Bibliotick
Eines Tages im Herbst 2008, schreibt der Lektor Rainer Götz, fragt eine Frau am Telefon, ob ihr Manuskript bei ihm eingelangt sei. Und ob sie das Verlagsprozedere – Reihenfolge des Posteingangs – beschleunigen könne, «wenn ich Ihnen sage, dass ich schon 85 bin».
Ilse Helbich war zu diesem Zeitpunkt kein Neuling am Literaturmarkt. Ihr Debüt, den autobiografischen Roman Schwalbenschrift, hatte sie mit 80 veröffentlicht, und im Rundfunk wie im Tageszeitungs-Feuilleton war sie schon seit den 1970er-Jahren aktiv. Aber ihre Zusammenarbeit mit dem Literaturverlag Droschl führte dazu, dass Helbich plötzlich in aller Munde war. Wer ist diese Frau?
Eine Reihe von Antworten gibt das ziegelförmige Buch Ich möchte noch einmal irgendwo fremd sein, das «Texte aus allen Phasen ihrer Schreibbiographie» versammelt und durch Geschriebenes über und Interviews mit Ilse Helbich ergänzt – darunter auch ein Gespräch, das Nadine Kegele für den AUGUSTIN führte. Die Herausgabe von Helmut Neundlinger und Fermin Suter ist ein erstes Ergebnis der Durchsicht von Helbichs literarischem Vorlass, der 2017 an das Land Niederösterreich ging.
Von traurigen Begegnungen mit der Großmutter, die kindliche Dichtungen nicht zu ehren weiß, über humorvoll beschriebene mit einem Gerichtsvollzieher, der Helbich bei einem Kaffee unter- und aufhält, bis zu jenen gedanklichen mit Wittgenstein, dem sie ihre Zeit gerne und intensiv widmet, erzählen die teils bereits publizierten, teils zum ersten Mal der Öffentlichkeit übergebenen Texte. Es ist das Schreiben einer Klassen- und Selbstbewussten, einer Scharfsichtigen, einer Betrachterin der Zwischenräume, einer, die Erwartungen nicht entspricht, wenn die Erwartungen ihr nicht entsprechen: «Was passiert nach dem Tod?», fragt ihre Enkelin. «Darüber denke ich nie nach – es interessiert mich eigentlich nicht.» Näher liegt ihr der irdische Optimismus: «Und schau, das Leben trägt. Zu seiner Stunde kann jeder übers Wasser gehen.»
Helmut Neundlinger, Fermin Suter (Hg): Ich möchte noch einmal irgendwo fremd sein. Ilse Helbich, Schreiben im Gegenwartszustand
Literaturedition Niederösterreich 2019
256 Seiten, 22 Euro