«Das Schreiben war körperliche Schwerstarbeit»tun & lassen

Ingrid Strobl im Gespräch

Die Journalistin Ingrid Strobl saß jahrelang wegen Verdacht auf Terrorismus in Untersuchungshaft. Im Gefängnis schrieb sie ein Buch über den bewaffneten Widerstand von Frauen gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Nach drei Jahren wurde Strobl freigesprochen. Ein Interview von Kerstin Kellermann.

Wie kamen Sie eigentlich damals von Innsbruck aus in den deutschen Journalismus?

 

Nach dem Studium in Wien war ich sechs Jahre lang Redakteurin bei der «Emma» in Köln, unter der Leitung von Alice Schwarzer. Wir waren nur wenige Frauen in der Redaktion, also schrieb ich viel. Die «Emma» war von Anfang auf den breiten Verkauf angelegt, als Blatt, das nicht nur für Insiderinnen ist. Ende 1986 war schon die Verhaftung, bis Mai 1990 war ich dann in Untersuchungshaft.

 

Hatte Ihre Recherche über Frauen im bewaffneten Kampf gegen den Nationalsozialismus mit der «Emma» zu tun?

 

Nein. 1985 kündigte ich bei der «Emma» und versuchte mich als Freiberuflerin unter anderem für «Konkret» zu installieren. Damals gab es zwar großes Interesse für den Widerstand, aber eben immer die Schiene, die Männer haben den «richtigen» Widerstand geleistet, sprich bewaffnet, und die Frauen haben jemanden versteckt, Flugzettel verteilt und so. Das hat mir noch nie gepasst. Dann machte ich meine Recherche in Spanien, Frankreich, Holland und in Südkärnten bei den Partisaninnen. Nach der Verhaftung kriegte meine Anwältin durch, dass ich meine gesamten Rechercheunterlagen bekam. Dadurch konnte ich im Knast dieses Buch «Sag’ nie, du gehst den letzten Weg» schreiben.

 

Geht Schreiben eigentlich leichter, wenn man keine Ablenkungen hat?

 

Ich war in Isolationshaft, das bedeutet, ich war 23 Stunden am Tag alleine in meiner Zelle. Bei der «Emma» schrieb ich schon auf einer elektrischen Schreibmaschine, und im Gefängnis saß ich auf einer am Boden fixierten Holzbank, und einen halben Meter entfernt stand ein am Boden fixierter Holztisch, und ich musste in diesem Abstand an einer mechanischen Schreibmaschine schreiben. Ich musste mir erst wieder angewöhnen, fest auf die Tasten draufzuhauen! Das war körperliche Schwerstarbeit.

 

Warum war der Kampf gegen Nationalsozialismus Ihr leidenschaftliches Thema? Ich kenne noch Ihre Forschungen zum Anderl von Rinn.

 

Ich komme aus einem antifaschistischen Elternhaus, als junge Linke hat mich gleich der Widerstand interessiert. Es gab damals fast nichts an Forschung. Es war eine Mischung aus meinem alten Anti-Nazi-Interesse, meiner Leidenschaft als Feministin und meiner Wut darüber, dass die Frauen wieder so heruntergesetzt werden. Mein Vater hat mir als Kind einen Indianerschmuck gemacht (lacht), denn ich wollte Indianerin sein. Er war Gewerkschafter. Ich wollte wissen, ob es diese Frauen gab und wenn ja, wollte ich Ihnen, so komisch das klingt, die Ehre erweisen, ihren Mut würdigen.

 

Wieso durfte eine des Terrorismus Verdächtige eigentlich schreiben?

 

Also schreiben durften schon alle, so viel sie wollten. Lesen auch. Ich durfte nur drei Bücher maximal gleichzeitig in der Zelle haben. Bei der Zellenrazzia werden die Wärter sonst narrisch, wenn sie zwanzig Bücher durchschauen müssen (lacht). Das gibt es nur in der Türkei, in Lateinamerika oder anderswo, dass politische Häftlinge zu zwanzigst in einer Zelle sitzen und nichts zu lesen haben.

Damals dachten viele Frauen, es wäre gegen mich als Feministin gegangen. Das glaube ich aber nicht. Die Kriminalbeamten waren einfach stinksauer auf die Rote Zora und die Revolutionären Zellen, weil sie nie jemand von denen erwischt haben. Dann konnte man mir den Kauf dieses Weckers nachweisen und deswegen dachten die, jetzt haben wir endlich jemand.

 

Feministinnen überschätzen sich schon manchmal etwas, oder?

 

Es war nicht ganz daneben. Es gab schon einige gesellschaftlich divergente Themen. Damals ging es los mit Frauenhandel, gekauften Katalogfrauen aus Ostasien, dem Sextourismus … – wir waren in diesem Zusammenhang als Feministinnen sehr wütend, und viele Frauen fanden das schon in Ordnung, wenn die Rote Zora denen ein Auto abgefackelt hat. 

Was mich an den Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus am meisten beeindruckt hat, war die «Frechheit» der Frauen. Eine meiner Lieblingsgeschichten geht so: Yvonne Jospa in Belgien, die für die Rettung der jüdischen Kinder verantwortlich war, erfuhr, dass an der Gare du Luxembourg eine Gruppe von Kindern steht, die dringend in ein Versteck gebracht werden müssen. Die Frau, die das hätte machen sollen, wurde erwischt. Yvonne konnte die Strecke, von wo sie wohnte, in dieser Zeitspanne nicht schaffen. Sie ging in der Straßenbahn zum Fahrer vor und sagte ihm, Monsieur, fahren Sie bitte ohne anzuhalten durch bis zur Gare du Luxemburg. Und der Fahrer hat das gemacht! Sie kam gerade noch rechtzeitig. Ich behaupte, so etwas hätte kein Mann gemacht. Eine typische Frauengeschichte.

  

Ingrid Strobl:

Sag nie, du gehst den letzten Weg, Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Fischer 1989

Die Angst kam erst danach, Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945. Fischer 1998