Das Mehrfachwahlrecht in der Landwirtschaftskammertun & lassen

Wie Raiffeisen «Demokratie» macht

Wer an Wahlen denkt, assoziiert damit meistens das demokratische Prinzip «eine Person – eine Stimme». Wer das Wahlrecht zu den Landwirtschaftskammern in Österreich betrachtet, muss sich neu orientieren: So manche Wähler_innen haben mehrere Stimmen. Profiteurin der Rechtslage: die Raiffeisenwelt.Die Landwirtschaftskammern in den Bundesländern sind die gesetzliche Interessensvertretung der Bäuer_innen in Österreich. Die Wahlrechtsordnungen sind Landesgesetze, und die Landwirtschaftskammern sind als Sozialpartner in Österreichs politisches Leben eingebunden. Nach außen treten Landwirtschaftskammern meist in Form der «Präsidentenkonferenz» auf. Die «Präsidentenkonferenz der österreichischen Landwirtschaftskammern» ist ein privatrechtlich organisierter Verein. Mitglieder per Statut sind die von den Kammertagen in den Bundesländern gewählten Präsidenten der Landes-Landwirtschaftskammern und ein Vertreter einer genauso privatrechtlichen Firma mit eigenen Interessen: des österreichischen Raiffeisenverbandes.

Wirklich spannend wird es, wenn das Wahlrecht zum Kammertag (oberstes Gremium einer Landwirtschaftskammer) auf demokratische Standards untersucht wird. Wer ist wahlberechtigt? Gibt es Wähler_innen, die mehrere Stimmen abgeben können? Zu wessen Gunsten wirkt diese Tatsache?

Eine Person – drei Stimmen

Das niederösterreichische Landesgesetz zur Wahl der Kammerräte der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer kann als exemplarisch angesehen werden; die Rechtssituation in den anderen Bundesländern ähnelt im Wesentlichen der Situation in Niederösterreich. Die Vollversammlung der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer besteht aus vierzig Mitgliedern. Diese werden von den Bäuer_innen gewählt. Aber nicht nur von den Bäuer_innen. Die Raiffeisenorganisation hat bei den Wahlen der Kammerräte genauso ihre Hand im Spiel, und das funktioniert so: Neben den Bäuer_innen sind ebenfalls die leitenden Mitarbeiter_innen der landwirtschaftlichen Erwerbsgenossenschaften wahlberechtigt. Hat ein Bauer («Bauer» muss in diesem Fall meist nicht gegendert werden) mehrere Funktionen, beispielsweise bei einer Molkereigenossenschaft, einer Imkereigenossenschaft und einem Maschinenring, so hat er auch mehrere Stimmen bei der Wahl der Kammerfunktionär_innen. In diesem Fall bedeutet ein Mehr an Stimmen nicht unbedingt ein Mehr an Demokratie, jedoch mit Sicherheit ein Mehr an Einflussmöglichkeit der Giebelkreuzler_innen und eine Festigung der Dreifaltigkeit ÖVP-Bauernbund – Landwirtschaftskammer – Raiffeisengenossenschaften.

Der Bauernbund und die Demokratie

Die Kammerräte in Niederösterreich werden alle fünf Jahre gewählt, für den ÖVP-Bauernbund dürfte es wenig Grund geben, über eine Demokratisierung der Verhältnisse nachzudenken: Bei den letzten Wahlen 2010 fielen 90,55 Prozent der Stimmen auf den niederösterreichischen Bauernbund. Ein Minus von 0,68 Prozent gegenüber den vorherigen Wahlen ließ sich verschmerzen.

Die Situation der Landwirtschaftskammerwahlen macht die Arbeitsteilung der kommunizierenden Gefäße ÖVP-Bauernbund – Landwirtschaftskammer –Raiffeisengenossenschaften deutlich: Der ÖVP-Bauernbund erledigt die politische Arbeit und sorgt im niederösterreichischen Landtag für das entsprechende Wahlgesetz. Die Funktionär_innen in den Landwirtschaftskammern gewährleisten die gewünschten Rahmenbedingungen. Den Raiffeisengenossenschaften bleibt der Part des Geschäfts.

Präsident der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer ist derzeit Ökonomierat Hermann Schultes. Schultes kann als die Personifizierung der Achse Bauernbund – Landwirtschaftskammer – Raiffeisen gesehen werden: Als ÖVP-Bauernbundfunktionär ist er Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat. Das Gesetzemachen für den Bauernbund lastet offensichtlich nicht aus, und so werkt er zusätzlich in der Raiffeisenwelt als zweiter Obmannstellvertreter des Raiffeisen-Revisionsverbandes Niederösterreich-Wien. Dies alles neben seiner Funktion als Kammerpräsident in Niederösterreich.

Zurück zu demokratischen Standards: «One person – one vote» bedeutet Wahlgleichheit. Wähler_innen mit mehr als einer Stimme sind damit nicht gemeint.