Auf Menschen mit Todes-Erfahrungen muss man aufpassen
Weil Shajahan weiß, wo sich ein Ausbildungs-Zentrum der Taliban befindet, würde er in Pakistan ermordet werden. Doch Österreich ist nicht bereit, ihm Asyl zu gewähren. Nun hungert Shani sich die bei den Taliban durch Steroide zugenommenen Kilos in Österreich im Hungerstreik wieder herunter.«Wir wollen den normalen Menschen in Österreich erklären, wie die Situation in unseren Heimatländern ist», sagt der hagere Mann, der mit einem Schlafsack umhüllt auf einer Matraze mitten in der Wiener Votivkirche sitzt. «Es gibt keinen einzigen Flüchtling hier, der nicht jemand aus seiner Familie verloren hat. Durch den Hungerstreik sind wir alle schon etwas geistig beeinträchtigt (mentally disturbed).» Mit seinem Bart, der Mütze und der Kapuze darüber und dem durchdringenden Blick, schaut dieser Flüchtling wie ein Revoluzzer aus. Ein Film- und Fernsehjournalist befragt ihn gerade. «Unsere Forderungen sind keine einfachen», sagt der Flüchtling. «Wir wollen einen legalen Status und Reisedokumente. Die Mentalität in Österreich macht den Flüchtlingen nur Vorwürfe.» «Was muss passieren, damit ihr den Hungerstreik beendet?», fragt der Fernsehjournalist hartnäckig bereits zum zweiten Male, seine Stimme wird lauter. «Wenn wir unsere Rechte erhalten. Wir sind schwach, wir tragen eine Menge Probleme im Herzen, und wir kämpfen gegen das System und die Welt», ist die Antwort. «Wir wollen keine warmen Plätze oder Erleichterungen haben.»
Dieser Mann, der erschöpft und müde ist, weil sein Bruder vor kurzem erschossen wurde und gerade in seiner pakistanischen Stadt dreißig Menschen durch einen Selbstmordattentäter in die Luft flogen, scheint nicht einmal einen kleinen Ausweg zu sehen. «Hören Sie genau zu», sagt er in die Kamera des Fernsehjournalisten hinein: «Das ist wie ein Krebs. Die Leute sind innen tot. Sie können sich umbringen. Es gibt eine Menge Menschen hier, die wie Kinder sind.» Es klingt wie eine eindringliche Warnung.
Die Politik findet keine adäquate Antwort, sie scheint mit diesen vierzig selbstbewußten, sturen Flüchtlingen voller Trauma-Energie überfordert zu sein. Was das Wort «Grundversorgung» bedeutet, kann dieser Flüchtling nicht erklären, er fordert, dass nicht mehr nach Ungarn abgeschoben werden darf und verlangt eine neutrale Instanz, um die Asylfälle zu überprüfen ähnlich dem Verwaltungsgerichtshof wohl, der von der schwarzblauen Regierung gekippt wurde. Denn der «neue» Asylgerichtshof hört die Flüchtlinge nicht einmal mehr an, sondern entscheidet rein nach schriftlichen Angaben. Die Richter_innen machen sich kein persönliches Bild mehr. «Ist das eure letzte Chance?», fragt der Fernsehjournalist. «Habt ihr nichts mehr zu verlieren?»
Gedächtnisverlust durch den Hungerstreik
«Wir waren im Lager in Traiskirchen im Gefängnis, nun befinden wir uns im Gefängnis in Gottes Haus und können nicht heraus, denn dann würden wir verhaftet.» Shajahan studierte in Lahore an der Panjab Universität Massenkommunikation, er ist ein freundlicher, höflicher Typ, der ständig «my dear» zu mir sagt. Die Taliban entführten ihn in ihr Zentrum, um einen Kämpfer aus ihm zu machen. «Aus armen Waisenkindern machen sie durch Gehirnwäsche Killer», erzählt er. «Mich fütterten sie mit Steroiden in der Milch zum Muskelaufbau. Ich nahm zehn Kilo zu. Mit mir war mein Freund, ein starker Junge voller Energie. Er hatte die Idee, dass wir abhauen, wenn die Taliban ihre Gebete sagen.» Nach zwanzig Tagen Haft sprangen die beiden über die Mauer, sein Freund aus Rawalpindi wurde mit vier oder fünf Schüssen getötet. «Ich überlegte, ob ich mich tot stellen soll, versteckte mich dann aber schnell in den Büschen. Mein Freund hatte keine Chance.» Hier in Österreich, einem Hort für Demokratie und Menschenrechte, verlor Shani hingegen bereits einige Kilo und sieht sehr mager aus, war auch schon im Spital, wo er Infusionen erhielt. «Bei den Taliban war ich geistig beeinträchtigt», sagt er, «hier beginne ich durch den Hungerstreik meine Erinnerung zu verlieren.» Dann sagt Shani noch, dass er auch als Muslim Jesus gerne mag und dass die Taliban immer mit dem Islam argumentieren würden. «Sie sagen immer, in unserem Islam. Aber es ist nicht ihr Islam. Der Islam erlaubt es nicht zu töten oder sich umzubringen. Terroristen haben keine Religion. Sie sind wie Tiere.»
Draußen im Dunkeln vor der Votivkirche steht ein Mann und schwenkt seine rote Dokumentenmappe: «Ich bin gekommen, um mein Zelt neben den Flüchtlingen aufzuschlagen», ruft er. «Ich will den Flüchtlingen sagen, dass sie sich lieber ein anderes Land suchen sollen, das freundlicher ist.» Zdravko verliert gerade seine Wohnung bei dem Verein «Wieder Wohnen», weil er seit Juli wieder als Betonfahrer arbeitet und die Wohnung nicht für Arbeitende gedacht sind. Der Serbe, der von seinen Eltern verlassen wurde und bei seinen Großeltern in Belgrad aufwuchs, wollte seinen Sohn nicht im Stich lassen. «Ich bin Vater von zwei Österreichern», tönt er immer wieder. Sein Sohn, der sich nach Problemen stabilisieren konnte, wurde ihm nun vom Jugendamt offiziell übertragen. Wenn Zdravko aber obdachlos ist und keine Meldeadresse hat, wird er den Sohn wieder verlieren. Eine Gemeindbauwohnung wurde ihm ohne Begründung abgelehnt, und die Kommission tagt erst wieder im Mai. Provision und Kaution kann er nicht zahlen, allein 300 bis 400 Euro für Miete. Auch Zdravko sucht dringend nach einer Lösung, denn er will ähnlich den Flüchtlingen nicht «in Luft sein».