Bauunternehmer, Flüchtlinge und die Kunst in Klosterneuburg
Das noch vor dem Linzer Lentos schönste Kunstmuseum Österreichs wird mit erstem Juli zugesperrt. Mit in die Versenkung verschwindet das Atelier für die in der Magdeburg-Kaserne stationierten Flüchtlinge. Haselsteiner überführt die spektakuläre Kunstsammlung nach Wien berichten Kerstin Kellermann (Text) und Haiku Kilian Kupries (Fotos) aus Klosterneuburg.«Das Essl Museum ist, statisch gesehen, eine komplizierte Geschichte», erzählt der damalige Bauleiter Rudolf Hintermeier, der das Museum für zeitgenössische Kunst in Klosteneuburg hochzog. Architekt des hellen und offenen Gebäudes war Heinz Tesar. Inzwischen in Pension gibt Hintermeier fünfmal die Woche Deutschunterricht, für die jungen Flüchtlinge, die in der Magdeburg-Kaserne im Klosterneuburger Industrieviertel sitzen. «Damals liefen die Baumärkte spitze, man kriegte nie einen Parkplatz», erinnert sich Hintermeier. «Bauunternehmer Essl hat schon ordentlich verdient und konnte sich das Museum leisten. Erst durch die schlechter werdenden Ostgeschäfte ging alles ein. Er unterschätzte sicher die Mechanismen in den osteuropäischen Ländern.» Und wohl auch die Armut der Südosteuropäer_innen, nach der ersten Renovierungs-Euphorie im Anschluss an den Übergang, der «Transition» wie «die Wende» in Südosteuropa genannt wird.
Ein kleines Mädchen wird auf einen Stuhl gehoben und beginnt sofort freudig den Pinsel zu schwingen. Die Mutter lächelt. Jeden Freitag findet ein Flüchtlings-Atelier im Essl Museum statt, und es geht rund. In der Magdeburg-Kaserne sind hauptsächlich Jugendliche und Familien untergebracht. Heute porträtieren sich die Jungs gegenseitig, indem sie sich tief in die Augen schauen und quasi blind zeichnen. Großes Gelächter über die Ergebnisse ist die Folge. Ein Übersetzer in einem T-Shirt mit einem Anker darauf, erklärt den Flüchtlingen, dass sie sich ja nicht alleine die Ausstellung «Body and Soul» wagen sollen, sondern auf die gemeinsame Führung warten. Weiteres Gekichere, dann scheint es als Mutprobe zu gelten, seinen Namen auf die Liste für die Führung zu setzen.
15 Kunstvermittler_innen zu Beginn
«Am Anfang schickte uns die Caritas Flüchtlingsgruppen u. a. aus dem Aufnahmelager in Traiskirchen, oder wir fuhren mit unseren Malsachen in Einrichtungen nach Wien. Dann fragte uns die Caritas-Organisation Kompa, ob wir nicht für die Flüchtlinge aus der Magdeburg-Kaserne etwas tun könnten. Man darf nicht in die Kaserne hinein.» Mela Maresch ist seit 17 Jahren Kunstvermittlerin im Essl, sie ist schon seit der Eröffnung dabei. «Am Anfang hatten wir bis zu sechzig Flüchtlinge, zumeist Syrer und Afghanen.»
Die Kunstvermittlung verfügt über eine lange und starke Tradition, denn vor der Gründung schaute sich Herr Essl das Louisiana Museum in Kopenhagen an und war begeistert. «Dort gibt es das progressivste Kunstvermittlungs-Programm überhaupt, direkt integriert in den Ausstellungsbetrieb. 15 Kunstvermittler begannen anfangs im Essl und im Schömer-Haus, der Baumax-Zentrale mit Ausstellungsbetrieb, zu arbeiten!» Maresch betont die Niederschwelligkeit des Museums, die Volksnähe der Bild-Texte. «Von New York brachte Herr Essl die Idee der Bau-Großmärkte nach Österreich, die gab es vorher nicht. Sein Kunst-Fernstudium ließ er dann wegen der Firma wieder sein. Manchmal kam er nach der Arbeit zu uns in die Kunstvermittlung, stellte seine Aktentasche auf den Tisch und hielt uns einen kleinen Vortrag.» Maresch schmunzelt bei der Erinnerung. «Er beugte sich zu jedem Kind einzeln hinunter und schaute sich die Bilder an. Was hast du da gemalt?, fragte er.»
