Das Herz des Kapitalismus zur Schau gestelltArtistin

Marina Grzinic im Augustin-Interview

Warum die jugoslawischen Feministinnen die nationalistische Kavallerie hinter sich ließen und warum kulturelle Praktiken zur Weltverbesserung noch keine Kunst sind. Die slowenische Videokünstlerin und Philosophin Marina Grzinic, die an der Wiener Akademie der bildenden Künste Post-Konzeptuelle Kunst unterrichtet, über die unerträglichen Leichtigkeit des Systems. Vor einiger Zeit kannte ich eine Frau, die ebenfalls Marina heißt. Sie lebte auf der Straße, nachdem ihr eine Fürsorgerin ihre Kinder weggenommen hatte. Wie würden Sie dieser Marina erklären, warum es wichtig ist, Zugang zu Kunst zu finden?



Zuerst einmal, ich würde mit dieser Marina nicht über Kunst sprechen. Denn ich würde mich mit ihr über die Möglichkeiten der realen sozialen und politischen Reaktion unterhalten und wie man Räume innerhalb des Systems finden kann was heutzutage sehr schwierig ist. Weil speziell das kapitalistische System, in dem wir leben, daran arbeitet, Menschen, die auf der Straße leben, los zu werden, sie zu aus dem Blickfeld zu entfernen, um die Städte sauber zu halten. Wenn wir heute über Kunst reden, tauchen eine Unmenge Fragen auf, ob nämlich Kunst, und speziell die Kunst, die mit dem kapitalistischen Kunstmarkt verbunden ist, noch eine Bedeutung beinhalten kann nicht im Sinne von künstlerischer Produktivität, sondern der Entwicklung von Wegen des Widerstandes, der Veränderung des kulturellen, sozialen und politischen Kontextes, auch auf utopische Art. So würde ich ihr sagen, falls irgendeine Kunst wichtig ist, dann vielleicht in solchen Praktiken, die nicht als Kunst erkannt werden. Das sind die neuen radikalen Formen zeitgenössischer Kunst. Man muss kulturelle Praktiken und Netzwerke aufbauen, die das, was im Arbeitsbereich vor sich geht, in Frage stellen, und herausfinden, wie das egoistische Selbstbild des Kapitalismus zu brechen ist, das immer nur von der unglaublichen Entdeckung von armen Leuten schwärmt, die der Kapitalismus zur Erfindung immer neuer Erscheinungsformen des Überlebens zwingt. Ich würde Marina sagen, dass sie über Praktiken nachdenken müsse, die diese unglaubliche Leichtigkeit des Systems, Obdachlose zu behandeln, verändern können und die Leichtigkeit des Systems auf den Kopf stellen, die sich nur mit der Zivilisation der Bilder der ersten und einzigen kapitalistischen Welt befasst.



Die feministische Künstlerin VALIE EXPORT, die gerade eine große Werkschau in der Sammlung Essl in Klosterneuburg zeigt, meinte einmal in einem Interview, dass Frauen aufhören sollten von imaginierter Macht zu träumen und lieber reale Macht erlangen sollten. Sie nannte als künstlerisches Beispiel die portugiesische Künstlerin Helena Almeida, die sich als schwarzer Körper verkleidet in einem schwarzen Raum präsentierte und diesen scheinbar leeren Raum zum Raum für Frauen erklärte. Beinhaltet dieser Raum nun Freiheit oder den Verlust der Identität und am Ende überhaupt keinen Platz für Frauen? EXPORT sagte, dieses Dilemma können wir nicht wirklich lösen. Kann die virtuelle Welt mit all ihren Möglichkeiten der Fantasie und der unerfüllten Wünsche Frauen darin unterstützen ihre eigenen Ziele zu erreichen?

Mein einer Zugang ist der, dass die Frage der Imagination sehr wichtig ist, aber es ist wahr und ich stimme EXPORT in diesem Punkt zu, dass die Imagination mit materiellen Formen zur Untergrabung des Systems verbunden werden muss. Das bedeutet, dass wir wirklich in diesem realen System Strukturen, die Veränderungen erlauben, schaffen müssen. Allein die Zirkulation von Ideen und Fantasien zu erlauben, ist nicht genug. Denn die dient nur der Projektion und die Verhältnisse bleiben gleich. Wenn wir nicht nur eine Sorte von altmodischen Linken sein wollen, müssen wir Änderungen herbeiführen, um die Möglichkeiten in der sozialen und politischen Welt zu realisieren. Es ist auch ein Problem, dass die Lage für Künstlerinnen und Frauen angeblich besser wird. Denn während wir auf einer bestimmten Ebene das Gefühl haben, dass Frauen präsenter und sichtbarer sind, entwickeln sich auf der anderen Seite Stereotypen und Formen der Versklavung und des Ausschlusses. Die Position der weißen Feministin oder Künstlerin, die ich bin, ist völlig unterschiedlich als die einer schwarzen Frau oder einer Arbeiterin oder Obdachlosen, oder einer ganz normalen Gastarbeiterin. Meine Position ist auch die, dass Identität alleine nicht ausreicht. Es ist eine Frage des Kampfes und der Macht, Systeme, Infrastrukturen und Denksysteme zu verändern. Also ist die Betrachtung der Verhältnisse, das Imaginieren, das Innovativ- und Kreativsein nicht genug. Das Problem ist, dass das System möchte, dass wir kreativ und sehr innovativ sind. Das kapitalistische System funktioniert mit der konstanten Produktion von neuen Formen der Produktivität. Das größte Problem ist wirklich das des Widerstandes.

