Das weibliche VolksliedArtistin

Die umtriebige Musikerin Julia Lacherstorfer (Alma, Ramsch & Rosen, Neuschnee) hat mit Spinnerin – a female narrative ein Album vorgelegt, das sich mit der weiblichen Erzählperspektive in Volksliedern beschäftigt.

INTERVIEW: ROBERT FISCHER

Julia, du stammst aus dem Traunviertel in Oberösterreich und bist durch deine musizierenden Eltern schon sehr früh mit Volksmusik in Berührung gekommen. Kannst du das ein bisschen genauer beschreiben?
Meine Schwester Marlene und ich haben mit unseren Eltern und den Großeltern in einem Haus gewohnt. Unser Opa war Gastwirt und hat früher immer Akkordeon für die Gäste gespielt. Als der Opa dann in Pension war, hat er jeden Abend bei uns zu Hause Akkordeon gespielt, Volkslieder gesungen und uns eingeladen mitzusingen bzw. mitzuspielen, obwohl wir da eigentlich noch kleine Kinder waren. Das ist eine meiner frühesten Erinnerungen an Volksmusik. Etwas später hat dann auch mein Vater eine Volks­musikgruppe gegründet, mit der er viele Konzerte im europäischen Raum gegeben hat. Dadurch war mein Vater auch in Österreich auf vielen Festivals mit Musikgruppen aus ganz Europa unterwegs, und das hat uns sehr getaugt. Später habe ich dann in der Musikschule Geige gelernt.

Wie kam es zu deinem neuen Solo-Album?
Ich wusste, dass ich ein Projekt machen will, in dem ich mich speziell um weibliches Liedgut kümmere. Zu diesem Zeitpunkt war mir aber nicht klar, dass es so schwierig sein würde, Material dazu zu finden. Ich bin dann unter anderem ins Österreichische Volksliedwerk gegangen, um zu recherchieren. Daneben habe ich auch in Liederbüchern bzw. anderen Publikationen nachgeschaut. Aber es war einfach nicht so, dass es zum Thema «Volkslieder, aus weiblicher Sicht geschrieben» große Sammlungen gegeben hat. Natürlich ist es oft überhaupt schwer zu
sagen, wer der Verfasser ist. Trotzdem ist mir aufgefallen, dass bei Volksliedern die meisten Narrative, die meisten Erzählperspektiven männlich sind.

Aus diesem Anlass hast du dann auch speziell Frauen interviewt. Wie hat sich das ergeben?
Das ist eigentlich intuitiv und zufällig passiert. Es gab vor ca. eineinhalb Jahren auf Ö1 eine Sendung mit meiner Schwester Marlene und mir, und daraufhin hat sich gleich jemand gemeldet, der uns erzählt hat, dass die Schwiegermutter die Sendung gehört hat und selbst viel singt. Diese Frau habe ich dann in Neumarkt besucht, wir haben uns zwei bis drei Stunden unterhalten, und ich habe das Gespräch aufgenommen. So habe ich dann noch andere Frauen kennengelernt, die z. B. viel über Wien und die Wiener Volkslieder gewusst haben. Zum Schluss habe ich dann auch noch meine Mutter interviewt, die auch viel Interessantes wusste, da es in unserer Familie auch schon eine lange musikalische Tradition gibt.

Hast du dann für das Album nur diese Gespräche als Basis für die Komposition der Lieder verwendet oder auch schon ältere, bereits bestehende Stücke?
Eigentlich beides. Eine große Inspirationsquelle war das Buch Bäuerinnen erzählen aus dem Böhlau Verlag. Das sind zwölf lebensgeschichtliche Aufzeichnungen von Bäuerinnen aus Nieder­österreich, die ganz unprätentiös ihr Leben erzählen. Das war so berührend und zum Teil auch so arg und dann gleichzeitig wieder schön, weil diese Geschichten ja noch gar nicht so lange her sind. Das ist die Generation meiner Oma. Trotzdem war das Leben damals so anders und viel härter, und diese Frauen hatten aber trotzdem so eine Stärke bzw. eine Demut. Das hat mich extrem beeindruckt und auch extrem inspiriert, vor allem, weil mich da einiges an meine eigene Großmutter erinnert hat.

