20 Jahre Augustin - der zweite Jahrgang, der 1996er
Was hat ein Artikel über einen Naturkostladen im Kulturressort zu suchen? In der Februar-Ausgabe von 1996 ist dieser Fall eingetreten, denn der Augustin berichtete über das «Art Window» der Bio-Greißlerei «Unser Laden». Der Betreiber Herwig Haupt legte nämlich keine Lebensmittel in die Auslage, sondern ließ diese von Künstler_innen – teils sehr provokant – gestalten. 19 Jahre später stattete der Augustin der Greißlerei einen zweiten Besuch ab.
Herwig Haupt musste schmunzeln, als der vermeintliche Kunde meinte, aufgrund eines Augustin-Artikels aus dem Jahre 1996 seinen Laden betreten zu haben. Der Bio-Greißler hätte gedacht, dass seit dem ersten Augustin-Besuch nicht 19, sondern bloß 15 Jahre vergangen seien, aber er konnte sich noch an den Namen des damals recherchierenden Redakteurs erinnern. Im Gegensatz zum Redakteur, der diese journalistische Arbeit gänzlich aus seinem Gedächtnis gelöscht hat.
Jedenfalls besteht die Bio-Greißlerei «Unser Laden» noch immer, und das schon seit 1987, durchgehend an der Adresse Apostelgasse 17, einer Verbindungsgasse zwischen Landstraßer Hauptstraße und Erdbergstraße inmitten des dritten Bezirks. In einer Gasse, wo nicht viel los, wo mit Laufkundschaft nicht zu rechnen ist.
Der Ladenbetreiber erzählt, dass er vor zehn Jahren auch knapp vor dem Zusperren gestanden sei. Ein Wasserschaden in Kombination mit einer Hausverwaltung, die sich davor drücken wollte, den Schaden beheben zu lassen, war das eine Übel, das andere die Eröffnung eines Bio-Supermarktes in der Landstraßer Hauptstraße. Der Greißler dachte sich zunächst, nach einem Jahr habe sich sein Geschäft bestimmt wieder erholt, doch mit dieser Einschätzung täuschte er sich gewaltig, denn zwei Jahre später musste er sich eingestehen, zirka 70 Prozent seiner Stammkund_innen an den Bio-Supermarkt verloren zu haben. Eine neue Geschäftsidee und die Tageszeitung «Die Presse» verhalfen ihm dazu, wirtschaftlich zu überleben. Die Idee bestand darin, den sogenannten Mittagstisch einzuführen, also eine warme Speise anzubieten. Und diese Angebot nahmen vor allem Mitarbeiter_innen der Tageszeitung an, die sich kurz nach der Einführung des Mittagstisches ums Eck, in der Hainburger Straße angesiedelt hat.
Kein Bio-Geselchtes
Laut eigener Aussage sei er immer schon das schwarze Schaf in der Wiener Naturkost-Szene gewesen, erzählt der aus dem Burgenland stammende und für kurze Zeit im Waldviertel lebende gelernte Tischler. Er habe von Beginn an nämlich auch Blunzn, Geselchtes und Ähnliches vertrieben – noch dazu nicht auf biologischer Basis. Und hat es, nebenbei bemerkt, auch heute noch nicht auf biologischer Basis im Sortiment, denn die Qualität habe für ihn einfach Vorrang; kurzum: ein gutes Bio-Geselchtes kenne er nicht.
In den 1980er-Jahren hätte es viele Aussteiger_innen aus dem Raum Wien ins Waldviertel verschlagen, so auch ihn, und dort sei er auch zum ersten Mal mit alternativer Kost in Berührung gekommen. «Die Waldviertler Bauern waren aber so zach, jeder ist einzeln mit einem kleinen Kisterl nach Wien gefahren. Ich habe damit begonnen, sie zu koordinieren, und weil es mir im Waldviertel schnell zu kalt geworden ist, bin ich nach Wien gegangen und suchte ich ein Geschäftslokal, um diese Produkte verkaufen zu können.»
In der Apostelgasse wurde er aus Kostengründen fündig, doch es sei damals eine «tiefe Gegend gewesen, die Alkis sind herumgewandelt», und erste Kommentare der Leute aus dem Grätzl zum neuen Geschäft gingen in Richtung: «Ah, die Kerndlfresser kommen!» Dabei seien ihm selbst die fünf, sechs Naturkostläden, die es damals in Wien gegeben haben dürfte, sehr unsympathisch gewesen, denn man sei dort oberlehrerhaft bedient worden. «Eine Kundschaft weiß, was sie will, man muss ihr nicht erklären, was sie brauchen sollte», lautet auch eine Art Credo von Herwig Haupt.
Wenigstens vermochten es die Blunzn und das Geselchte die Bewohner_innen des benachbarten Gemeindebaus in seinen Laden zu locken. Der Greißler gibt auch zu verstehen, dass er kein Dogmatiker ist, dass er ohne diese konventionell hergestellten Produkte nicht bestehen hätte können. Und dann sei auch noch «der Zirkus» mit der Auslagenkunst hinzugekommen. Im Apostelhof sind Gemeinschaftsateliers eröffnet worden und er hat der Reihe nach alle dort arbeitenden Künstler_innen eingeladen, seine Auslage zu bespielen, denn wie branchenüblich Lebensmittel in die Auslage zu stellen, hätte er als «deppert» empfunden.
Kommentare wie «Gassnseitig hot des nix verlurn!» wurden durch die aufgerissene Tür geschmettert oder einige Kund_innen hätten so lange nicht seinen Laden betreten, bis das Anstößige wieder weggeräumt worden ist. Eine bessere Werbung als diese von «Window Art» ausgehende Anti-Werbung hätte es aber nicht geben können, erzählt Herwig Haupt, denn dadurch sei er in der Gasse oft Gesprächsthema gewesen, aber im Laufe der Zeit habe es auch lange Phasen gegeben, wo in der Auslage nicht viel passiert sei. Erst in jüngerer Vergangenheit erlebe die «Window Art» durch ein Barbie-Projekt einen kleinen Aufschwung, doch Herwig Haupts Gedanken reichen momentan ein wenig aus dem Laden, in dem er schon seit 27 Jahren steht, hinaus: «Ich möchte öfters mit einer mobilen Küche zu Musikfestivals fahren, weil dort kannst mit nacktem Oberkörper Curry kochen, dabei rauchen und niemand kümmerts. Ich bin nämlich starker Raucher», verrät das schwarze Schaf unter den Bio-Greißler_innen
Info:
«Unser Laden» bzw. «Rakotte»
Apostelgasse 17, 1030 Wien
Öffnungszeiten:
Mo.-Mi.: 10-15 Uhr; Do., Fr.: 10-19.30 Uhr