Das rote Wohnbau-Jubiläumtun & lassen

Immo Aktuell

Die Wohnbausteuer des Roten Wien gilt zu Recht als der Hebel für die Errichtung vieler Gemeindebauten. Doch sie war auch das Ergebnis einer verunmöglichten sozialen Revolution.

TEXT: CHRISTIAN BUNKE
ILLUSTRATION: MUCH

Der 1. Februar 2023 stellt ein für Wien bedeutendes ­Jubiläumsjahr dar. Vor genau hundert Jahren wurde mit der «zweckgebundenen ­Wohnbausteuer» (auf Mietobjekte, mit sozialer Staffelung von 2,1 bis zu 36,6 Prozent) die bedeutendste, so genannte «Breitner Steuer» eingeführt. Hugo Breitner war von 1918 bis 1933 Mitglied des Gemeinderats und langjähriger oberster Finanzdirektor der Stadt Wien. In dieser Zeit führte der sozialdemokratische Politiker eine Reihe von Luxussteuern ein, die gezielt die (Super-)Reichen der Bundeshauptstadt zur Kasse baten. Besteuert wurde unter anderem, wer Haushaltshilfen beschäftigte. Es gab Steuern auf Luxusgüter wie zum Beispiel Sekt und eine Vergnügungssteuer für die von der feinen Gesellschaft geschätzten Ballveranstaltungen.
Am Anfang war der Hass. Jede in Wien ­lebende Person wird den Schriftzug «erbaut […] aus den Mitteln der Wohnbausteuer» kennen, der an den während der Amtszeit Breitners errichteten Gemeindebauten prangt. Insgesamt 60.000 Gemeindewohnungen wurden bis zum Beginn des von der ÖVP-Vorgängerorganisation, der Christlichsozialen Partei (CS) begründeten austrofaschistischen Regimes im Jahr 1934 errichtet. Kaum ein sozialdemokratischer Politiker war im bürgerlichen Lager so verhasst wie Hugo Breitner. Im Oktober 1930 forderte der damalige christlichsoziale Innenminister Ernst Rüdiger Starhemberg während einer Wahlkampfkundgebung öffentlich dessen Ermordung: «Nur wenn der Kopf dieses Asiaten in den Sand rollt, wird der Sieg unser sein», so Starhemberg wörtlich.
Die Wohnbausteuer machte die ­Gemeinde Wien zur Großgrundbesitzerin. 1924 ­verfügte die Stadt über 2,6 Millionen ­Quadratmeter Bauland, auf dessen Flächen so ikonische Bauwerke wie der Karl-Marx-Hof oder die Gemeindebauten von Sandleiten in Ottakring entstanden. Auch dies befeuerte den bürgerlichen Hass. Nur zähneknirschend konnten die Reichen ertragen, dass ihnen Geld abgeknöpft wurde, um Wohnraum für die lohnabhängige Bevölkerung zu schaffen.
Dass sie dies überhaupt so lange tolerierten, wie sie es taten, liegt auch an der geschichtlichen Entwicklung Österreichs seit Ende des Ersten Weltkriegs. Die Armeen der am Krieg beteiligten Staaten kollabierten, da die Soldaten nicht mehr bereit waren zu kämpfen. In Russland siegte die Oktoberrevolution, in Deutschland und Ungarn entstanden kurzzeitig Räterepubliken. Auch in Österreich ­existierte zeitweise eine revolu­tionäre Räte­bewegung, innerhalb welcher Weitreichendes diskutiert wurde: Es ging um nicht weniger als darum, dass lohnabhängige ­Menschen nun selbst das Sagen ­haben und die ­Geschicke von Fabriken und Wohngegenden lenken wollten, ohne auf das Kommando irgendeiner Regierung zu warten.

Verhinderte Revolution.

Es gelang jedoch der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), Vorläuferpartei der SPÖ, sich an die ­Spitze der Rätebewegung in Österreich zu setzen und ­diese in sichere, parlamentarische Bahnen zu lenken. Es entstand eine bürgerliche Republik. In den Fabriken herrschte ­wieder das ­Unternehmertum, wenn auch eingehegt durch Betriebsräte und Gewerkschaften. Die Hauptstadt Wien erlangte im Zuge der ­Republikgründung weitgehende Freiheiten, die Hugo Breitner schließlich die Einführung seiner Luxus­steuern zum Zweck des Wohnbaus ermöglichen sollten. Somit war es eigentlich die Verhinderung einer sozialen Revolution, auf deren Rücken schließlich die Wiener ­Gemeindebauten entstanden.
Das hatte durchaus Auswirkungen darauf, wie die SDAP in Wien die Gemeindebauten sowie das gesellschaftliche Leben in diesen gestaltete. Zwar gab es viele fortschrittliche Aspekte: gemeinsame Waschküchen, ein gut ausgebautes Kulturangebot und vieles mehr. Doch ging es immer darum, die Selbst-Aktivität der Bewohner:innen im Sinne der Sozialdemokratie zu lenken, und letztendlich die bürgerliche Gesellschaft zu sichern. In der ­Sozialdemokratie herrschte das Idealbild der bürgerlichen Kleinfamilie, mit dem männlichen Arbeiter als Alleinverdiener. Auf dieses Idealbild waren die Gemeindewohnungen zuge­schnitten. Alternative Wohnmodelle waren nicht vorgesehen. Selbstorganisierte, libertär angehauchte Lebensmodelle blieben etwa auf die von Obdach- und Arbeitslosen in Eigen­regie errichteten Siedlergemeinschaften am Rande der Lobau beschränkt.
Der Wohnbau des «Roten Wien» ging so lange gut, wie die Privatwirtschaft einigermaßen funktionierte. Doch mit Beginn der 1930er-Jahre stieß das Reformprojekt aufgrund eskalierender Wirtschaftskrisen an seine Grenzen. Das bürgerliche Österreich war nicht mehr bereit, Zugeständnisse an die Arbeiter:innenschaft zu machen. Die Steuerhoheit Wiens wurde zunehmend beschnitten. Der Errichtung der Diktatur durch das christlichsoziale Lager hatte die bis zum Schluss an demokratische Gepflogenheiten glaubende Sozialdemokratie trotz aller erbrachten ­Opfer im nicht zuletzt in den Gemeindebauten ausgetragenen Schutzbundaufstand nichts entgegenzusetzen.