Das Ich, der Körper und die SpracheArtistin

Foto: (c) Jana Madzigon

Autodidaktisch erlernt und professionell ausgeführt: Das ist die Kunst von CHRISTL MTH.. Ende September erschien im Haymon Verlag Ich glaub ich hasse mich und bei Ink Music die Single XX. Ein Gespräch über künstlerische Arbeit, mentale Gesundheit und die Differenz zwischen dem Ich, dem Körper und der Sprache.

 

2021 hast du am Urban-Loritz-Platz gemeinsam mit der Gruppe «Catcalls of Vienna» die Aktion «Catcalling strafbar machen» durchgeführt: eine Performance, die verbale Übergriffe im öffentlichen Raum zum Thema hatte. Wie bist du von einem diffusen Unwohlsein zu der Position gekommen, in der du gefunden hast, ich spreche jetzt mal laut über zentrale feministische Fragen?

Christl Mth.: Bei mir ist die Auseinandersetzung mit feministischen Themen durch meine Arbeit wichtig geworden. Sobald man sich ein gewisses Wissen über Feminismus angeeignet hat, fallen einem diese Dinge im Alltag einfach die ganze Zeit auf. Das ist dann so tägliche Experience. «Catcalling strafbar machen» war die Performance zu meiner ersten Single, Object of Desire. Es ist mir auch wichtig, dass ich über diese Themen eben nicht nur spreche, sondern es immer eine Verbindung mit dem Tun gibt – darum auch die Aktion im öffentlichen Raum.

«Deine Arbeit», das ist die Arbeit als Künstlerin – wie kommst du dazu?

Das habe ich schon immer gemacht. Es war immer schon so vorgezeichnet, dass es so sein wird, dass ich Kunst mache.

Du kommst vom österreichischen Land?

Ja.

Ich auch. Und ich halte es in bestimmten Kontexten für nicht ganz üblich, dass man zu empfinden lernt, ich möchte Künstlerin werden, und darin dann auch bestärkt wird.

Sicher, es gab Widerstände, denen ich trotzen musste. Kunst zu machen und künstlerisch zu denken ist in einer Welt wie dieser nicht ganz einfach, weil die Welt anders aufgebaut ist als zum Denken in Ideen, Texten und Farben. Das ist eine widerständige Haltung, für die ich mich jeden Tag entscheiden muss.

Gibt es in deinem Leben die obligatorische Familienfeier, bei der alle erzählen, was sie beruflich machen, und du musst erklären, was Kunstmachen eigentlich ist?

Über familiäre Kontexte spreche ich nicht. Aber ja, es ist wichtig für mich, dass mein Kunstprojekt in Wien stattfindet. Und es gibt sicher viele Leute, die mit Kunst als Arbeit nichts anfangen können; die in einem Nine-to-five-Job arbeiten und für sich auch nie andere Möglichkeiten gesehen haben. Woher sollten sie dann auch wissen, wie es ist, Künstlerin zu sein? Und ich muss sagen, es bleibt ja sogar für mich selbst ein Mysterium, das ich nicht ganz verstehe; etwas, das schwer greifbar ist. Dazu kommt, dass es ein gewisses Narrativ von Kunst gibt, und das ist: Es ist eine brotlose Angelegenheit. Was nicht ganz falsch ist.

Dann lass uns doch gleich übers Geld reden. Wie geht es sich aus, von der Kunst zu leben?

Es geht sich immer irgendwie aus. Das Problem an der Arbeit als Künstlerin ist oft gar nicht, die Kunst herzustellen, sondern nur durchzuhalten. Weiterzumachen und sich den Dingen, die sich in den Weg stellen, nicht zu ergeben. Das ist eigentlich alles.

Bist du einen institutionellen Weg gegangen, hast du Kunst studiert?

Gar nicht. Ich habe mich einfach durch die Disziplin durchgekämpft und mal geschaut, wie die Dinge funktionieren. Ich habe mir den Weg nicht über eine Universität gebahnt, sondern irgendwie rundherum. Und es ist für mich auch sehr wichtig, mich dafür zu entscheiden, dass ich mich nicht für eine Kunstform entscheiden muss. Ich arbeite transdisziplinär.

Der Weg «um die Universität herum» hat für dich offensichtlich gut funktioniert.

Er ist schon beschwerlicher, weil man sich alle Strukturen selbst aufbauen muss. Aber so, wie ich es mir aufgebaut habe, entspricht es meinen Bedürfnissen halt auch besser. Ich weiß, welche Dinge mir wichtig sind und welche ich nicht will – ich will zum Beispiel mit vielen Frauen und FLINTA* Personen arbeiten. Das ist ein längerer Weg in einer Kunstszene, die sehr männerdominiert ist.

Aus meiner Perspektive, und ich bin wahrscheinlich rund 20 Jahre älter, gibt es in Wien mittlerweile eine starke und präsente queere und feministische Kunstszene. Das empfindest du nicht so, wenn ich dich richtig verstehe.

Nehmen wir den Literaturkanon, der ist nach wie vor sehr männerdominiert. Über welche österreichischen Autoren wird gesprochen? Über Männer. Und auch bei der Musik ist es so: Welche Bands stehen bei Festivalheadlines ganz oben? Wieviele Frauen stehen auf der Bühne von Solokünstler:innen? Da ist schon noch viel zu tun.