Wer waren bei den Aufnahmen im Stu­dio deine wichtigsten musikalischen Partner?
Durch eine Recherche bin ich auf die in Wien lebende kanadische Produzentin Caitlin Smith gestoßen. Wir haben dann gemeinsam festgelegt, aus welchen verschiedenen «Bausteinen» das Album bestehen soll. Einerseits diese Interviews mit den O-Tönen der Gesprächspartnerinnen, dann selbstgeschriebene Lieder von mir, zwei Kompositionsaufträge von «Musica Femina» und noch ein paar traditionelle Lieder. Die hauptsächliche Arbeit im Studio habe ich dann mit Caitlin und Christoph Burgstaller gemacht.

Wie würdest das Konzept hinter der Arbeit am Spinnerin-Album beschreiben?
Ich wollte damit einfach verdeut­lichen, dass es ein Faktum ist, dass man in der Geschichtsschreibung auf die Taten von Frauen vergisst. Das wird oft unterschlagen. Volkslieder sind ja auch so etwas Ähnliches wie eine Geschichtsschreibung, und mir ist aufgefallen, dass da genau so was Ähnliches passiert ist wie in anderen Bereichen. Wahrscheinlich wurde das im Volksliedbereich so gemacht, weil man in erster Linie Männer beforscht hat und weil zum Großteil die Lieder von Männern aufgeschrieben hat. Frauen wurde zu jenen Zeiten in der Gesellschaft einfach keine bedeutende Rolle zugewiesen. Da hat damals eine permanente Abwertung des weiblichen Geschlechts stattgefunden. Innerhalb von Familien waren Frauen und Mädchen ja immer benachteiligt. Auch ich als Frau, die vor 35 Jahren geboren wurde, spüre immer noch die Nachwirkungen dieser Entwicklungen. Je mehr man sich mit Feminismus und ganz automatisch auch Alltagssexismus beschäftigt, desto krasser ist es zu sehen, wie tief verankert ganz bestimmte Verhaltens- und Sichtweisen Frauen gegenüber sind.

Kannst du dafür ein aktuelles Beispiel nennen?
Wahrscheinlich passiert es auch nicht immer absichtlich, aber wenn z. B. im TV oder anderen Medien Diskussionsrunden bzw. Podiumsgespräche zusammengestellt werden, denkt man in erster Linie immer an männliche Experten, anstatt wirklich mal zu schauen, wo es Frauen gibt, die sich beim jeweiligen Thema gut auskennen und etwas zu sagen haben. Die sind vielleicht manchmal nicht so sichtbar oder stehen nicht in der ersten Reihe, aber sie sind vorhanden. So was sollte sich in Zukunft ändern!

Wie erlebst du als Musikerin die Corona­­-Zeit? Sind für deine Band Alma viele Konzerte abgesagt worden?
Ja, ca. 20 Termine wurden abgesagt. Ich sehe die Situation aber etwas differenziert. Natürlich ist es arg, wenn man von heute auf morgen auf einmal kein Einkommen mehr hat! Es ist auch kein gutes Gefühl, wenn eigentlich niemand genau weiß, wie es jetzt mit der Kulturszene weitergeht. Ich hatte das Gefühl, unser Beruf wird gar nicht als echter Beruf wahrgenommen. Das war in dieser Situation auf jeden Fall auffällig und hat aber in mir bzw. meinen Kolleg_innen dazu geführt, dass wir uns ganz stark bemerkbar machen müssen! Das hat dann auch positive Effekte gehabt. Es hat sich ja jetzt endlich die IG Freie Musikschaffende gegründet, weil wir gemerkt haben: He, wir sind ja überhaupt nicht vernetzt, und wir haben überhaupt kein Sprachrohr, das in so einer Situation mit der Regierung kommunizieren kann. Andererseits – und ich weiß, dass ich jetzt von einer halbwegs privilegierten Situation aus spreche – ist die Pandemie für manche, die sonst sehr eingespannt sind, eine willkommene Atempause. 

julialacherstorfer.at

Live(-Stream): Spinnerin – a female narrative, 27. April Konzerthaus, 3., Lothringerstraße 20, konzerthaus.at

Julia Lacherstorfer ist Mitveranstalterin des Festivals wellenklænge in Lunz am See, dieses Jahr (mit
Vor­behalt) von 16. bis 31. Juli, wellenklaenge.at