Porträt: Kosilo und das kleinste Theater Wiens
8. Bezirk, Neudeggergasse. Im ehemals kleinsten Theater Wiens erfahren Katia Schwingshandl (Text) und Michael Bigus (Foto), wie man blöde Briefe schreibt, was das Scheitern zur Kunst macht und wann es sich anbietet, der Polizei Geschichten vorzulesen.
Das kleine Haus in der Neudeggergasse in der Wiener Josefstadt könnte man ohne weiteres übersehen. Erst das Klingelschild verrät, was sich darin verbirgt: das Theatro Kosilo nämlich, einst das kleinste Theater Wiens. Auch wenn es zurzeit nicht in Betrieb ist, ist das Haus einen Besuch wert, wohnt hier doch der Theaterherr selbst und weiß allerhand aus seinem Leben zu erzählen.
Das kleinste Theater Wiens.
Aber von Anfang an. Walter Kosar, genannt Kosilo, öffnete 2002 einen kleinen Raum im Erdgeschoß seines Wohnhauses, der ursprünglich als Coachingraum gedacht war, für ein kleines, aber feines Theaterpublikum. Mit seinen achtzehn Sitzplätzen durfte es sich unter allen Wiener Kleintheatern einige Zeit lang den Titel der Kleinsten Bühne der Stadt auf die Fahnen heften. Warum das Theater tatsächlich nur achtzehn Sitzplätze hat? «Ganz einfach», schmunzelt Kosilo, «ab dem neunzehnten Sitzplatz benötigt man einen beleuchteten Notausgang.» Das habe ihm der damals zuständige Theaterpolizist zugeflüstert. Seit ein paar Jahren ist das Theater unbespielt – liegt quasi brach. Man könnte darin aber jederzeit wieder drauflosspielen, er warte nur auf eine neue Gelegenheit, versichert der Hausherr.
Mit einer Prise Zufall.
Man glaubt Kosilo, wenn er das sagt, denn seine Theatergeschichte ist erstaunlich. Begonnen hat er mit Straßentheater im zu damaligen Zeiten unglaublich liberalen Kalifornien. Mit Puppentheater und Clowntheater hat er sein Kunstschaffen in Wien fortgesetzt, sein Weg hat ihn in den 80er-Jahren schließlich bis ans Burgtheater unter George Tabori geführt. Auch dazu kann Kosilo, dessen Spitzname zufällig auf Slowenisch «Mittagsmenü» heißt, Geschichten erzählen. Immer schon sind bei ihm Bühnen- und Lebenserfahrungen eng verknüpft. Sein Motto war seit jeher, Zufälle in sein Theater miteinzubauen. Als etwa bei einem seiner ersten Auftritte als Clown bei den Wiener Festwochen ein Betrunkener auf die Bühne torkelte, war Kosilo heilfroh. Allein wäre es wohl ein Debakel geworden. «Das kleine dürre Manderl kam aus dem Himmel», lacht er, «alle dachten, das sei inszeniert!» Auch bei seinem ersten Kontakt mit Tabori war der Zufall auf seiner Seite – in diesem Fall in Gestalt der Pollenzeit. Denn als er sich zu Beginn des Vorsprechens seine Clownsnase aufsetzte, fiel sie ihm im gleichen Moment durch einen heftigen Niesanfall wieder hinunter und kullerte dem Theatermacher direkt vor die Füße. Der war, wie schon das Publikum bei den Festwochen, begeistert und Kosilo engagiert.
Das Leben als Bühne.
Wenn Kosi, wie ihn seine engen Freund_innen nennen, so lacht, muss man mitlachen. Das besondere beim Straßentheater sei, dass die Leute einfach vorbeigingen, wenn ihnen was nicht gefalle. «Da weißt du immer, wo du stehst.» Wo man steht, ob auf der Bühne oder im Leben, ist in manchen Situationen fast untrennbar. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch seinen Werdegang und passt auch zu seinem zweiten Standbein, den Seminaren für Unternehmen – zuletzt für einen Teil der Belegschaft des Orthopädischen Spitals in Speising. Auch dort vermittelt er die Botschaft, dass Scheitern dazugehört, und bringt die Leute im wahrsten Sinne des Wortes dazu, sich ins Rampenlicht zu stellen. Lange Jahre hat er auch Unternehmenstheater betrieben. Zwar hat dieser Hype seit einiger Zeit konstant abgenommen, doch der Erfolg von früher strahlt immer noch aus. Für sein Unternehmenstheater hat Kosilo große Firmen über einen langen Zeitraum hinweg genau unter die Lupe genommen, jeweils dutzende Interviews geführt, die Zitate von Leuten aus der Führungsetage bis hin zum Putzpersonal dann zu einem Theaterstück verwoben und das im Auftrag der Firmen auf die Bühne gebracht. Nur ein weiteres Beispiel für die Umtriebigkeit und Findigkeit des ausgebildeten Theaterpädagogen.
