«Das ist doppelt hart»vorstadt

Lokalmatadorin

Helga Amesberger ist eine Konfliktforscherin, die unter arg prekären Bedingungen arbeitet. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).Wenn sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Konfliktforschung von ihrer Arbeit ablenken möchte, geht sie ins Café Z. Z wie Zuflucht oder Zentrum. Das «Z» befindet sich in einem weitgehend verkehrsberuhigten Zentrum des 15. Bezirks. Den lokale Kreative liebevoll «Rudi Fünfhaus» nennen. Und in dem die Bewohner_innen laut amtlicher Statistik um fünf Jahre früher sterben als jene in Hietzing oder Döbling.

Sozialwissenschaft ist unser Thema, an diesem Sonntagvormittag. Helga Amesberger ist dazu berufen. Auch sie beschäftigt sich beruflich mit Formen der sozialen Ungleichheit. «Ich habe viele Frauen ausführlich interviewt», erzählt die Forscherin. Frauen, die häusliche Gewalt erfahren haben; Frauen, die als Sexarbeiterinnen mit jahrhundertealten Vorurteilen konfrontiert sind; Frauen, die in der NS-Zeit das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überlebt haben.

So unterschiedlich ihre Erfahrungen sein mögen, allen gemeinsam ist ihre Rolle als Opfer. «Vielleicht ist es leichter, mit Opfern zu arbeiten», räsoniert Helga Amesberger bei einer mit Sorgfalt zubereiteten Melange. «Weil die Identifikationsmöglichkeit höher ist.»

Faktum ist, dass sie schon seit 25 Jahren im außeruniversitären Wissenschaftsbetrieb arbeitet, der schon länger unter der Einsparungspolitik leidet. Gefällige Studien im Auftrag jener, die in erster Linie ihre Macht absichern wollen, interessieren sie ebenso wenig wie das Wissenschaftslatein jener, die sich vom realen Leben deutlich entfernt haben.

«Mit meiner Arbeit möchte ich gesellschaftlich und politisch etwas bewegen», betont die Interagierende. «Deshalb müssen die Berichte und Bücher leicht verständlich geschrieben sein.»

Der Preis für diese Form der Unabhängigkeit ist hoch: Seit 25 Jahren arbeitet Amesberger am privaten Institut für Konfliktforschung (IKF). Zwar ist sie dort angestellt, doch de facto sind die Arbeitsbedingungen prekär: «Von zehn Forschungsanträgen, die wir einreichen, wird einer angenommen.» Immer wieder droht Arbeitslosigkeit: «Wenn es mir nicht gelingt, neue Aufträge zu lukrieren, werde ich gekündigt.»

Das IKF wurde nach einem Terroranschlag in Marchegg (im September 1973) gegründet, als Anerkennung für das Engagement des Aggressionsforschers Friedrich Hacker, der damals zwischen Kanzler Kreisky und den palästinensischen Geiselnehmer_innen vermittelt hatte.

Das Institut gab zeitweise zwölf Menschen Arbeit, die soziale Lage der Angestellten hat sich jedoch in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert, erzählt die Mitarbeiterin: «Seit die Universitäten angehalten sind, einen Teil ihres Budgets über sogenannte Drittmittel zu decken, wurden sie bei Ausschreibungen zur direkten Konkurrenz für uns. Das ist doppelt hart, weil es insgesamt sehr wenig Geld für sozialwissenschaftliche Forschung in Österreich gibt und wir nicht zu derartig günstigen Konditionen arbeiten können.»

Heute ist Helga Amesberger ausnahmsweise nicht Interviewerin, sondern selbst die Interviewte. Im Café Z erzählt sie, dass sie über Umwege zu ihrem Beruf gekommen ist: «Ich bin in einem kleinen Dorf im Hausruckviertel aufgewachsen, als Sandwich-Kind.» Drei Geschwister waren älter, zwei jünger als sie. Nach der Hauptschule hat sie eine Kleidermacherschule in Linz absolviert, ehe sie in der Abendschule die Matura nachholte und mit ihrem Mann und ihrer Tochter zum Studium nach Wien übersiedelte.

Das Wien der frühen 1980er-Jahre wirkte auf die junge Mutter «vom Land» groß und grau, das studentische Leben indes inspirierend: «An der Universität konnte ich mir schnell ein Netzwerk an Freund_innen und künftigen Kolleg_innen aufbauen.»

Das wissenschaftliche Arbeiten hat sie von Anfang an fasziniert: Nach dem Studium der Ethnologie und Soziologie hat sie ihren Doktortitel auf dem Institut für Politikwissenschaft erlangt. Neben ihrer Tätigkeit am IKF ist Helga Amesberger zeitweise auch als Lektorin an österreichischen Universitäten tätig.

Derzeit arbeitet sie unter anderem an einer Studie über die Verfolgung von Frauen, die während der NS-Zeit als «asozial» bezeichnet und verfolgt wurden, und auch über die Kontinuitäten der Stigmatisierungen nach 1945. In «Meine Mama war Widerstandskämpferin» untersucht sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Kollegin Brigitte Halbmayr die Widerstandsnetzwerke von drei Frauen. «Dabei geht es auch um die Frage, wie sie ihren Widerstand und ihr Eintreten für Demokratie an ihre Kinder weitergegeben haben.»

Nationalsozialismus und Holocaust, Rassismus, Prostitutionspolitik, Gewalt gegen Frauen, feministische Forschung – zu diesen Themen hat Helga Amesberger im Laufe der Jahre zahlreiche Studien vorgelegt. Nebenbei engagiert sie sich auch ehrenamtlich, seit dem Jahr 1995 etwa für die «Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen».

Schon bald Mittag. Die Vielbeschäftigte schaut auf die Uhr. Auf ihrem Schreibtisch, auf dem sich die Unterlagen seit Jahren bedrohlich türmen, wartet weitere Arbeit. Darunter, wie so oft, auch ein Antrag für ein neues Forschungsprojekt. Mehr über das Institut für Konfliktforschung unter: www.ikf.ac.at.