25 Jahre nach der Votivkirchenbesetzung: Ein Theaterblick ins Jahr 2037
2016 wurde die Uraufführung des Stücks «Homohalal» des syrisch-österreichischen
Autors Ibrahim Amir abgesagt. Jetzt ist es im Werk X in Wien zu sehen. Veronika Krenn hat es sich angeschaut und mit dem Autor über Theater, Syrien, Österreich und Homosexualität gesprochen.
Foto: Yasmina Haddad
Es ist schwül wie in einer Sauna. Die Zuschauertribüne reicht bis an den Pool, in den jede und jeder der sieben Schauspieler_innen mehrmals fallen wird. Oder geworfen wird. Oder selber hineinspringt. Die Zeitrechnung schreibt das Jahr 2037. Wien ist Fußgängerzone vom Hauptbahnhof bis in den 6. Bezirk. Die ehemaligen Asylwerber_innen der Votivkirchenbesetzung sind gut «integriert», das heißt, sie kiffen, trinken, und ihre mittlerweile herangewachsenen Kinder haben die Sitten, Gebräuche und Freiheiten ihrer neuen Heimat verinnerlicht. Das treibt Said, den Vater von Jamal an seine Grenzen: «Ich habe mein Leben weggeschmissen, nur damit dieser Scheißkerl groß und kräftig wird. Und was wird er? A Lutti. A Schwuchtel.» Aber auch Sohn Jamal wundert sich über seinen Vater: «Ihr müsst euch das mal vorstellen: Der Kerl ist aus Bagdad mit einem Schlauchboot übers Mittelmehr geschippert. Mit einem Schlauchboot. Wie viel Eier muss man haben. Nur damit ich in Freiheit leben kann.» Dass sein Vater einmal für Toleranz gekämpft hat, weiß Jamal. Aber er fragt: «Wisst ihr, wo seine Toleranz aufhört?» Bei der Sexualität seines Nachwuchses. Als Jamal von den ehemaligen Votivkirchen-Besetzungsamouren seines Vaters erfährt, platzt ihm der Kragen: «Du machst hier einen auf Supermoslem, haram hier, haram da. Und selber ökumenisches Rudelbumsen spielen … du Wochenend-Mullah.»
Dystopie, Utopie, Realität?
Ibrahim Amir, der syrisch-österreichische Autor von Homohalal ist für sein «kontroverses» Denken bekannt. Deshalb bin ich auf das Telefongespräch mit ihm sehr gespannt. Eine seine Komödien handelt von dem, was mit gemeinhin mit dem (zweifelhaften) Begriff «Ehrenmord» bezeichnet wird – Habe die Ehre wurde 2013 mit dem Nestroypreis für die beste Off-Produktion ausgezeichnet. Heimwärts, das gerade am Volkstheater läuft, erzählt davon, was passieren kann, wenn Migrant_innen versuchen, mit einem auf der Reise verstorbenen Onkel die umgekehrte Balkanroute zu nehmen. Als das Volkstheater 2016 die Uraufführung seines Stücks Homohalal kurzfristig abgesagt hatte, suchte er einfach ein anderes Theater dafür. Die Begründung für die Absage war, dass eine derartige Dystopie kein geeignetes Mittel zur Auseinandersetzung mit der Flüchtlingskrise sei, man befürchtete Missverständnisse. Mehrere deutsche Theater sahen das anders. Uraufgeführt wurde das Stück dann ausgerechnet in der Pegida-Hochburg Dresden.
Als Kurde aus Syrien war Amir schon sehr früh mit Politik konfrontiert, deshalb ist es selbstverständlich für ihn, darüber zu schreiben: «Ich nehme mir kein Blatt vor den Mund, wenn mir was am Herzen liegt, schreibe ich darüber.» Er erklärt sich die Absage des Theaters als eine politischen Entscheidung, die aus der Angst verständlich sei, die damals vorherrschte: «Es war zwar eine euphorische Stimmung, unter denen die Schutzsuchenden geholfen haben, aber gleichzeitig war da auch Angst.»
