Das ist auch WienAugustinchen

«Wiener Nimmerland» – so nennt Martin seine Touren (© Foto: Nina Strasser)

Wie leben Leute ohne Wohnung in Wien? Martin hat es erlebt. Er erzählt davon in seinen Stadtführungen.

«Verstehts ihr meinen Dia­lekt?», fragt Martin. Die Schüler:innen nicken. Sie sind heute aus Guntramsdorf hergekommen, weil ihre Lehrerin eine Stadtführung in Wien gebucht hat. Martin macht allerdings keine Führungen zu den Sehenswürdigkeiten. Er erzählt von seiner eigenen Geschichte, als er mit Drogensucht kämpfte und im Freien schlief, da er keine Wohnung hatte. Er erzählt von schwierigen Zeiten und guten Freund:innenschaften, davon, was er lieber anders gemacht hätte, und davon, was schön war. Und davon, was Wien eben auch ist: eine Stadt, in der ganz unterschiedliche Menschen leben. Martin ist 40 Jahre alt, als junger Mann kam er aus dem Burgenland nach Wien – er spricht immer noch gerne im burgenländischen Dialekt. Zu Hause war er sehr unglücklich, in Wien fand er Freund:innen, aber auch Alkohol und Drogen, von denen er dachte, sie würden sein Leben verbessern. Aber: Sucht ist eine Krankheit und schwer heilbar. Irgendwie an Geld zu kommen, obwohl man kaum arbeiten kann, ist auch sehr schwer.
Martin führt die Schü­ler:innen zum Karlsplatz, wo sich früher Leute trafen, die in der gleichen Situation waren wie er. Er führt die Gruppe auch zu einem kleinen Park, wo er in der Nacht oft schlief. Dort ist ein Firmengebäude, in dem Leute arbeiten. Irgendjemand stellte Martin jeden Tag einen Becher Kaffee zu seinem Schlafplatz unter den Bäumen. Er weiß bis heute nicht, wer das war. Darum, so sagt er, mag er einfach alle, die dort arbeiten. Martin hat erlebt, was es bedeutet, wenn ihn Menschen, die ihn gar nicht kennen, beschimpfen. Aber auch, wenn jemand einfach nett ist. Die letzte Station der Tour ist neben dem Haus des Meeres. «Der Park hier ist wie mein Wohnzimmer», sagt Martin. Hier war er früher sehr oft. Auf Bänken, in Decken gewickelt, schlafen Menschen, sie haben ihre ganzen Sachen in Taschen bei sich. Martin hat schon seit Langem eine Wohnung und sich ein anderes Leben aufgebaut. Er sagt: «Verurteilt die Leute nicht, die hier im Park schlafen! Man kann nicht wissen, was ihre Geschichte ist.»

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