Adia Trischler stammt aus New York und lebt seit 14 Jahren in Wien. Sie beschäftigt sich intensiv mit Geschichte und Geschichtsschreibung. Über Rassismuserfahrungen in den USA und in Europa und was weiße Menschen lernen müssen, spricht sie im Interview.
Interview: Ruth Weismann, Foto: Jana Madzigon
Adia Trischler, wie nehmen Sie die aktuellen Geschehnisse in den USA von hier aus wahr?
Als George Floyd ermordet wurde, war ich nicht überrascht. Das zeigt eine gewisse Desensibilisierung, die eine eigene Form von Trauma-Überleben ist. Was mich überrascht hat, ist, wie viele Leute weltweit darauf reagiert haben. Ich denke, dass die USA seit langem reif für einen zivilen Aufstand sind. Wenn man in den USA aufwächst, ist man Unsicherheit und ein gewisses Maß an Unruhen gewöhnt. Man sieht aber auch die Widerstandskraft der Menschen. Das sehen wir auch jetzt.
Wenn sie von der gewissen Unsicherheit sprechen, die man in den USA gewöhnt ist: Meinen Sie das als Schwarze Person oder generell?
Generell. Aber ich hatte auch eine spezielle Kindheitserfahrung, ich habe im weißesten Vorort überhaupt gelebt und in der Bronx. Für die weiße Umgebung kann ich sagen: Es gibt einen gewissen Rassismus, den man erlebt. Die Unsicherheit und Unruhen, die ich meine, haben aber aber mehr mit mentaler Gesundheit, Drogenproblemen, Gewalt und Armut zu tun, die spezifisch für die USA sind. Ich habe extremen Rassismus nicht erlebt, bevor ich hierhergezogen bin. Das ist sicher auch, weil ich aus einer Stadt wie New York komme. Aber ich habe noch nie derart offene Ignoranz erlebt wie hier.
Wie äußert sich diese Ignoranz?
Der Unterschied zwischen der US-Mentalität und der europäischen ist, dass Amerika an verschiedene Leute von vielen verschiedenen Orten gewöhnt ist. Niemand ist verwirrt, wenn du Englisch mit Akzent sprichst. In Österreich gibt es Leute, die offen zugeben, dass sie keine Ungar_innen mögen, oder keine Slowak_innen. Dabei ist das einen Steinwurf entfernt. Ich war es auch nicht gewöhnt, dass man mich anstarrt, dass ich ständig gefragt werde, woher ich komme, dass ich etwas von willhaben abhole und die Person sagt zu mir: «Oh, ich habe nicht damit gerechnet, dass eine Schwarze Frau kommt.» Dass Leute meine Antworten in Fragen stellen, wenn ich ihnen die Geschichte meiner Familie, also die Geschichte der Sklaverei, erzähle.
Eines der Hauptdinge, die Österreicher_innen machen, ist, über die Unterschiede zu anderen zu sprechen. Ob es Deutsche sind oder der Akzent, den ein Vorarlberger hat, oder was man irgendwo isst. Meine Freund_innen in den USA waren immer sehr divers. Wir haben uns nie über unsere Unterschiede definiert. In der Generation meiner Eltern war es wohl noch anders, aber in meiner Generation, und noch dazu in dem städtischen Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, war das nie Thema. In Österreich realisieren Leute nicht, wie oft sie Menschen zu «Anderen» machen. Ich glaube, ich habe nie bemerkt, wie Schwarz ich bin, bis ich hierhergezogen bin.
Warum entfalten sich Ihrer Meinung nach die Black-Lives-Matter-Proteste gerade jetzt in diesem Ausmaß?
Weil unsere Geschichte ausgelöscht und die Effekte dieser Geschichte stets diskreditiert wurden. Unsere Identität ist amerikanischer als die weißer Amerikaner, die sagen können, von wo in Europa ihre Vorfahren sind. Wir können das nicht. Ich muss Leuten hier in Österreich erklären, dass es Sklaven verboten war, zu schreiben und zu lesen, ihre Muttersprachen zu sprechen, Familien zusammenzuhalten.
Österreich, so sagen Sie, ist rassistischer als die USA. Aber die Polizeigewalt in den USA ist massiver. Wie würden Sie das einordnen?
Das hat mit der Geschichte der Polizei in den USA zu tun. Es ist aber nicht so, dass Europäer_innen friedvoller sind, in Europa gab es immer Krieg. Es ist, weil Schwarze Leute hier viel weniger Macht haben. Man sieht, wie Österreicher_innen nur aufgrund von Angst, dass sie von Muslim_innen übernommen werden könnten, wählen. Ein großer Teil der amerikanischen Identität heute ist die black experience, obwohl wir nur 12 Prozent der Bevölkerung stellen. Wir haben so viel geschaffen, Mode, Musik, Kultur. Weiße haben immer Angst, dass sie ausgelöscht werden oder ihnen etwas weggenommen werden könnte. Das war auch ein Grund für den Holocaust.
Angesichts der weltweiten Proteste: Gibt Ihnen das Hoffnung für die Zukunft?
Ich denke, diese Hoffnung ruht alleinig auf den Entscheidungen, die weiße Personen treffen. Es ist nicht die Aufgabe von Schwarzen Menschen. Aber weiße Personen sind nicht genug über die Geschichte des «Weißseins» informiert. Im 18. Jahrhundert haben weiße Menschen den Mythos von Rassen kreiert. Es ist also an ihnen, dieses System, das sie dem Rest der Welt aufgezwungen haben, zu demontieren. Alles was man tun muss, ist, europäische Geschichte zu lernen, Bücher zu lesen, um zu verstehen, wo wir heute stehen. Es sind die Worte, die verwendet werden, um diese Kriege, Siege und Unterwerfungen zu feiern. Diese Worte, die vollkommen auslassen, was mit den Menschen am anderen Ende des Sieges passierte, und was mit ihnen heute ist. Europa muss über Kolonialismus sprechen. Hier liegt die Verantwortung bei den Leuten, die am meisten Macht in Bildung und Politik haben. Und das sind weiße Personen.
Adia Trischler arbeitet als Moderatorin, Video- und Kreativ-Direktorin und hat das community-basierte multidisziplinäre Kunst-Kollektiv series:black mitbegründet.
instagram.com/seriesblackvienna