Dich singen zu hören ist sehr beeindruckend. Wo hast du das gelernt?

Autodidaktisch. Dadurch, dass ich so viel im Studio aufgenommen habe und so viel live spiele, habe ich gelernt, mit meiner Stimme umzugehen. Und Songs zu schreiben kann man ehrlich gesagt auch nicht lernen, das lehrt man sich im besten Fall selbst und hat Leute, die einen unterstützen.

Deine neue Single XX ist Ende September erschienen. Worum geht’s?

XX ist die erste Single von meinem Album Green Blue Violet/Grün Blau Violett. Vier Singles werden erscheinen, und im Februar 2024 dann das Album. Die Albumerzählung ist stark an mein Buch Ich glaub ich hasse mich angelehnt. Es geht um das Überleben von Gewalt und um die Dinge, die man aufbrechen will, aber man kann oder schafft das nicht oder denkt, man darf es nicht.

Dein Oeuvre wirkt sehr autobiografisch. Es scheint von dem Wunsch geprägt, Defizite, Lücken und Wunden zu überwinden, zu füllen, zu heilen. Ist es heilsam, so zu arbeiten?

Was ich in meiner Kunst erzähle, hat schon viel damit zu tun, was es aufzuarbeiten gibt. In Ich glaub ich hasse mich sind viele autofiktionale Texte, und ja, es ist sehr intensiv, so etwas zu produzieren. Aber ich weiß, mit dem fertigen künstlerischen Output hat der intensive Prozess auch ein Ende.

Gibt es eine klare Trennung zwischen dir und der Kunstfigur Christl Mth.?

Die gibt es. CHRISTL ist ein Projekt und eine Persona, die in ihrem eigenen Kontext stattfindet. So gelingt es mir, Raum für die Kunst zu schaffen und gleichzeitig meinen privaten Raum zu wahren. Es ist ein komplexer Prozess, Wörter und Ausdruck für das zu finden, was man erzählen will, dabei nicht zu viel von sich selbst zu erzählen, aber umgekehrt doch Dinge anzusprechen, die man als private Person nicht öffentlich erzählen würde.
Erzählen, was man sonst nicht erzählen würde – das ist etwas zutiefst Feministisches: Zu sagen, so oder so ähnlich ist es mir gegangen, so denke ich darüber, so gehe ich damit um, und diese Strategien zur Verfügung zu stellen.
Es geht mir auch darum, Räume und Bilder zu schaffen, die andere für sich verwenden können. Damit das, was für mich vielleicht schwer war, für andere leichter wird.

Sehr stark finde ich bei dir die Dissoziation zwischen dem Ich und dem Körper, dem Ich und der Sprache. Obwohl die Kunstfigur Christl Mth. das alles ist – ein Ich, ein Körper, eine Sprache, nimmst du die Einheit auseinander.

Kunst ist für mich ganz oft auch eine körperliche Erfahrung, eine fast externe Erfahrung, eine Fremdwahrnehmung, die ich von mir selbst zeichne, und die dann auch zur Selbstwahrnehmung werden kann. Das sind zwei Dinge, die sich vielleicht irgendwann treffen, vielleicht aber auch nicht.

In deinem Text «Die Antworten auf die Frage, die ich hasse» (siehe S. 8–9) schreibst du, dass die Frage, «Wie geht es dir?», «so eine scheiß Frage» ist. Das habe ich berührend und traurig gefunden, denn «Wie geht es dir?» ist, wenn man die Antwort hören möchte, doch die empathischste aller Fragen?

In dem Text ging es mir darum zu sagen, wie schwierig es ist, über mentale Gesundheit zu sprechen. Ich habe lange gebraucht, Worte zu finden, die das beschreiben und die der anderen Person klar machen: So sieht es in mir aus. Die Frage «Wie geht es dir?» wird oft mit einem «Gut» abgetan, weil viele Menschen gar nicht wissen, wie sie beschreiben sollen, wie sie sich fühlen.

Mentale Gesundheit ist beim Augustin ein großes Thema, weil Armutserfahrung oft mit Umständen einhergeht, die mentale Gesundheit untergraben. Wenn Kunst andere Antworten bietet als Psychiatrie, Einsamkeit und Suizid, kann sie Wege der Gesundung oder der Akzeptanz mentaler Krankheit eröffnen.

Am Anfang meiner Arbeit an Buch und Album war ich an dem Punkt, an dem ich dachte: Der mentale Zustand wird vielleicht nicht besser. Und ich wollte zeigen, es kann auch anders enden. Es kann auch in dem Wunsch enden, dass es leichter wird, selbst wenn man die Leichtigkeit noch nicht erreicht hat. Im Buch kommt oft vor, dass ich mir wünsche, dass ich die schönen Dinge wieder sehe und fühle. Ich finde, das übliche Narrativ von mentaler Gesundheit ist, dass es immer schwerer wird. Aber auch wenn das oft stimmt, sind die mentale Gesundheit und ihre Heilungsmöglichkeiten viel nuancierter. Und davon möchte ich erzählen.

* «FLINTA*» steht für Frauen, Lesben,
intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen

 

Ich glaub ich hasse mich
Haymon 2023, 128 Seiten, 22,90 Euro

Green Blue Violet / Grün Blau Violett (LP)
Ink Music
Februar 2024, 23 Euro

XX (Single)
Stream: https://inkmusic.at/release/xx