«Das Paradies»vorstadt

Lokalmatadorin

Cornelia Diesenreiter rettet in privaten Gärten Obst, das sonst achtlos vom Ast fallen würde. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).

Manchmal genügt ein Anruf, schon wenig später steht Cornelia Diesenreiter vor der Tür. So wie an jenem schönen Sommertag, als in einem Kleingarten im Prater ein Marillenbaum von der Last seiner reifen Früchte befreit werden wollte. Ihr Angebot an den Baumbesitzer: «Ich pflücke Ihr Obst und veredle es zu Aufstrichen, Gelees, Chutneys oder Schnaps. Sie müssen somit nicht mitansehen, wie es verfault, und erhalten für Ihre Kooperation einen kleinen Teil meiner Arbeit mit persönlichem Etikett als Kostprobe.»

Unverschwendet.at: So nennt sich Diesenreiters Geschäftsidee, die mehr ist als ein Geschäft. Dahinter steht auch das Ziel, die natürlichen Ressourcen dieser Stadt bzw. dieses Planeten besser zu nützen.

Während die Umweltmanagerin, die an der Universität für Bodenkultur studiert hat, im Baum sitzt und die Marillen brockt, bleibt Zeit zur Plauderei: Sie habe die Idee während ihres Studienaufenthalts in London kennen gelernt. Dort hat sie ein einjähriges Masterstudium in Nachhaltigem Produktdesign absolviert.

«In England muss man das Konzept von Zero Waste niemandem mehr erklären», betont Diesenreiter. «Dort werden auch Kleidungsstücke und Verpackungen wiederverwertet. Aus alten Lkw-Planen werden Taschen hergestellt, Kaffeesud wird zu Dünger.»

Besonders gut hat ihr das Projekt «rubies in the rubble» («Rubinen im Dreck») gefallen: «Obst, das am Abend auf Marktständen übrig bleibt, wird eingekocht.» Nach ihrer Rückkehr hat sie das Konzept in Wien weiterentwickelt – und vor eineinhalb Jahren ihre eigene Firma gegründet. Rubinen im Garten: Ihr ambitioniertes Ziel ist es, schon im kommenden Jahr nicht nur sich, sondern auch noch zwei anderen Menschen einen fixen Arbeitsplatz zu bieten.

Die 29-Jährige, die vor ihrer Firmengründung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften beschäftigt war, freut sich, sitzt sie doch auch heute auf dem längeren Ast: «Was gibt es Schöneres, als während der Arbeitszeit auf einen Baum zu klettern und die Sonne auf der Haut zu genießen?» Später wird sie hinzufügen: «Das Brocken ist schon anstrengend, damit erspar’ ich mir aber auch den Gang ins Fitnesscenter.»

Viel hat die Akademikerin im Marillenbaum als Kind von ihrer Großmutter gelernt: «Die Großeltern haben einen großen Bauernhof im Mühlviertel. Im Sommer durften mein Bruder und ich immer für zwei Wochen zur Oma. Das war für mich das Paradies, Abenteuer pur.» Sauerkraut machen, Klaräpfel und Kirschen brocken, Walnüsse in Likör einlegen – sie hat dort alles aus erster Hand gelernt: «Von einer alten Bäuerin.»

Szenenwechsel. Am Nachmittag steht die Firmengründerin, die auch ein Tourismuskolleg absolviert hat und daher als Köchin arbeiten darf, in einer modern ausgestatteten Küche in Süßenbrunn. Sie will die drei Steigen mit den saftigen Marillen so schnell wie möglich verarbeiten: «Damit ich ihren Geschmack bestmöglich bewahren kann.» Was sie selbst nicht schafft, übergibt sie an die freiwilligen Helfer_innen der Wiener Tafel.

Die Zusammenarbeit mit der «Tafel» ist ihr ebenso ein Anliegen: Zwei Mal pro Monat kocht sie in der Küche des Arena Beisl mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen aus dem Camp Erdberg ebenfalls Marmelade ein: «Ein großartiges Erlebnis. Die jungen Leute haben Spaß dabei. Nebenbei können sie auch Deutsch lernen.»

Diesenreiter setzt auf ausgefallene Rezepturen: «Oft entscheide ich spontan. Wenn ich zum Beispiel an einem Tag Ribisel und Karotten in der Küche habe, gibt es ein Ribisel-Karotten-Chutney.» Ihre liebste Marmelade war im Vorjahr Zwetschken-Holler mit Zimt. Am besten verkauft hat sich die karamellisierte Birne mit Holler.

Schnell hat sich ihre Idee in Wien und im Speckgürtel der Stadt herumgesprochen. So hat sie im ersten Jahr in 38 fremden Gärten geerntet und dabei auch eine ganze Reihe Wiener Kleingärten kennengelernt.

Auch die Nachfrage war im ersten Geschäftsjahr ermutigend: «Innerhalb von drei Wochen konnten wir 3000 Gläser absetzen. Schon vor Weihnachten waren wir komplett ausverkauft. Aber noch viel wichtiger ist für mich, dass sich die Gartenbesitzer_innen ebenso wie die Abnehmer_innen sehr zufrieden zeigten.»

Spätabends werden die letzten Marillen eingekocht. Die Jungunternehmerin ist sich dabei bewusst, dass sie mit ihrem Enthusiasmus haushalten muss, um sich nicht komplett zu verausgaben. Ihre Produkte sind extrem arbeitsintensiv.

Bisher hat Diesenreiter mehr als 900 kg Obst und 322 kg Gemüse vor dem Verfaulen gerettet. Wird es ihr Gerettetes auch mal im Supermarkt geben? Die Null-Müll-Vorreiterin lächelt: «Ein reizvoller Gedanke. Früchte, denen Konsument_innen schon einmal eine Absage erteilt haben, kämen durch die Hintertür, veredelt im Glas noch einmal in den Laden.»

Anderes freut sie im Moment, es ist der Geschmack der soeben verkochten Marillen. Nach dem Kosten sagt sie: «Das größte Kompliment ist für mich, wenn man sagt, dass meine Marmelade so schmeckt wie bei der Oma. Das ist das beste Qualitätssiegel.»

Mehr Infos, auch über den geplanten Stand am Schwendermarkt unter: www.unverschwendet.at.

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