Geboren in Multi-Kultistan
PISA hin, Stundenkürzungen her: Der hohe Anteil so genannter „AusländerInnen“ an Wiens Schulen mindert nicht deren Qualität, er ist eine Bereicherung. SchülerInnen der Rainergasse bringen das bei ihrem multikulturellen Spielefest am 23. Juni im St.-Johann-Park zum Ausdruck. Margarete Windsperger, engagierte Lehrerin, verwaltet den „Sozialfonds“ der Schule und gehört einem Team von KonfliktreglerInnen an.In der fünften Klasse des Gymnasiums Rainergasse ist die Uhr auf die Ortszeit von Tokio eingestellt (Anm.: Auch wenn die Sommerzeit vergessen wurde). Allgemein passiert hier so einiges, das den Horizont einer kaputtreformierenden Bildungsministerin oder den des Rückgrat-Fundamentalisten H. C. Strache übersteigen würde. Um 8:30 bzw. 15:30 Uhr ist die Französisch-Stunde an der Reihe. Als Übung sollen die SchülerInnen Kochrezepte schreiben und danach vortragen. Genauso bunt wie die Muttersprachen der SchülerInnen fallen die kulinarischen Ergüsse aus: Bei der Präsentation wird von der polnischen Baraszcz bis zum persischen Libia Polo ein reichlicher Tisch gedeckt. Wenn sich die SchülerInnen vorstellen, so haben viele Wurzeln außerhalb des österreichischen Kulturkreises. Manche sind bereits in Wien geboren, relativ jung hierher gekommen, manche haben einen österreichischen Elternteil, andere wiederum – wie etwa zwei tschetschenische Geschwister – sind erst seit kurzem hier und haben noch Probleme mit der deutschen Sprache. Kann der/die viel besagte „AusländerIn“ also überhaupt definiert werden?
Viele Kinder von MigrantInnen lernen erst bei Schuleintritt Deutsch, weil zuhause ihre Muttersprache gesprochen wird. Gleichzeitig lernen sie dann selten, ihre Muttersprache auch zu schreiben. Dieses Manko hat die Rainergasse erkannt und plant ein Projekt, in dem SchülerInnen auch in ihren Muttersprachen unterrichtet werden sollen, und zwar vorläufig in slawischen Sprachen und Polnisch. So viel Internationalität macht natürlich auch Lust auf die Ferne. Einerseits hatte die Schule schon Kooperations-Projekte oder BriefpartnerInnenschaften mit Litauen, afrikanischen Staaten oder Ungarn, andererseits bekommen auch manchmal SchülerInnen deutscher Muttersprache Lust, die Sprache ihrer MitschülerInnen zu lernen. Im Rahmen der Schulautonomie soll es nun auch verstärkt multikulturelle Literaturprojekte mit Literatur aus Herkunftsländern geben.
Die europäische Idee
An einem Projekt der Europäischen Union nahmen auch fünf SchülerInnen der Rainergasse aus verschiedenen Klassen teil. Unter ihren war auch Dimitri Smirnov, der in Moskau geboren ist. Die SchülerInnen beschäftigten sich mit der Frage der Billig-Importe aus China und gewannen die Österreich-Ausscheidung und damit ihre Tickets nach Slavanger (Norwegen), um ihre Ideen auch im Rahmen des European Youth Parliament (EYP) zu vertreten. Sie beschlossen eine so genannte „Convention“, die das Vorgehen der EU in dieser Frage festlegen sollte und richteten symbolisch auch eine Comité ein, um die Durchführung dieser Richtlinien zu kontrollieren. Dimitri erklärt, dass ihre Ergebnisse wohl an das „richtige“ Parlament in Strassburg weitergegeben würden, antwortete aber realistisch-pessimistisch auf die Frage, ob er glaube, dass ihre Ideen dort auch aufgegriffen würden.
Unabhängig von ihrer geographischen Herkunft haben so manche SchülerInnen keine leichten familiären Ausgangs-Situationen. Immer mehr soll „die Schule“ mit immer weniger Mitteln Aufgaben übernehmen, die früher von stärkeren familiären Strukturen übernommen wurden. In der Rainergasse wird daher besonders in den ersten Klassen Unterstufe so genanntes „soziales Lernen“ praktiziert. Das soziale Lernen erfordert eine besondere Zusammenarbeit unter den verschiedenen LehrerInnen, damit die Umwelt der Kinder – wie zum Beispiel ihre familiäre Situation – in den Unterricht miteinbezogen und gemeinsam aufgearbeitet werden kann.