Einer der Flüchtlinge ist erst sechzehn, doch graue Haare durchziehen bereits seine Frisur. Ein anderer regt sich über die Schlaf-Säle mit fünfzig Menschen darin auf. «In Traiskirchen war es das Gleiche wie in der Magdeburg-Kaserne.» Der junge Hazara (Volksgruppe aus Afghanistan, Anm.) durfte bei seinem Geometrisch-Zeichnen-Lehrer einziehen und besucht nun die HTL. In der ehemaligen Kaserne, auf der früher ein Panzer am Dach stand, dürfen die Flüchtlinge anscheinend kein Essen mitbringen, nicht kochen und keine Freunde einladen. Doch sie erhalten Unterstützung beim Auszug: Der Verein «Klosterneuburg hilft» mit sechzig Aktiven hat inzwischen rund einhundert Flüchtlinge in Privatunterkünften untergebracht! Privatleute wie Frau Bischoff traten gegen das zu Beginn feindselige Klima gegen Flüchtlinge an und meisterten diese schwierige Arbeit. Oder Herr Hintermeier. Der erste Flüchtling, den er unterstützte, konnte den Asylrichter auf Deutsch überzeugen. Mittlerweile lebt der Gambier in Florida, besitzt einen Shop und hat Frau und Kinder.
Geld machen mit Kunst
Ein junger Mann mit einem roten Herz auf dem T-Shirt zeichnet völlig vertieft immer wieder das gleiche Gesicht und malt es in grellen Farben aus. Er heißt Yasser und will auf die Kunstakademie am Schillerplatz. Im Iran war es für Flüchtlinge aus Afghanistan nicht erlaubt zu studieren. Die Kunstvermittlerinnen des Essl förderten Yassers Mal-Obsession und Begabung. Was wird nun werden? Wenn Yasser Glück hat, erhält er die weiße Flüchtlingskarte, schafft es bis zum Museumsschluss am ersten Juli nach Wien zu übersiedeln und einen Professor oder Professorin von der Akademie mit seiner Mappe zu überzeugen.
In Klosterneuburg gehört viel Grund dem Stift Klosterneuburg, seit 2015 auch die Magdeburg-Kaserne, die quasi zwischengenutzt wird. Das Stift könnte locker, wenn es nur wollen würde, Herrn Essl und seinem engagierten Team, das Freiräume schafft und bespielt, unter die Arme greifen und die einmalige Infrastruktur für das gesamte Umland erhalten. Doch die Verantwortlichen sperrten bereits ihr eigenes ambitioniertes Kunst-Atelier zu. «Man kann ein Atelier einfach nicht kostendeckend machen», schüttelt Mela Maresch den Kopf. «Dort war sogar noch mehr los als bei uns!» Die verantwortliche Kunstvermittlerin Beatrice Jaschke leitet inzwischen das Ausbildungsprogramm für Kunstvermittler_innen auf der Angewandten. Yasser war schon einmal im Stift und erhielt eine Führung durch die Bibliothek. «Räume über Räume voll schöner alter Bücher …», schwärmt er begeistert.
Laut einem ORF-Bericht im «Kulturmontag» finanzierte das Land Niederösterreich dem Essl-Team das letzte halbe Arbeitsjahr, wollte aber ohne den Bund nicht weiterfinanzieren. Der Bauunternehmer Haselsteiner kaufte 60 Prozent der Sammlung und bestimmt nun, «wo es lang geht» (ORF). Haselsteiners Zugriff auf die Kunstsammlung Essl bedeutet nun, dass er statt in Klosterneuburg in Wien ausstellen möchte. Denn der Millionär kaufte sich ebenfalls in das arme Künstlerhaus am Karlsplatz ein! Für die notwendige Renovierung des Künstlerhauses mit den hohen Räumen und Holzböden verlangte Haselsteiner von den Betreiber_innen, dass er die Hälfte der Säle bespielen darf. Sein Kurator und Programmgestalter soll ausgerechnet der überbordende Albertina-Chef Schröder sein, Direktor eines Bundesmuseums.
Die 80.000 Essl-Besucher_innen pro Jahr, die Kunstvermittler_innen und die Flüchtlinge zahlen den Preis dafür. Wo werden Künstler wie Yasser abbleiben? Freiräume für die Kunst? Lockerungsmöglichkeiten für die Seele? Bauunternehmer Haselsteiner meinte im Fernsehen, dass ein Museum für zeitgenössische Kunst nach Wien gehöre … Er irrt gewaltig.