Eva More-Hollerweger forscht seit vielen Jahren zum Thema freiwilliges Engagement und ist Mitverfasserin des Freiwilligenberichts im Auftrag des Sozialministeriums. Sie arbeitet an der Wirtschaftsuniversität Wien im Kompetenzzentrum für Non-Profit-Organisationen und Social Entrepreneurship. Im Gespräch erklärt sie warum Freiwilligenarbeit für die Gesellschaft unbezahlbar ist.
Frau More-Hollerweger, was ist Freiwilligenarbeit und was ist Ehrenamt?
Eva More-Hollerweger: In der Forschung sprechen wir nicht mehr so sehr von Ehrenamt, weil das heute oft nicht mit Ehre und Amt verbunden ist, viel eher nennen wir es Freiwilligenarbeit. Wir definieren es als Arbeitsleistung, die für Menschen außerhalb des eigenen Haushalts getan wird, freiwillig und unbezahlt.
In welchen Bereichen arbeiten Menschen freiwillig?
Zuerst denken wir da natürlich an die Rettung oder die Freiwillige Feuerwehr. Es gibt aber noch ganz andere Tätigkeiten, etwa in der Kunst, Kultur und Unterhaltung. Von Blasmusik-Kapellen bis hin zu Gärtnergruppen, die sich in einer Gemeinde treffen. Dann gibt es die Bereiche Umwelt, Natur- und Tierschutz, Religion und Kirche. Das sind so die klassischen Tätigkeitsfelder, bei denen wir uns regelmäßig anschauen, wie sich das entwickelt.
In die Bereiche Soziales und Gesundheit fällt etwa ein Besuchsdienst für ältere Menschen oder wenn ich mich in der Suppenküche engagiere oder im Bereich der Flüchtlingshilfe. Das ist eine Entwicklung, die seit dem Jahr 2015 in der Forschung mehr thematisiert wurde.
Dann gibt es noch die Bereiche Sport, Bildung und die Interessenvertretung, da fällt dann so etwas wie die Gewerkschaft drunter.
Wer sind die Menschen, die sich freiwillig engagieren?
Freiwilligenarbeit leisten Menschen quer durch alle sozialen Schichten und Altersgruppen. Statistisch gesehen engagieren sich Arbeitslose weniger als Erwerbstätige. Freiwilligenarbeit machen jene, die gut in soziale Netzwerke eingebunden sind. Oft hängt die Freiwilligenarbeit sogar mit der Erwerbsarbeit oder der Schule zusammen, ist etwa eine Freizeittätigkeit für Kinder.
Jüngere engagieren sich ein bisschen weniger. Das Engagement steigt bis zum Alter von 60 Jahren und nimmt dann wieder ab. Das hat sicher mit Fragen der Gesundheit und Mobilität zu tun. Die stärkste Beteiligungsquote liegt bei den 50 – 59-Jährigen. Aktiv sind aber alle Schichten.
Warum arbeiten Menschen ohne Bezahlung?
Die Beweggründe sind vielfältig und werden auch immer vielfältiger, das ist zu beobachten. Die zwei wichtigsten Motive sind der Wunsch anderen zu helfen und die Freude an der Tätigkeit selbst. Menschen wollen gern mit ihren Fähigkeiten und Kenntnisse zum Gemeinwohl beitragen. Natürlich wollen sie dort auch Menschen kennenlernen oder gar Freunde finden. Auch die gesellschaftliche Anerkennung ist ein Motiv für Freiwilligen-Engagement und für manche verbirgt sich dahinter sogar die Hoffnung einen Job zu finden.
Welche positiven Effekte hat das Freiwilligenengagement noch?
Einer der wichtigsten Effekte ist sicher, dass Leute auch über den Tellerrand blicken und Einblicke in andere gesellschaftliche Bereiche kriegen. Wenn ich mich im sozialen Bereich engagiere, dann kann ich auch erfahren, wie es Menschen geht, die gerade eine schwierige Phase durchmachen. Bei der Freiwilligenarbeit bekommt man schon ganz spezielle Einblicke. Wer an Organisationen spendet, der bekommt ein Infoblatt. Aber habe ich mal wo richtig mitgearbeitet, dann bekomme ich ein Gespür für das Thema. Das ist ganz was anderes.
Nicht zuletzt hat das freiwillige Engagement auch eine politische Bedeutung, selbst wenn es im Kern kein politisches Engagement ist. Gesellschaftliche Bereiche bekommen durch das Engagement Freiwilliger öffentliche Aufmerksamkeit. Das trägt zur Meinungsbildung bei.
In welchem Zeitumfang findet das freiwillige Engagement statt?
Wir unterscheiden zwischen formeller Freiwilligenarbeit, also die Arbeit, die bei Organisationen stattfindet und informeller, das ist die Nachbarschaftshilfe. Im Schnitt werden zum Beispiel in der formellen Freiwilligenarbeit in der Flüchtlingshilfe 2,24 Wochenstunden geleistet, im Sport sind es 3,7 Stunden die Woche. Bei der informellen Freiwilligenarbeit sind es etwas weniger Stunden, dafür machen das aber auch mehr Menschen.
Ist das eine volkswirtschaftlich relevante Größe?
Ja, wöchentlich werden 24,2 Millionen Arbeitsstunden geleistet, von rund 3,5 Millionen Freiwilligen. Das ist wirklich viel. Das entspricht ca. 15 Prozent des Arbeitsvolumens der unselbständig Erwerbstätigen in Österreich.
Da ist zwar auch informelle Freiwilligenarbeit mit einberechnet, also Nachbarschaftshilfe, auf die Kinder einer Freundin aufpassen oder Ähnliches. Das ist schwer zu messen, aber insgesamt ein guter Indikator für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Würden die Leute das nicht machen, dann würde da ordentlich viel wegfallen.
Wie wirkt sich diese hohe Beteiligung auf die Gesellschaft aus?
Aktuell gibt es in Österreich ca. 259.000 aktive Feuerwehrmitglieder und ca. 40.000 freiwillige Sanitäter. In Summe sind das rund fünf Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren. Das muss man sich mal vorstellen! Jeder Zwanzigste weiß, wie man Gebäude löscht, wie man jemanden nach einem Unfall aus dem Auto herausschneidet bzw. Verletzte versorgt. Ein großer Teil der Bevölkerung hat eine Ausbildung und übt regelmäßig. Das ist Volksbildung! Wenn es eine Katastrophe gibt, dann habe ich innerhalb kürzester Zeit viele qualifizierte Leute zur Verfügung.
Überall wird der Sparstift angesetzt. Auch wir beim Augustin brauchen Unterstützung von Freiwilligen. Wird bezahlte Arbeit in Zukunft immer mehr durch Freiwillige ersetzt?
Gemäß einer Studie von uns wird diese Gefahr überschätzt. Der Sozial- und Gesundheitsbereich hat eine Professionalisierung erfahren. Viele Tätigkeiten, die früher ehrenamtlich durchgeführt wurden, machen jetzt Professionelle. Da haben Non-Profit-Organisationen auch eine Innovationsfunktion.
Denken Sie ans Hospiz: Anfangs gab es Ehrenamtliche, welche im Sterben Liegende begleitet haben. Daraus ist eine Dienstleistung entstanden, die immer noch mit Freiwilligen arbeitet, aber eben auch mit Ärzten und Pflegekräften, wie im Palliativbereich. Da sind auch Berufe entstanden.