Das MAN-Werk in Steyr – Sittenbild der KFZ-Industrietun & lassen

MAN ist verkauft. Mitte Juni wurde der Deal über das Steyrer Werk mit Siegfried Wolf besiegelt. Statt Standortgarantie und Zukunftsorientierung stehen Kündigungen und Lohnkürzungen auf dem Programm.

Kommentar: Heinz Högelsberger
Illustration: Lisbeth Kovačič

Schon der Einstieg von MAN in Steyr verlief durchaus holprig. Die LKW-Fertigung war nämlich Teil des legendären staatlichen Steyr-Daimler-Puch-Konzerns (SDP). Dieser zeichnete sich durch Innovation und eine breite Produktpalette aus. Doch 1987 begannen die Filetierung und der Ausverkauf des Unternehmens. So ging 1990 die LKW-Sparte an MAN. Als Reaktion kam es in Steyr zu einem einwöchigen Streik, an dem 1.500 Beschäftigte teilnahmen. Auslöser waren Kündigungslisten und die Befürchtung, dass wichtiges Know-how verlorengehen könnte. Dies war nicht unberechtigt, denn aus einem Technologieführer in Sachen LKW-Antriebe wurde im Lauf der Jahre ein reines Fertigungs- und Lackierwerk. 1998 wurden übrigens die verbliebenen Reste des Steyr-Daimler-Puch-Konzerns weit unter dem tatsächlichen Wert an Magna verscherbelt. Auf Seiten von Magna wickelte ein gewisser Siegfried Wolf den Deal ab.

Das Märchen von der Standortgarantie.

Motivierte und gut ausgebildete Beschäftigte sorgten bei MAN in Steyr über viele Jahre für eine Erfolgsgeschichte. Noch im Jahr 2019 schloss das MAN-Management mit dem Betriebsrat eine Standortgarantie für Steyr bis zum Jahr 2030 ab. Wie immer, war die mit Zugeständnissen seitens der Belegschaftsvertretung erkauft worden. Doch nur ein Jahr später war schon wieder alles anders: Das Steyrer Werk sollte geschlossen und die Produktion nach Polen verlagert werden. Die Empörung über den gebrochenen Standort­vertrag war groß. Dazu muss gesagt werden, dass VW – der MAN-Mutterkonzern – selbst im Covid-Krisenjahr acht Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet hatte.
Da trat Investor Siegfried Wolf auf den Plan, um das Werk zu übernehmen. Allerdings zu seinen Konditionen: Er wollte sowohl die Belegschaft als auch deren Gehälter (minus 15 Prozent des Nettobezuges) drastisch reduzieren. Bei einer Urabstimmung – die er für bindend erklärte – lehnten zwei Drittel der Belegschaft sein Angebot dankend ab. Nun verschärfte MAN den Ton: Trotz voller Auftragsbücher wurden Leiharbeitskräfte «abgebaut». Zudem versuchte man, einen Keil zwischen Angestellte und Arbeiter_innen zu treiben. Für die Betriebsrät_innen wirkte all dies «wie eine Bestrafung». Dann, nach längerer Funkstille, erfolgte am 10. Juni 2021 die große Überraschung: Siegfried Wolf hatte nun doch das Werk in Steyr gekauft. Die versprochene «Nachbesserung» bestand im Wesentlichen darin, dass das Land Oberösterreich eine Forschungsstiftung für 150 Menschen ins Leben rufen wird. Von den rund 2.300 Mitarbeiter_innen sollen 1.250 und sämtliche Lehrlinge weiter beschäftigt werden. Bis zum Jahr 2023 wird MAN von der Wolf’schen Firma billig – es sind ja Lohnkürzungen geplant – LKWs fertigen lassen. Wie es danach weitergeht, ist unklar. Die Betriebsrät_innen pochen jedenfalls darauf, dass die Standortgarantie nun eben für Wolf gilt.

Fossil bis zum bitteren Ende.

Die europäische KFZ-Industrie hat absehbare Entwicklungen – Stichworte Elektrifizierung und Automatisierung – weder übersehen noch verschlafen. Sie hat vielmehr die Umbrüche einerseits durch Lobbying und Abgasbetrügereien bekämpft bzw. bewusst ignoriert; ganz nach dem Motto: Lieber heute maximale Rendite einfahren, als in Entwicklungen für morgen investieren. Da wird ein totes Pferd also bis zum Ende geritten. So stellte das MAN-Werk in Steyr im Auftrag des Konzerns im Jahr 2020 gerade einmal fünfzig (!) E-LKWs her. Das Potential wäre hingegen gewaltig: In allen Ballungsräumen könnten Unternehmen, Geschäfte, Supermärkte und Privatkund_innen elektrisch beliefert werden. Die Clean-Vehicles­-Direktive der EU wiederum verpflichtet öffentliche Stellen dazu, emissionsarme Fahrzeuge zu beschaffen. Das betrifft Dienstwägen genauso wie Linienbusse oder Müllautos. Auch Motorroller und Mopeds könnten schon längst elektrisch surren. Wie das geht, hat Steyr-Daimler-Puch schon 1972 gezeigt und ein Elektro-Moped entwickelt. Möglichkeiten und Nachfrage wären also vorhanden.
Langsam schwenken die deutschen Autohersteller um, konzentrieren aber die Herstellung elektromobiler Komponenten (E-Motoren, Steuerungselektronik, Batterien) rund um ihre Stammwerke. Den Zweigwerken – einerlei, ob in Steyr oder Polen – bleibt dann nur die Aufgabe, die «fossilen Auslaufmodelle» möglichst billig zu produzieren. Der internen Konzernlogik folgend, hat MAN keinerlei Interesse, dass in die Steyrer Werkshallen ein erfolgreicher potentieller Konkurrent einziehen würde. Auf der anderen Seite verfügt Österreich über eine leistungsfähige Maschinenbau-, Elektro- und Bahnindustrie. Das Know-how für eine längst fällige Mobilitätswende wäre also vorhanden. Was fehlt, sind eine konsequente Industriepolitik und der Wille, die Konzerne in die Schranken zu weisen.

Heinz Högelsberger arbeitet in der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien.