Musikarbeiter unterwegs … weltweit im Netz, lokal im Achten
Nostitz in der Piaristengasse den Verein 08 als vitalen kulturellen Umschlagplatz.
Als House Of Hearts begann er 2020 notgedrungen, aber unerschrocken, ein Streaming-Format.
Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang
«Wohnzimmer ist immer nur Illusion», hat das jüngere Musikarbeiter-Selbst vor über einem Vierteljahrhundert getextet. Angespeister Kommentar zu als unmäßigem Lob des privaten, häuslichen Glücks empfundenen Wortspenden befreundeter Protagonisten seiner Musik/Kultur-Szene. 2021 würde ich dringend den Begriff des um jeden Preis «offenen, streitlustigen Wohnzimmers» einführen wollen, scheint mir doch mit dem Ausweichen ins Streamen (als Medium ein alter Hut) die inhaltliche Beschränktheit und unpolitische Haltung so vieler Musiker_innen manifester denn je. Es braucht den immer wieder wundervollen Michael Köhlmeier, um kurz einen treffenden Reim in die kapital- und selbstverliebte Ignoranz zu schleudern, und die wenigstens ebenso brillante Marlene
Streeruwitz, um einen differenzierten Kommentar geistiger Widerstandskraft und Perspektive zu hören. Von und aus der Musik kriegen wir meist recht hübsche Übertragungen aus tatsächlichen und stellvertretenden «Wohnzimmern» geboten. So bieder und so brav, dass ich mich frage, ob ich einen hochdotiert ausgelobten Wettbewerb für die Operetten-Umsetzung des Lebens kurz so far übersehen habe, den alle gewinnen wollen, oder einen für das bunte Kreativ-Feelgood-Singspiel «Sigi und Werner», gern mit dezent weltmusikalischer Färbung, weil ja «grün». Wenn wenigstens maßlose Nabelschau betrieben werden würde, Entgrenzung in Verzweiflung oder Hoffnung, Wut, Resignation oder Aufbruch … nix. Aber vielleicht bedingt Corona zwingend eine Kulturlähmung, die mit den ausgesetzten Aufführungsformen die Inhalte und Kreativität anfällt.
Schritt für Schritt.
Alles andere als gelähmt ist Dominik Nostitz, bildender Künstler, Musiker und Netzwerker. Nach Jahren als Straßenmusiker fand dieser im Jahr 2000 in einer ehemaligen Töpferei in der Piaristengasse 60 eine Wiener Wirkungsstätte, die er als offenen kulturellen Raum zu gestalten begann, «in dem jeder und jede willkommen ist, das gilt auch für künstlerische Ausdrucksformen». Ob die formelle Vereinsgründung 2000 – «da hätten wir das 20-jährige Jubiläum übersehen» – oder 2002 war, weiß Dominik nicht genau, tatsächlich etablierte sich bald der Donnerstag als «Ereignistag», beginnend mit einem chinesischen Schubhäftling, der in seiner Sprache aus seinem Tagebuch vorlas, eine Bekannte übersetzte. Es gab Küche aus Namibia, einen geflüchteten russischen Tänzer, der hier an die lokale Tanzszene andockte und natürlich Musik in großer Vielfalt. Der Hauptraum – mit Klavier – und der kleine Barbereich haben etwas Einladendes und Inspirierendes, ein Gefühl von Möglichkeit, was diverse Projektlinien entstehen ließ. «Es ergab sich eine super Sammlung an Geschichten, das war genug Motivation weiterzumachen», sagt Nostitz, der sein Geld mit Musik und der Konzeption/Umsetzung von Kultur (meist) im öffentlichen Raum verdient. Mit dem Verein 08 hat er Zugang zu Straße (so wird die «Pianistengasse» ausgerichtet) und bespielbarem Innenraum, samt befruchtenden Wechselwirkungen, charmant von Straßenlaternen als Teil der Inneneinrichtung symbolisiert.
16 Sessions, 54 Artists, 23 Locations.
Mit dem Lockdown im März entstand unter Mitarbeit und Anstoß von Freund Mike, der über das technische Know-how verfügt, recht intuitiv ein gescheites Streaming-Format. Hier wurde – Corona-bedingt mit Abstand und alles – gespielt, und dann in die Welt gesendet, aber ebenso aus aller Welt zugeschaltet. Mike und Dominik hosteten dies jeweils donnerstags, hiesige Prime Time 20 Uhr. Was für Brian Lopez aus dem Umfeld von Giant Sand in Tucson hieß, um 9 Uhr Kaffee trinken, während in Paris schon der Wein am Tisch stand. The Angelcy aus Tel Aviv, deren Song Giant Heart ein Lieblingsstück Dominiks ist, machten auf Anfrage einfach mit. Geld war trotz prekärer Lage allerorten kein Thema. Umso schöner, dass via Förderung durchs Ministerium und den virtuellen Hut – «mal 50, 60 Euro, mal 5» – ungefragt jeweils 200 Euro überwiesen werden konnten. House Of Hearts – das Gewesene nachzusehen via Verein-08-Homepage – soll 2021 wieder passieren, gerade werden Plattformen ausgecheckt, um das Miteinanderspielen der Künstler_innen an den verschiedenen Orten zu ermöglichen. Think and stream locally and globally!
Verein 08
8., Piaristengasse 60
verein08.at