Das Mädchen, die Kunst, die KatastropheDichter Innenteil

Sascha Putrja aus der Ukraine schenkte der Welt 1500 Bilder

1500 Bilder hat Sascha Putrja, das Mädchen aus der ukrainschen Stadt Poltawa, hinterlassen. Wenige davon sind auf diesen beiden Seiten zu sehen. Die Galerie ist unser Beitrag zum 26. April 1986 – dem Tag vor genau drei Jahrzehnten, an dem in Tschernobyl die bisher größte Kernkraftwerkskatastrophe der Welt stattfand. Saschas sensationelle bildnersche Kompetenz steht ebenso wie ihr Tod (im Alter von elf Jahren) in einem Zusammenhang mit den Strahlen aus Tschernobyl.

Grafik: Sascha Putrja

Poltawa liegt 373 Kilometer Luftlinie entfernt von Tschernobyl. 1942 befand sich hier das Hauptquartier der nazideutschen Heeresgruppe Süd, die den Befehl hatte, Stalingrad zu erobern. Die 310.000-Einwohner-Stadt liegt östlich von Tschernobyl blieb von den giftigsten Wolken verschont, die in andere Richtungen zogen. Dennoch war die Stadt stark betroffen von der Katastrophe. Das begann damit, dass Hilfsbrigaden aus Poltawa ohne Schutzmaßnahmen in das verseuchte Katastophengebiet geschickt wurden. Viele Überlebende aus Tschernobyl wurden in Poltawa angesiedelt. Die Entfernung rechte nicht aus, um zu verhindern, dass sich auch hier die Fälle von Blutkrebs und verschiedenster Tumore signifikant häuften. Eines der Opfer von Tschernobyl war das an Leukämie erkrankte Mädchen Sascha Putrja, geboren 1977, gestorben drei Jahre nach dem Supergau.

Neben dem rapiden Anstieg der Schilddrüsenkrebserkrankungen – ein Plus von 1800 Fällen wurde nach der Katastrophe registriert – war die Explosion der Leukämie-Opfer die am exaktesten dokumentierte Gesundheitsfolge. Insbesondere unter Kindern und Aufräumarbeiter_innen wütete diese Krankheit. Immer mehr wurde über die Langzeitwirkungen bekannt. 1988 waren noch zwei Drittel der aus der unmittelbaren Gefahrenzone Evakuierten als gesund eingestuft worden; heute sind es weniger als ein Viertel.

In der Ukraine gilt Sascha Putrja als eine Legende. Als ihre Werke erstmals in Poltawa ausgestellt wurden, hieß es In einem Ausstellungskatalog: «Wir haben es nicht verdient, dieses Geschenk entgegenzunehmen, weil wir alles der Wissenschaft der Vernichtung opferten und nichts für die Wissenschaft des Überlebens». Dazu passt die zynische Bemerkung des sowjetischen Strahlenmediziners Lichtarjow bei einer Konferenz in Bonn: «In Hiroshima und Nagasaki sind auch nicht alle Bewohner gestorben!»

Mit Pinsel und Bleistift bekämpfte sie ihre Verzweiflung

Sascha malte seit ihrem dritten Lebensjahr. Zunächst malte sie wie alle Kinder: Tiere, Märchengestalten. Als das Mädchen wegen ihrer Leukämie nicht mehr aus dem Bett herauskam, malte sie das, was die Mutter ihr vorlas. Mit Pinsel und Bleistift bekämpfte sie ihre Verzweiflung, ihre Bilder wurden «erwachsener», wurden geradezu unkindlich präzise. In vielen Bildern ist Saschas Liebe zu Indien zu erkennen. Neujahr 1989 feierte sie mit ihrer Freundin in indischen Trachten, die sie sich selbst genäht hatten, kurz darauf starb sie.

Dass das Geschenk des todgeweihten Mädchens an die Welt auch in Österreich bekannt wurde, ist dem privaten Kulturaustausch-Engagement einer Weltbürgerin aus Wien zu verdanken, der Kunsterzieherin Waltraud Häupl. Viele kennen sie wegen ihres Beitrags zur vollen Aufdeckung der Todesmaschinerie, die unter dem Anstaltsarzt Heinrich Gross in der Jugendfürsorgeanstalt Spiegelgrund (Steinhof) wütete. Drei Standardwerke über die Ermordung von Kindern aus unteren sozialen Schichten in der Nazizeit hat sie geschrieben, nachdem sie erst gegen Ende der 1990er Jahre erfahren hatte, dass auch ihre kleine Schwester am Spiegelgrund Opfer der Kinder-Euthanasie geworden war. Ohne Waltraud Häupl wären die 600 Urnen mit den Überresten der Spiegelgrund-Opfer wahrscheinlich bis heute nicht in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt worden.

Die Eltern Sascha Putrjas – der Vater ein Bildhauer, die Mutter eine Musiklehrerin – lernte sie über den fast hundertköpfigen Chor «Kalina» aus Poltawa kennen, der auf Initiative Häupls 1991 zum ersten Mal in Österreich auftrat. Für Ende Herbst ist eine Ausstellung der Werke Sascha Putrjas auch in Wien geplant.

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