Das Stigma Stillstandtun & lassen

Filmdoku «Jetzt oder morgen»

Daniel spreizt vier Finger weg, als er nach seinem Alter gefragt wird. Seine Familie feiert mit ihm Geburtstag mit Torte, Spritzkerze, coolen Geschenken und obligatorischem Happy-Birthday-Singen. Geburtstage werden in dieser Familie sehr ernst genommen und gebührend begangen. In Jetzt oder morgen wird das Filmpublikum Zeuge vieler Geburtstagsfeiern – drei Jahre lang dokumentierte Lisa Weber den Alltag einer Wiener Familie, die sie schon sehr viel länger kennt. Zentrale Figur in Webers Dokumentarfilm ist Daniels junge Mutter, Claudia, die mit ihrem Sohn, ihrem Bruder und ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung lebt. Lohnarbeit hat keine_r der Erwachsenen, mit fehlendem Schulabschluss hat Claudia auch keine Aussicht auf einen Job, für Weiterbildung fehlt ihr das Geld. Aus ihrer unbefriedigenden Situation kann sie sich nicht befreien. «In einer leistungsorientierten Gesellschaft ist Stillstand ein Stigma. Das bekommen Betroffene zu spüren, es hilft meiner Meinung nach aber niemandem, aktiv zu werden», sagt Lisa Weber in einem Interview, eine Lösung kann auch sie nicht anbieten. Aber sie zeigt Claudia und ihre Familie ohne Doku-Soap-Attitüde, sehr nah, liebevoll und mit Respekt.

Derzeit im Kino

Filmstill: Takacs Filmproduktion, Steinbrecher