Jenseits des grünen Rasens: Der Fußball als Beruf
Ohne dass er es recht wusste, leistete Thomas Pöltl vor drei Jahren Pionierarbeit. Er schuf nämlich mit der sogenannten Fußballbibliothek eine Art Sammelstelle für Medien zum Thema Fußball, die bis dahin eine absolute Leerstelle war, jedenfalls im deutschsprachigen Raum. Wenzel Müller (Text & Fotos) besuchte ihn an seinem Arbeitsplatz in den Büchereien Wien.Ein Arbeitszimmer, wie es sich mancher erträumen mag: auf dem Boden ein Ball, am Kleiderständer etliche Spielertrikots und auf dem Schreibtisch ein Fußball-Kartenspiel. Fast könnte man meinen, man habe sich in ein Jugendzimmer verirrt. Doch hier wird tatsächlich gearbeitet. Wir befinden uns in einem Büro der Büchereien Wien: in der sogenannten Fußballbibliothek. Herr dieser österreichweit einzigartigen Einrichtung: Thomas Pöltl.
Kurzer Haarschnitt, Bart, Lederjacke, selbst gedrehte Zigaretten: Der Bibliothekar ist 50 Jahre alt. Und in Fußball verliebt. Soweit er zurückdenken kann, erzählt er, sei er immer dem Ball nachgejagt. Erst auf der Gasse, in Graz, wo er geboren wurde, später in der Jugendabteilung vom SK Sturm Graz. Sein Jugendtraum war, Fußballprofi zu werden. Daraus wurde allerdings nichts, vor allem, weil seine Eltern darauf bestanden, dass er eine akademische Ausbildung macht.
Nun hat Pöltl, im Alter und nach erfolgreich abgeschlossenem Philosophiestudium, den Fußball doch noch gewissermaßen zu seinem Beruf gemacht, freilich abseits des grünen Rasens. Eben mit jener Fußballbibliothek, die er vor rund drei Jahren, kurz vor Beginn der Fußballeuropameisterschaft, ins Leben rief.
Mit ihr leistete er, zu seinem eigenen großen Erstaunen, Pionierarbeit. Denn während Fußballmuseen wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden sprießen, war, wie Pöltl bei seinen Recherchen feststellen musste, eine Art Sammelstelle für all jene Medien, die zum Thema Fußball erscheinen oder bereits erschienen sind, bislang eine absolute Leerstelle, jedenfalls im deutschsprachigen Raum.
Insbesondere zwei Dinge standen Pate bei der Gründung der Fußballbibliothek. Zum einen Pöltls traditionsgefestigte und bereits angesprochene Liebe zum Fußball, zum anderen ein ernstes Wort seiner Lebenspartnerin. So könne es nicht weitergehen, sagte sie ihm. Ihre Bibliothek im Wohnzimmer ginge über! Er müsse sich endlich von seinen Fußballbüchern trennen!
Was machen mit den inkriminierten rund 200 Werken, insbesondere aus dem Bereich Belletristik? Spätestens da realisierte Pöltl, dass er bei den Büchereien Wien als Katalogisierer angestellt ist. Entsorgen kam nicht in Frage, aber warum die eigenen Fußballbücher nicht einem größeren Leser_innenkreis zur Verfügung stellen? Und so kam es denn auch. Mit seinem eigenen Bestand lieferte er das Fundament zum Aufbau der Fußballbibliothek.
Nicht dass die Büchereien Wien nicht schon vorher Fußballbücher besessen hätten, doch die waren auf die einzelnen Fachabteilungen verteilt: Essays fand man bei der «Politik», Belletristik bei der «Literatur» und Trainerhandbücher beim «Sport». Pöltl ging daran, die solcherart verstreuten Medien zusammenzuführen. Ein interdisziplinärer Ansatz, mit der Zielsetzung, die bekanntlich wichtigste Nebensache der Welt an einem Ort aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Der Experte spricht vom «Mikrokosmos Fußball», der viel über unsere soziokulturelle Situation aussage.
Inzwischen umfasst die Fußballbibliothek über 1000 Werke, darunter nicht nur Bücher, sondern auch Schallplatten, DVDs und sämtliche Jahrgänge der Fußballzeitschrift Ballesterer.
Kein Sammelauftrag. Im Unterschied zu Fachbibliotheken haben die Büchereien Wien keinen Sammelauftrag zu erfüllen. Sie orientieren sich vielmehr an den Wünschen ihrer Nutzer_innen, was unter anderem bedeutet, dass sie ebenso regelmäßig wie rigoros jene Medien aus dem Bestand nehmen, die seit mehr als zwei Jahren nicht mehr ausgeliehen wurden. Neuerdings kommen die aber nicht mehr unbedingt zum Flohmarkt, sondern, sofern sie Fußball zum Thema haben, zu Thomas Pöltl, in die Fußballbibliothek.
Er verwaltet den Fundus, ist sozusagen die Zentrale. Seine Kooperationspartner sind momentan drei Häuser der Büchereien Wien: die Hauptbücherei und die Zweigstellen Philadelphiabrücke (mit Schwerpunkt Frauen- und Mädchenfußball) und Liesing (mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendfußball).
Das Kind dort abholen, wo es steht. Über Fußball kann nicht nur Freude an der Bewegung geweckt, sondern auch Lust aufs Lesen gemacht werden. Das Kinderfußballbuch als Tor zur Welt der Bücher.
Frage an den Experten: Welches Fußballbuch kann er empfehlen, welches gefällt ihm besonders? Pöltl rollt in seinem Schreibtischsessel etwas zurück, zum Regal an der Wand hinter ihm, und zieht aus den Bücherreihen einen kleinen, schmalen Band: «Zidane und ich. Brief eines Fußballspielers an seine Frau» von Philippe Dubath. Das sei sein Lieblingsfußballbuch. Eine sehr nette Geschichte. Schon vor längerer Zeit erschienen und im Handel nicht mehr erhältlich. In den Büchereien Wien kann man es jedoch ausleihen.