Das lange Nachdenken des Michael H.tun & lassen

Anlässlich der 8. Internationalen Woche des Grundeinkommens:

Von 14. bis 20. September fand die 8. «Internationale Woche des Grundeinkommens» statt – mit einer Vielzahl von Veranstaltungen rund um den Erdball – von Beijing bis Wien. Martin Birkner berichtet über einige davon, über die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens und die damit verbundenen eher langfristigen Perspektiven in unserer Stadt.

Illu: Much

Mit einer Unzahl an Veranstaltungen machten die Befürworter_innen des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) auf allen Kontinenten die Stärke und Vielheit der Bewegung sichtbar. Auch hierzulande gab es jede Menge Diskussionen, Vorträge und Aktionen. Die beteiligten Initiativen sind breit gestreut: Das Spektrum reicht von Arbeitslosengruppen über Attac! bis hin zu kirchlichen Organisationen und politischen Parteien. Bei letzteren ist die Mehrzahl allerdings eine glatte Übertreibung: Von allen bei der Gemeinderatswahl antretenden Listen findet sich nur bei der Allianz «Wien anders!» die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Grundeinkommen statt Prekarisierung!

Woher aber kommt die gegenwärtige BGE-Konjunktur? Der Sozialphilosoph Karl Reitter brachte es bei einer Veranstaltung im «7stern» auf den Punkt: Es ist kein Zufall, dass die Grundeinkommens-Forderung parallel zum Erstarken von Neoliberalismus und Prekarisierung breitenwirksam geworden ist. Und zwar nicht, wie manche Kritiker_innen behaupten, weil sie selber dem Neoliberalismus Vorschub leistet, sondern weil sie eine adäquate linke politische Antwort darauf ist. Bei der genannten Veranstaltung wurde anhand zweier Beiträge zum BGE-Schwerpunkt der Zeitschrift «Volksstimme» auch über feministische Aspekte des Grundeinkommens gesprochen: Dieses ist nämlich auch als monetäre Abgeltung für (bislang) nicht bezahlte, jedoch gesellschaftlich notwendige und nützliche Tätigkeiten zu verstehen. Gerade die oft von Frauen geleistete Haus- und Pflegearbeit würde dadurch finanziell anerkannt – und das ist in einer Gesellschaft, in der vor allem über Geld bewertet wird, nicht gerade wenig.

Arbeitsloseninitiativen prägten im Zuge der großen Streikwelle in Paris 1995 den Slogan: «Arbeit ist ein Recht, Einkommen ist Pflicht!» Damit artikulierten sie eine wichtige Bedeutungsverschiebung gegenüber der alten Arbeiter_innenbewegung, die damals wie heute Wachstum und Vollbeschäftigung als allein seligmachende Positionen vertritt. Mit der Pflicht zum Einkommen war und ist eine Perspektive verknüpft, die Erwerbsarbeitslosen zu einem Leben in Würde und ohne Armut verhilft.

Das «Nein» und die Millionärstochter

Der vielleicht wichtigste Punkt allerdings liegt in der Möglichkeit, «Nein» zu sagen: «Nein» zu miserablen und prekären Jobs, zu immer längeren Arbeitszeiten – aber auch «Nein» zu Gewalt in persönlichen Beziehungen. Die mit einem Grundeinkommen sichergestellte ökonomische Unabhängigkeit erlaubt darüber hinaus ein nicht-prekäres Engagement in solidar-ökonomischen und anderen sozialen und politischen Projekten und würde nicht zuletzt deshalb einen wichtigen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt leisten. Ja, und auch der Millonärstochter würde das BGE, wie eine Besucherin einer Veranstaltung in der ÖGB-Buchhandlung mit einem Schmunzeln, aber durchaus treffend meinte, ein sinnvolles Leben und Tätigsein in Freiheit von den Zwängen ihrer Familie und den damit verbundenen Verpflichtungen ermöglichen.

In letzter Zeit machten verstärkt Meldungen über geplante Grundeinkommensexperimente die Runde. In Finnland prüft ausgerechnet die rechte Regierungskoalition einen Modellversuch, und auch die Niederlande versuchen es auf kommunaler Ebene. So wird zum Beispiel in der Stadt Utrecht in Kürze ein wissenschaftlich begleitetes BGE-Experiment durchgeführt. Österreich hinkt demgegenüber – wie so oft – deutlich hinterher. Dabei könnten kommunale Experimente wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen eines BGE schaffen.

Die Unklarheit über die sozialen Auswirkungen ist überhaupt oft eines der Hauptargumente der Gegner_innen, anstatt dass sie im Rahmen der Offenheit menschlicher Geschichte als Chance begriffen wird. Rechte wie linke Kritiker_innen scheinen sich schwer zu tun mit einem Verständnis der Grundeinkommensforderung, das eine Einführung als mögliches Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen versteht. Das Grundeinkommen ist weder die Lösung aller Probleme noch der Ersatz für eine postkapitalistische Transformation der Gesellschaft, es würde allerdings deutlich bessere Voraussetzungen dafür schaffen. Dafür kann sich offenbar selbst Bürgermeister Häupl erwärmen. Nicht unmittelbar im Wahlkampf, «aber danach werde ich im hohen Ausmaß Nachdenklichkeit für ein solches Einkommen signalisieren, weil das jetzige System der Sozialhilfen, Familienhilfen und sonstigen unübersichtlich ist und nach dem Almosen-Staat der Vergangenheit riecht», lässt er uns via News Anfang Oktober ausrichten – im Jahr 2005.

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