Für Amir ist es logisch, dass es Diskussionen und Auseinandersetzungen gibt, wenn man in der Kunst mit einem politischen Thema beschäftigt ist – das sei auch wichtig so. Auch in Dresden gab es vor der Uraufführung viele Gespräche und Diskussionen, mit Schauspieler_innen, Dramaturg_innen und der Regie. In Syrien werde regimekritisches oder prokurdisches Schreiben mit physischer Gewalt geahndet, sagt er. «Deshalb wurde ich auch exmatrikuliert, wegen eines politischen Akts. Dort ist es eine Kunst, überhaupt zu überleben, man wird verhaftet und verschwindet einfach.»
Positives Feedback.
Entwickelt wurde das Stück in Workshops auf Initiative der Regisseurin und Aktivistin Tina Leisch, erzählt Amir: «Sie hat uns alle zusammengeführt, nach der Votivkirchenbesetzung.» Das Stück wurde gemeinsam mit muslimischen Asylwerber_innen, etwa aus Pakistan, Algerien, Marokko und Tunesien entwickelt. Am Anfang sei es nicht so einfach gewesen, über Homosexualität zu reden. «Das ist der Sinn der Sache, dass man darüber redet – über Diskriminierung und über sexuelle Orientierung.»
Ich frage Ibrahim Amir, welche Rückmeldungen er zu dem Stück von muslimischen Seiten bekommen habe. Er meint: «Ich hatte nur positives Feedback von dieser Seite. Nur einmal hat ein Übersetzer aus Palästina gesagt, dass er sich nicht vorstellen kann, dass es 2037 noch so einen Vater gäbe, der schon seit langem in Europa lebt und dessen Sohn hier geboren wurde.» Amir habe diese Meinung interessant gefunden, erzählt er, aber seinen eigenen Standpunkt verteidigt: «Die Gesellschaften werden ja leider nicht offener. Die werden konservativer. Es kommt darauf an, wie die wirtschaftlichen Umstände und die sozialen Umstände sind.» In Österreich kann man den konservativen Backlash ja derzeit auch an der Regierung beobachten. Amir erzählt vom Syrien seines Vaters. Vor etwa vierzig Jahren sei man nicht so konservativ gewesen: «Aber dadurch, dass man Kinos gesperrt hat und es wenige Theater, aber mehr Moscheen gab, wurde die konservative Szene stärker. Ich glaube nicht, dass in 30 Jahren alle Menschen offener sind, das ist abhängig von den Umständen. Verdächtigt man sie weiter, hält man sie ‹außen› und gibt ihnen nicht das Gefühl dazuzugehören, dann werden sie sich zusammentun und konservativ bleiben.»
Homohalal bringt im Werk X Rückblicke ins Jahr 2012, als die damaligen Asylwerber Umar, Said und Abdul die Aktivistinnen Barbara und Albertina kennenlernen. Said und Barbara werden ein Paar, aber als er sie nach mehrjähriger Beziehung heiraten will, verweigert sie das mit der Begründung: «Ich will nicht klassisch sein. Ich will meine Freiheit leben.» Daraufhin wurde er abgeschoben, im Irak gefangengenommen und gefoltert. Nach der Vorführung kommentiert eine Besucherin das Stück lapidar: «Es ist traurig. Keiner kann es richtig machen.»
Eine der Stärken von Ibrahim Amirs Stück ist, dass er, was auch immer in seinen Blick kommt, in seiner ganzen Ambivalenz zeigt. Homohalal ist eine Komödie mit vielen Wendungen, bei der einem am Ende das Lachen bitter in der Kehle stecken bleibt.
Homohalal
Werk X
Nächste Termine: 29.–31. März, 26.–28. April
12., Oswaldgasse 35A
www.werk-x.at
Heimwärts
Nächste Termine: 22. und 25. März, 5. und 24. April
Volkstheater
7., Arthur-Schnitzler-Platz 1
www.volkstheater.at