Komische Korrespondenzen.
Das mitunter größte Projekt aber, dessen Aufführungsort schließlich auch das Theater in der Neudeggergasse war, sind Blöde Briefe an g’scheite Leute. Wenn er auch weltweit nicht der Erste war, der auf die Idee kam, Prominenten oder Firmen blöde Briefe zu schreiben, Rückporto beizulegen, und auf ebenso blöde Antworten zu warten, so war er es doch zumindest in Österreich. Daraus entstand ein Buch, der erste Band explodierte bald ob der Vielzahl der Antworten, und auch die zweite Auflage war schnell zum Bersten voll mit absurd komischer Realsatire in Briefform. An die Nationalbank etwa schickte er als Bankräuber mit Grippe einen Brief mit der Bitte, sie mögen ihm doch zwei Billa-Sackerln voll mit Geld vorbeibringen, er sei leider ans Bett gefesselt. Auf diesen Brief folgte dann keine Antwort, sondern eine Truppe WEGA-Beamter, die auf Nummer sicher gingen und dem vermeintlichen Verbrecher einen Besuch abstatteten. Wieder eine Gelegenheit für Kosilo, eine Konfliktsituation zu seinen Gunsten zu verkehren: «Das ist wie im Kampfsport.» Der Einsatz endete damit, dass Kosilo den gebannt lauschenden Beamten eine Stunde lang aus seinem Buch vorlas. Wie vielen andere Zuhörer_innen im Laufe der Jahre auch – ganze sieben Jahre hielt er szenische Lesungen aus dem Buch auf der kleinen Bühne. Daneben gab es, seiner Herkunft treu bleibend, einmal die Woche Clown- und Kindertheater. Er hätte sich, sagt er, mit seinem Straßen- und Kindertheater ohnehin das schwierigste Publikum ausgesucht, weil «wenn du die Kinder nicht faszinierst, holen die heute einfach das Handy raus. Er hielt es immer mit der Kampfsport-Regel: Da muss man von Anfang an hundert Prozent geben. Am besten beginne man, wenn man gleich mal «Ich hasse Kinder!» in die Kindermenge rufe. So ist die erste Grenze überschritten, und es kann munter weitergehen.
Seitenverkehrt.
Generell schert sich Kosilo relativ wenig um Grenzen. Aber wenn er sie hinter sich lässt, dann immer mit viel Gefühl. Die Kinder, die er hasst, lieben ihn am Ende. Und wenn er wieder einmal auf Polizeibeamt_innen trifft, dann kann es schon sein, dass sie, Kosilo sei Dank, über das ganze Gesicht strahlend jonglieren, sobald er sie wieder verlässt. Seine Strategie ist unschlagbar. «Am Ende sind alle auf deiner Seite!» Einmal habe ihm, als er Ordner bei einem Konzert in der Stadthalle gewesen ist, ein aggressiver Kerl ununterbrochen auf den Kopf geschlagen. Kosi hat nicht lange gezögert, hat ihn kurzerhand am Arm auf die Gegenseite der Ordner gezogen und es war Ruhe. «Der Typ war ur stolz! Ich hab ihm quasi einen Rang verliehen.»
Wenn man dem ehemals Kleinsten Theater Wiens einen Besuch abstattet, hört man nicht nur abertausende Geschichten. Auch die Theatergeschichte könnte bald wieder aufgenommen werden, doch verraten wird da noch nichts. Nur, dass die szenischen Lesungen aus den Blöden Briefen ein Ende gefunden haben, ist sicher. «Die blöden Briefe hab ich schon so oft gespielt, die sind schon blöd.» Vielleicht folgen Lesungen aus den zahlreichen Fehlinterpretationen seines Namens in den Medien. Oder er erzählt aus seinem Leben, das reines Theater ist. Das kleine Haus in der Neudeggergasse wird den Besuch dann auf jeden Fall wert sein.