Aufgebaut wie ein klassischer Gutshof:
Der Sender Dobl ist der letzte noch erhaltene Mittelwellensender in Österreich und ein kleines Radiomuseum. Während der Nazizeit sendete er Propaganda bis an die Afrikafront, meldet Chris Haderer (Text und Fotos).In der Steiermark, in der Nähe von Graz, ist ein mehr oder weniger einzigartiges österreichisches Industriedenkmal erhalten geblieben: der Sender Dobl, der im Zweiten Weltkrieg Propagandaprogramme bis an die Afrikafront übertragen hat. Der Sender, dessen aktive Dienstzeit 1984 mit der Einstellung des Mittelwellenbetriebs zu Ende ging, war von der Idee her kein Unterhaltungsradio – es waren militärische Programme, die von Dobl aus in die Welt geschickt wurden. Nach dem Krieg kam der Sender zu der von den Engländern eingerichteten Sendergruppe Alpenland, über die die BBC ihre Botschaften abstrahlte. Erst nach dem Staatsvertrag im Jahr 1955 kam Dobl zur ORF-Sendergruppe. Bis zum Jahr 1967 wurde aus Dobl das Programm Österreich 2 ausgestrahlt, danach Ö1 und auch Ö Mix. Nur etwa zehn Prozent seiner Betriebszeit wurde er für nationalsozialistische Propaganda eingesetzt – nach 1945 war er sogar der stärkste Sender in Österreich. Heute ist der Sender Dobl ein Relikt, das auf mehreren Ebenen Geschichte geschrieben hat: einerseits als Propagandainstrument – und andererseits bis zum Jahr 2015 als Sitz der Antenne Steiermark, die 1995 als erstes Privatradio in Österreich auf Sendung ging. Laut Peter Donhauser, dem ehemaligen technischen Direktor des Technischen Museums in Wien, handelt es sich außerdem um den letzten noch erhaltenen «Umbausender» aus den 40er-Jahren in Europa. Um einen Zeitzeugen aus Metall, Glas, Beton und Draht.
Reise nach Dobl
Dobl liegt etwa 14 Kilometer südwestlich von Graz am Rand des sogenannten Kaiserwalds. Die Reichweite des alten Mittelwellensenders war deutlich größer als die Bekanntheit der kleinen Ortschaft, in der etwas mehr als 1800 Menschen wohnen. Seit der steirischen Gemeindestrukturreform ist sie Teil der neu entstandenen Gemeinde Dobl-Zwaring. Sehenswürdigkeiten sind in der Gegend eher spärlich gesät – genau genommen ist der Sender mit seiner 156 Meter hohen Antenne die einzige. Nach Dobl kommt man am einfachsten mit dem Auto auf der A2 über Lieboch oder Unterpremstätten. Wenn man keines hat, dann fährt man vom Griesplatz in Graz mit dem Bus weiter nach Dobl. Das dauert, je nach Route und Tageszeit, zwischen 30 Minuten und einer Stunde. Oder man verfügt sich mit der Graz-Köflacher-Bahn bis Lieboch und lässt sich von dort abholen – so wie ich.
Hubert Tschugmell wartet vor dem Bahnhof auf mich. Er ist so etwas wie der Museumsleiter des Senders Dobl – obwohl es dort genau genommen kein offizielles Museum gibt. Was es in der Anlage zu sehen gibt, ist mehr oder weniger Tschugmells Werk, auf das der ehemalige Telekom-Techniker zu Recht stolz ist. Auch die Sendeinfrastruktur der Antenne Steiermark hat er aufgebaut – und nach dem Abgang des ersten Privatradiosenders der Alpenrepublik betreut Tschugmell die Amateurfunker_innen, führt Magnetfeld- und Radioaktivitätsmessungen durch und beliefert die Austro-Control mit aktuellen Wetterwerten. «Ich mache diese Tätigkeit ehrenamtlich, weil ich eine gewisse Liebe zum Gebäude habe», sagt er. «Außerdem wohne ich im Ort, und man hat nicht alle Tage die Gelegenheit, so etwas zu machen.» Tschugmell ist eng mit dem Sender verbunden: Den umgebauten DEUTZ-Schiffsmotor, der mit etwa 60 Tonnen Lebendgewicht groß wie ein Wohnzimmer in der Dieselhalle steht und den Notstromgenerator antreibt, hat er mit einem Kollegen selbst instandgesetzt. Im Keller sind auch noch die Überreste der Studios der Antenne Steiermark zu sehen. Der Name des Musikredakteurs Gunter Dorner steht noch auf einem Schild. Der Sendeplatz, von dem aus die ersten Privatradioprogramme in den Äther der Alpenrepublik geschickt wurden, gehört jetzt Tschugmell: «Die Antenne hat ihn mir geschenkt, und ich habe ihn hier ausgestellt.»
