Das Lied ist eine WaffeArtistin

Gruppen wie Homens Da Luta oder Deolinda rütteln die «Verlorene Generation» auf

In Portugal macht sich wieder einmal eine revolutionäre Stimmung breit, zum ersten Mal seit der «Nelkenrevolution» des Jahres 1974, an der der Faschismus krepierte. MusikerInnen haben im aktuellen Aufstand gegen einen extremen Sparkurs, den die Merkelbande dem Land aufzwingen will, einen Einfluss, von dem die Gebrüder Marx (mit dem Song «Hättma kenntma mochma oba ned» Sieger des Protestsongcontests 2011 im Rabenhof Theater) nicht einmal träumen. Eine dieser jungen Revo-Bands wird Portugal in Düsseldorf vertreten (14. Mai 2011).Die VoterInnen des Eurovision Song Contestes haben die Wahl zwischen einem Ozean der Belanglosigkeit und einer Insel der zivilen Wut und des zivilen Muts. Naturgemäß werden sie sich für die Belanglosigkeit entscheiden, denn die meinungsmachenden Medien fühlten sich nicht verpflichtet, die sozialen Hintergründe des Düsseldorf-Abenteuers des Sextetts zu beleuchten; dass der Name der Band, Homens Da Luta, mit «Männer des Kampfes» zu übersetzen ist, und ihr Düsseldorf-Beitrag mit «Die Revolte macht Freude», untergräbt die Normen des Entertainments.

Dass die Männer des Kampfes Portugal vertreten, ist der Verallgemeinerung der Wut auf das Ansinnen, die Bevölkerung möge doch bitteschön die Kosten der Aufrechterhaltung des verbrecherischen Bankensystems tragen, zu verdanken. Die offiziellen Juroren hatten sich für den entschieden anständigeren Sänger Nuno Norte entschieden, der dann auch noch gegen die Regeln der Künstlersolidarität verstieß und dem Publikum erklärte, warum es ihn und nicht die Rebellen wählen sollte: «I wouldn’t choose Homens Da Luta to represent Portugal because they portray an image of the past, that is not who we are anymore.» Aber Nortes öde Leier von der Antiquiertheit revolutionären Handelns zog nicht mehr. Die TelevoterInnen stimmten die Jury nieder, sie stimmten für den Widerstand, sie stimmten für die Musiker, deren letzte CD den schönen Titel «Das Lied ist eine Waffe» trägt.

Es wäre noch eine zweite Band zu nennen, der es gelingt, zehntausende Menschen zu mobilisieren und die größten hauptstädtischen Plätze mit Unzufriedenen zu füllen: Deolinda. Ihr Song «Parva que sou» (Wie dumm bin ich) ist zu einer Hymne der jungen DemonstrantInnen geworden. Ich bin von der Generation ohne Gehälter, aber das ist mir wurscht, die Welt ist so beschissen, dass man studieren muss, um Sklave zu sein. In dieser Stimmung fließen die Strophen so dahin.

Mediterrane Ost-West-Energierströmung

Wer im Zusammenhang politischer Kämpfe den Terminus «Generation« verwendet, betont in der Regel das gemeinsame Alter, die «Jugendlichkeit» als Charakteristikum der Protestbewegung, anstelle von sozialen Kriterien, die den Begriff «Klasse» nahelegen würden. Die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenklasse haben denn auch ihre Probleme mit den jungen «Unpolitischen». Diese aber können inzwischen ebensoviel oder auch mehr Unzufriedene auf die Straße bringen als die KommunistInnen, die Gewerkschaften und die anderen Linksparteien; wie die ägyptische und die tunesische Bewegung hatten Facebook-Manifeste eine initiierende Rolle, und die Selbstbezeichnung der abseits der Parteien und Ideologien in Bewegung Geratenen lautet seit dem Jänner des neuen Jahres: Geração à rasca (deutsch sinngemäß: Generation in der Bredouille bzw. Verlorene Generation).

Am 12. März folgten fast eine Drittelmillion Menschen dem Demo-Aufruf der Verlorenen Generation in Lissabon, der portugiesischen Hauptstadt. In der zweitgrößten Stadt Porto gingen parallel dazu 80.000 Leute auf die Straße. Allen fiel auf, dass der Geist des Kairoer Tharir-Platzes über der von LissabonerInnen vollgefüllten Avenida da Liberdade schwebte diese eher spirituelle Vorstellung eines Energieflusses über das Mittelmeer hinweg, ein ebenso romantisches wie aktivierendes Bild von der mediterranen Eintracht der Unzufriedenen, verbreitete sich in einer urbanen Bewegung, die sich als «spontan, überparteilich, friedlich und säkular» bezeichnet.

«Wir, Arbeitslose, Fünfhundert-Euro-Jobber und andere Unterbezahlte, Ausgebeutete, Leiharbeiter, Zeitarbeiter, feste Freie, Aushilfskräfte und Gelegenheitsarbeiter, Praktikanten, Stipendiaten, Abendschüler, Studenten, Mütter, Väter und Kinder Portugals. Wir, die wir diesen Zustand bis jetzt mitgetragen haben, sind heute hier, um unseren Beitrag zu leisten und einen Wandel des Landes zum Besseren zu entfesseln. Wir sind heute hier, weil wir die prekäre Situation, in die wir gedrängt wurden, nicht länger hinnehmen wollen.» So begann das Manifest der Verlorenen Generation, das zur Lissabonner Demo mobilisierte. Und so endete es: «Wir sind die Generation mit dem höchsten Bildungsniveau in der Geschichte des Landes. Lassen wir uns also nicht aus Trägheit, Frust oder Perspektivlosigkeit entmutigen! Wir protestieren nicht gegen andere Generationen. Wir können und wollen nur nicht länger darauf warten, dass sich die Probleme von alleine lösen. Wir protestieren für eine Lösung und wollen selbst ein Teil der Lösung sein.»

Um den dem portugiesischen Volk vor allem von Deutschland als mächtigsten EU-Land aufgezwungenen Sparkurs im Parlament zu Fall zu bringen, waren dann doch die Nein-Stimmen der Abgeordneten der KP und anderer Linksparteien nützlich. Dass in der entscheidenden Sitzung vom 23. März aber auch die konservative PSD gegen den Sparexzess der SP-Regierung votete, ist der korrekten Einschätzung der Stimmung «da draußen» durch die konservativen ParlamentarierInnen zu verdanken. Ministerpräsident Socrates (PSP) ist zurückgetreten, Portugal steht vor Neuwahlen. Vielleicht finden die gleichzeitig mit dem Song Contest statt, vielleicht haben dann sowohl in Düsseldorf als auch in Lissabon die Homens Da Luta ihren Spaß dabei.