Wenn du von einem anderen Teil der Welt kommst, solltest du ein exotisches Individuum sein

War das Werk von VALIE EXPORT wichtig für Sie?

Besonders EXPORTs historisches Werk ist von entscheidender Bedeutung, denn die feministische Praxis hat eine schwierige Geschichte. EXPORTs Arbeit ist eine der konstanten Re-Artikulation und auch Teil von dem, was ich sehr wichtiges Buddeln und Ausschaufeln nenne um eine Geschichte zu formen. Die feministische Geschichte war eine Menge harter Arbeit von zahlreichen verschiedenen Frauen. In Ex-Jugoslawien wurde diese spezielle feministische Geschichte manchmal nicht als Teil der allgemeinen Geschichte gesehen. Aber der Feminismus war auch in Jugoslawien eine sehr mächtige Bewegung. In den 70ern Sanja Ivekovic, Künstlerin, Dunja Blazevic, Kuratorin, Zarana Papic, Theoretikerin, und heute Tanja Ostojic aus Belgrad und Vlasta Delimar aus Zagreb.

Ich schrieb eine Menge über diese Dinge, denn die feministische Bewegung war wesentlich, um die nationalistische rassistische Bewegung zu brechen, die Meinungsführerin in den 90ern. Die Debatte in Serbien und Kroatien wurde von dieser nationalistischen Machoart zu denken monopolisiert. Ohne die Feministinnen hätten wir keine Form von emanzipativen, kulturellen oder sozialen Prozessen gefunden. Die feministische Praxis ließ die nationalistische Kavallerie hinter sich und machte es möglich, verschiedene Leute und Denkweisen zu integrieren.



Die Performance-Künstlerin Tanja Ostojic arbeitet auch gerne zu und mit dieser imaginativen Kraft, die Frauen zugeschrieben wird. In ihrem Projekt Ill be your angel folgte sie dem berühmten Kurator Harald Szeeman bei der Biennale in Venedig auf Schritt und Tritt bis er die Nerven verlor. Ist das politische Kunst? Ist das Frauenbefreiung?

Tanja Ostojic ist eine absolut politische Künstlerin und beinahe eine Post-Feministin, post im Sinne davon, feministische Positionen, aber auch Identitäts-Politiken zu reflektieren, die einen selbstverständlichen Teil ihrer Kunstwerke ausmachen. Viele Leute denken, sie kommt aus Ex-Jugoslawien und zeigt ihren Körper, um eine Performance über Jugoslawien zu machen. Nein, sie ist sehr wichtig, weil sie eine Analyse macht, wie globale kapitalistische Kunst-Strukturen heutzutage funktionieren. Das ist es, warum sie nicht politisch korrekt ist, Gott sei Dank. Sie stellt das Herz des Kapitalismus zur Schau. Das ist es, warum sie bestraft wird. Z. B. gab es nach der Biennale eine große Ausstellung über neue Balkan-Kunst in Wien. Sie als eine der wichtigsten Künstlerinnen des Territoriums wurde ausgeschlossen. Warum? Weil sie nicht bei der Identitätspolitik bleibt. Wenn du von einem anderen Teil der Welt kommst, solltest du ein exotisches Individuum sein, das individuelle Kunst macht, aber du solltest das System, wie Kunst und Politik funktioniert, nicht in Frage stellen. Tanja legte wirklich ihren Finger auf das, was im Kunstmarkt passiert, welche Bilder am Markt erscheinen und wer das Recht besitzt, über diese Vorgänge zu sprechen. Die Kunstwerke werden in der Sichtbarmachung zivilisiert für die erste kapitalistische Welt.

Ich hatte den Eindruck, dass Sie in ihrer eigenen Videoarbeit eine Menge künstlerischer Ideen für den politischen Widerstand anbieten. In Ihrem Buch Situated Contemporary Art Practices sagen Sie, dass die spezifischen historischen, sozialen und politischen Räume Osteuropas in einen Zustand des Nicht-Raumes, des leeren Raumes versetzt werden. Wie tief sind Sie in die so genannte osteuropäische Kunst involviert?

Die Medienwerkstatt Wien publizierte vor kurzem eine Sammlung meiner und Aina Smids Videoarbeiten auf DVD. Da kann man sehen, dass das Hauptthema meiner Arbeit die Politiken der Kunst sind. Nicht nur das, was Walter Benjamin die Konzepte der Ästhetik genannt hat. Wenn man die osteuropäische Kunst betrachtet, gibt es eine bestimmte Art des Verschwindenlassens des historischen Hintergrundes Osteuropas in der Welt. Einige Arbeiten werden sichtbar, aber der soziale und politische Hintergrund wird ausgesondert. Vor allem im jugoslawischen Gebiet gab es in den 70ern und 80er Jahren sehr bedeutende Kunstprojekte, die fähig waren, wichtige Konzepte zu eröffnen und nicht die kapitalistische Welt reproduzierten.

Kunst kann die Menschen doch nur in ideologischer Weise integrieren, nicht in materieller Hinsicht. Ist nicht das Einzige, was Künstler den Leuten heute anbieten können, eine Art von Trost, damit die Leute nicht die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft aufgeben?

Was Kunst heute anbieten kann, ist Konfrontation, eine Serie traumatischer Punkte und Reflexionen zu eröffnen. Alles gegen die simplen Prozesse der Bequemlichkeit und der Befriedung. Denn das ist das, was der liberale Staat, den wir auch in Slowenien haben, bereits tut. Ich nenne dies sterben, nur überleben, nicht leben.

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