Margarete Windsperger, engagierte Lehrerin, verwaltet den „Sozialfonds“ der Schule. Dieser speist sich hauptsächlich aus Benefiz-Veranstaltungen und hofft auch bald auf Spenden des Elternvereins. An diesen Fonds können Eltern formlose Anträge stellen, wenn sie mit der Finanzierung von Schikursen oder Förderunterricht nicht zu Rande kommen. „Die Anträge auszusuchen ist gar nicht so einfach, denn es gibt natürlich viel mehr Bedürfnisse, als wir mit unserem Budget abdecken können“, erklärt Windsperger. Sie ist überzeugt davon, dass die derzeitige Schulpolitik vor allem auf menschlicher Seite großen Schaden anrichtet. Sie ist auch Teil eines „Help-Teams“, das sich aus LehrerInnen und Schüler-MediatorInnen sowie der Schulärztin zusammensetzt, um Konflikte innerhalb der Schule zu lösen.
Eine Frage des Charakters
Abseits der geplanten fächerübergreifenden Projekte zu Literatur aus Herkunftsländern arbeitet Margarete Windsperger schon lange mit vielen Werken der Weltliteratur, die sie auch auf ihre Schulklassen abstimmt. Ihre derzeitige Maturaklasse besteht zum Beispiel zum Großteil aus SchülerInnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Es sind MigrantInnen in 1. oder 2. Generation. Beim Durchsehen der Matura-Arbeiten war sie wieder einmal beeindruckt, welche Sprachkompetenzen ihre SchülerInnen trotz Mehrsprachigkeit entwickelt haben.
In ihrem Unterricht, sei es nun Deutsch oder Französisch, ist es ihr wichtig, auch auf aktuelle politische Diskussionen einzugehen und ihre SchülerInnen diesbezüglich auch zur Meinungsbildung zu ermuntern. So sprach sie auch in der Klasse von Omer Mahmoud die Frage der MarokkanerInnen in Frankreich an, nachdem sein Stiefvater selbst Marokkaner ist. Omer konnte dabei sehr wertvolle Erfahrungen einbringen. Der aus Ägypten stammende Schüler erteilt dem Argument, dass ein hoher Anteil so genannter „AusländerInnen“ in einer Klasse die Qualität des Unterrichts drücken, eine klare Absage: „Ob jemand ein guter oder schlechter Schüler ist, ist eine Frage des Charakters, und keine Frage der Nationalität.“ Tatsächlich ist auch Omar einer der besten SchülerInnen seiner Klasse.
Das gehört gefeiert
Wie schon Manu Chao sagte, wäre die Migration in einem Land zu unterdrücken genauso, wie eine Mauer durch einen Fluss zu bauen: Das vielförmig plätschernde Wasser würde sich schlagartig in einen faulenden Tümpel verwandeln. Entgegen populistisch-xenophoben Aussagen mancher GrätzelpolitikerInnen gibt es weder Überfremdung noch ÄusländerInnenflut. Die Stadt ist von Natur aus ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen. Das gilt sowohl für die Reichshauptstadt eines Vielvölker-Staates als auch für eine mittelgroße Stadt inmitten eines neuen Europa.Die SchülerInnen der Rainergasse wollen diese Idee auch nach außen tragen. Was die Jahre zu vor ein Multi-Kulti-Abend für alle Eltern und Angehörigen war, hat sich für dieses Jahr zu einer Beteiligung an einem Bezirksfest gemausert: Die SchülerInnen haben sich bei ihren Eltern und Großeltern nach Spielen aus ihren Herkunftsländern erkundigt und präsentieren diese zusammen mit anderen Organisationen am 23. Juni nachmittags im St.-Johann-Park (Ecke Margaretengürtel-Schönbrunner Straße). Sowohl für musikalisches als auch für kulinarisches Rahmenprogramm ist durch Schulbands und selbstverständlich multikulturelles Büffet gesorgt. Die beiden PolInnen Lukas Fabrykowksi und Lisa-Maria Müller organisieren das Fest: „Das Motto soll sein: ,Komm, spiel mit!‘ Wir wollen zeigen, dass unsere NachbarInnen, mit denen wir oft im selben Haus zusammenwohnen, egal wo sie her sind, spannende Spiele haben und interessant sind. Dabei wollen wir von VolksschülerInnen bis PensionistInnen alle Altersgruppen ansprechen.“
Info:
Multikulturelles Spielefest
23. Juni 2005
15-.20 Uhr
St.-Johann-Park
Ecke Margaretengürtel-Schönbrunner Straße
1050 Wien