wenn sie mit Privatleuten sprechen. Denn die wissen oft nicht darüber Bescheid, was es in der Gesellschaft für Angebote gibt, die Migranten zu unterstützen. Dies Führer_in gibt genau darüber einen Überblick darüber. Wenn ich sie früher gehabt hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich auf der Uni. Zugleich funktioniert sie wie ein Reiseführer, um sich in der Stadt fortzubewegen.
Hätten ÖsterreicherInnen die Führer_in geschrieben: Welche Informationen würden dann fehlen?
Clifford Erinmwionghae: Wenn sie gut recherchieren und mit den richtigen Leuten sprechen, wird nichts fehlen. Es gibt so viele Österreicher, die ganz tolle Arbeit machen, um Migranten zu unterstützen. Oft glaubt man, dass es für mich leichter ist, Personen anzusprechen, weil ich Schwarz bin. Doch Asylwerber haben vor jedem Angst, auch vor mir.
Hansel Sato: Es hat auch mit Self-Empowerment zu tun. Xiao Quin Lin war bei einer Podiumsdiskussion über die Bleibeführer_in. Dort hat sie selbst gesprochen und war damit kein Objekt mehr, sondern Subjekt. Das ist wichtig.
Wenn so viele Asylwerber_innen Angst haben, war es dann schwierig, zu den Autor_innen zu kommen?
Clifford Erinmwionghae: Illegalisierte, aber auch viele Asylwerber gehen kaum hinaus, gerade einmal um einkaufen zu gehen oder wenn sie unbedingt müssen, um etwas zu erledigen. Ansonsten bleiben sie zu Hause, weil sie Angst haben, kontrolliert und dann abgeschoben zu werden. Deshalb engagieren sie sich oft nicht oder gehen nicht auf Demos. Ich finde, das ist falsch. Man muss etwas tun, um seine Rechte zu bekommen.
Wenn man immer zu Hause ist, wie verbringt man dann eigentlich seine Tage?
Clifford Erinmwionghae (lacht gequält): Man hält sich an dem Gedanken fest, dass man lieber jetzt zu Hause bleibt, um eines Tages einen legalen Aufenthaltsstatus zu haben. Das macht es erträglicher. Aber es ist schwierig.
Was mich ärgert ist, wenn gesagt wird, dass Asylwerber auf Kosten der Steuerzahler hier sind. Wenn ich arbeite, zum Beispiel für die Caritas oder die Diakonie, geht auch ein Teil dieses Geldes zurück an den Staat. Ich will arbeiten und auch Steuern zahlen.
Hansel Sato: Aber man darf ja nur bestimmte Tätigkeiten machen, zum Beispiel Zeitung verkaufen, Prostitution oder Erntehilfe.
In der Bleibeführer_in gibt es Tipps, wie man sich richtig verhalten sollte, zum Beispiel dass man immer einen Fahrschein kaufen soll. Sollte man das nicht sowieso?
Clifford Erinmwionghae: Natürlich und die meisten tun das auch. Aber manche gehen das Risiko ein, weil sie einfach zu wenig Geld haben. 15 Prozent der Abschiebungen fangen so an, dass jemand keinen Fahrschein hatte.
Hansel Sato: Wir hatten die Idee, U-Bahn-Stationen aufzuzählen, in denen oft kontrolliert wird. Clifford hat dann mit einer Liste begonnen, die sehr schnell ziemlich lang geworden ist. Es waren ungefähr 30 Stationen. Wir haben uns dann dagegen entschieden, sie hineinzugeben, weil wir keine «No Go Areas» schaffen wollen.
Wie haben die Herausgeber_innen eigentlich zusammengefunden?
Hansel Sato: Die Idee für diese Führer_in kam von mir, weil ich den Züricher Bleibeführer kannte. Die WienWoche hat mich dann mit Clifford zusammengebracht.
Clifford Erinmwionghae: Als erstes habe ich Heime kontaktiert, in denen Asylwerber wohnen. Als diese nicht reagiert haben, bin ich einfach zu den Heimen hingegangen und habe direkt Leute angesprochen. So habe ich einen Teil der Autoren gefunden. Dann hat mich das Integrationshaus kontaktiert und über ihre Beratungsstelle habe ich die anderen gefunden.
Was war Ihre Motivation, bei der Broschüre mitzuarbeiten?
Clifford Erinmwionghae: Mit der Bleibeführer_in habe ich meinen Kampfgeist wiedergefunden.
Hansel Sato: Als ich nach Österreich gekommen bin, hätte ich mir gewünscht, all diese Informationen zu haben. Ich glaube, dass sie auch für viele Österreicher_innen interessant sind.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Österreicher_innen gemacht?
Clifford Erinmwionghae: Es ist schon anders als zu Hause. Denn dort grüßt man immer und ist freundlich. Hier würde man mich schief anschauen, wenn ich das machen würde.
Hansel Sato: Das Problem ist die Wahrnehmung. Manchmal sind die Menschen hier unfreundlich und Du fragst Dich: Sind sie Rassisten oder einfach nur unfreundlich? Manche Menschen sind einfach grundsätzlich unfreundlich.
Clifford Erinmwionghae: Aber zu Kindern ist man hier sehr freundlich, das habe ich mit meinen eigenen Kindern immer wieder festgestellt. Einmal hat sogar jemand zu mir gesagt: Die Kinder sind lieber als die Eltern. Doch was ist der Unterschied zwischen meinen Kindern und mir?
Interview: Sonja Fercher
Clifford ist aus Nigeria und kam im Jahr 2004 nach Österreich. Im Moment warten er und seine Erinmwionghae Familie darauf, ob ihr Antrag auf Bleiberecht akzeptiert wird. Hansel Sato ist Künstler aus Chile. Er kam im Jahr 1998 mit einem Unesco-Stipendium nach Wien, wo er an der Akademie der Bildenden Künste studiert hat. Gemeinsam mit sieben anderen Migrant_innen haben sie im Rahmen des Kulturprojekts WienWoche die Bleibeführer_in erstellt.