Das Problem mit der „Treffsicherheit“tun & lassen

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Länder, die ihre Sozialleistungen hauptsächlich auf die Ärmeren konzentrieren, gehören zu den Ländern mit der höchsten Armut. Das hört sich seltsam an. Je treffsicher Sozialleistungen sind, desto geringer müsste doch die Armut sein. Ist sie aber nicht. Diejenigen Staaten, deren Sozialsysteme sich in erster Linie an „Treffsicherheit“ orientieren wie England oder die USA haben höhere Armutsquoten als Staaten mit egalitärem Bildungssystem und der Absicherung sozialer Risken für eine breitere Bevölkerung. Der Ökonom Michael Förster, beschäftigt an der OECD, kommt in einer vergleichenden Studie über Kinderarmut zum Schluss: „Jene Staaten, deren Sozialleistungen am ehesten als ,treffsicher‘ bezeichnet werden können, sind nicht diejenigen, welche Armut am effektivsten vermindern – eher im Gegenteil.Ein wichtiges Element bleibt die absolute Höhe der Sozialquote sowie die progressive Verteilungswirkung des Steuersystems. Die Wirksamkeit von Sozialstaffelung ist gerade bezüglich ihres Ziels der Armutsverringerung mehr als fraglich: Die Länder mit viel targeting gehören zu jenen mit höchster Armut und Ungleichheit

Dieser Zusammenhang wird auch ,Paradoxon der Verteilung‘ genannt: Je stärker die Leistungen auf die Armen konzentriert werden, desto unwahrscheinlicher wird eine Reduktion von Armut und Ungleichheit.

„Großzügige“ Staaten mit gebührenfreier Bildung für alle Kinder, Familienbeihilfen für alle Kinder können Armutsvermeidung weit besser verwirklichen als „treffsichere“ Systeme mit einkommensgetesten Leistungen, z.B. Familienbeihilfe nur für jene, „die sie wirklich brauchen“. Diese universellen Systeme, -universell weil sie für alle sind- wirken offensichtlich stark armutsvermeidend. Noch viel weniger tragen einkommensgetestete Leistungen zu einer generellen Verringerung der Einkommensunterschiede bei. Der potentielle Verlierer derartiger Leistungen ist der untere Mittelstand. Und es entstehen an den Einkommensgrenzen hohe Armutsfallen. Verdient man nur einen Euro mehr, fallen plötzlich alle Unterstützungen weg.

Durch die Einbindung der „Reichen“ wird die Bereitschaft, das Sozialsystem zu finanzieren, erhöht. Zu befürchten wäre, dass sich die Mittelschichten, wenn sie einzahlen, aber nichts herausbekommen, vom sozialen Ausgleich überhaupt verabschieden. In der Treffsicherheitstsfalle verlieren Sozialprogamme leicht die gesellschaftliche Unterstützung. In den USA wurde die Unterstützung für Familien mit Kindern, die in Armut leben abgeschafft. Das Programm war zu 100% zielgerichtet und genoss trotzdem -oder deswegen- keine politische und gesellschaftliche Unterstützung.

Weiteres Problem: Soziale Maßnahmen, die nur auf die Armen zielen, neigen dazu, armselige Maßnahmen zu werden: Poor services for poor people. Die Qualität sinkt: Schlechte Schulen, schlechtere Gesundheitsversorgung, Sonderlebensmittel und viel Beschämung für die Ärmsten. Da ist nicht mehr von Anspruchsberechtigung, sondern nur mehr von Bedürftigkeit – die andere definieren – die Rede. Der Treffsicherheitssstaat führt in eine Gesellschaft mit starker sozialer Spaltung. Nur allzu schnell verselbständigt sich der Trend weg von universellen sozialen Bürgerrechten hin zur aussondernden almosenhaften Armenfürsorge.