Ein Gutshof als Tarnung
Die Gebäude des Senders stehen unter Denkmalschutz, genauso wie die Sendeantenne, werden von der Gemeinde Dobl allerdings nur marginal erhalten. Seit ihrem Bau im Jahr 1939 sind die Wände nicht neu verputzt worden, und die Holzschindeln am dunklen Kühlturm am Rand der Anlage lösen sich bei starkem Wind gelegentlich ab. Kuriosität am Rande: «Weil eine Antenne nicht unter Denkmalschutz gestellt werden kann, wurde sie in ein Bauwerk umgewidmet und ist jetzt das höchste Haus in der Steiermark», erzählt Hubert Tschugmell. Die Anlage ist wie ein klassischer Gutshof aufgebaut, um in Kriegszeiten nicht aufzufallen und um vor allem von oben mehr oder weniger unsichtbar zu sein. Vermutlich hat sich auch deshalb ein nächtlicher Drogenumschlagplatz zwischen Hauptgebäude und Kühlturm etabliert, eine unerfreuliche Nebenerscheinung der eigentlich gar nicht so abgelegenen Anlage: Gegenüber der Sendeantenne sind Wohnhäuser, am Areal grasen Kühe, und zwischen den Dächern ist auch die Kirche zu sehen. Eigentlich ein kleines Dorfidyll.
Radio ist gefährlich
Hubert Tschugmell geht mit mir über das Gelände und zeigt mir die Sendehalle. Ich sehe Stainzer Steinplatten und jede Menge Parkettboden. Durchaus teures Inventar. «Man hat sich damals wirklich Mühe gegeben, eine schöne Anlage zu bauen», kommentiert Tschugmell. Der Weg durch das Gebäude ist lang – und man bekommt einen Eindruck davon, was Radio einmal war: eine neue Technik, die noch perfektioniert wurde. Röhren bestimmten den Weg. Radio war in erster Linie nicht Programmgestaltung, sondern Strom, Spannung, pure Energie, die in Funksignale umgesetzt wurde. Radio war gefährlich, weil man sich ständig zwischen Kondensatoren und anderen Spannungsträgern bewegte. Nicht die Inhalte standen im Vordergrund, sondern die Sendeleistung: 100 Kilowatt und mehr; die Leistung (acht Zylinder, 1047 PS, 736 kW Generatorleistung) und der Dieselverbrauch (70 bis 120 Liter pro Stunde) des Notstromaggregats; die Größe der Öltanks (insgesamt 150.000 Liter). «Als sogenannter Umbausender war der Dobl eine technische Novität: Er war nicht auf eine bestimmte Frequenz geeicht, sondern konnte auf beliebige Frequenzen im Mittelwellenband umgestimmt werden», erklärt Hubert Tschugmell ein für einen nationalsozialistischen Propagandasender nicht unwichtiges Feature: Durch die regelmäßige Änderung der Sendefrequenz wurden Störsender, wie es etwa in Ungarn einen gab, ausgetrickst, und die Frontsoldaten konnten ungestört belogen werden.
Es geht weiter in die Eingeweide des Senders und des Gebäudes, hinunter in den Keller, in dem mehr gewaltige Maschinen stehen; Rohre und Ventile, das vegetative Nervensystem der Mittelwellenanlage. Der Keller ist gewaltig – und an irgendeinem Punkt zeigt mir Hubert Tschugmell zwei Säulen mit Öffnungen, die wie Kaminlöcher aussehen – aber nirgendwo hinführen. Tatsächlich sind die «Ofenlöcher» für die Selbstzerstörung des Senders Dobl: Eine Stange TNT in jedes Loch – und die 47 Tonnen Metall und Draht, die sich über dem Keller befinden, stürzen in sich zusammen. «Das war der ursprüngliche Plan, um den Sender nicht in Feindeshand gelangen zu lassen», sagt Hubert Tschugmell.
Der Sender Dobl ist nicht gesprengt worden. Die Rote Armee war zwar da, aber keiner wollte das TNT in den Schacht werfen. Gut so. Dadurch ist er erhalten geblieben, deutlich sichtbar und durchaus auch stolz. Das Senderdenkmal ist zwar nicht unbedingt leicht zu erreichen – aber dennoch in mehrfacher Weise einzigartig. Der Sender dokumentiert den technischen Stand der Zeit – und auch den Propagandawahn des Dritten Reichs, ohne den es ihn nicht gegeben hätte, oder nicht in dieser Art. Er dokumentiert auch eine Zeit, in der Radio noch ein vor allem technisches Abenteuer war – und die Redakteure noch nicht in klimatisierten Studios herumlungerten und Pizza vom Lieferservice knabberten. Ist doch so, oder?
Die Radio-Augustin-Reportage über den Sender Dobl zum Nachhören:
https://cba.fro.at/336033