Ausflug an die Grenze zu Tschechien
Hier nehmen Kinobesucher_innen an Tischen Platz, auf denen das Glas Bier oder Wein abgestellt werden kann. Der Filmclub Drosendorf sorgt im Waldviertel regelmäßig für Kinogenuss der anderen Art, den Wenzel Müller (Text und Foto) erleben durfte.Im Hinterhof, recht versteckt, ist der Eingang. «Kino» steht darüber, in großen alten Lettern. Ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Ein Kino gab es hier in Drosendorf, direkt an der Grenze zu Tschechien, tatsächlich einmal, ab 1920, doch das stellte, wie so viele andere Kinos auf dem Land, 1990 seinen Betrieb ein. Seither sorgt der Filmclub Drosendorf in dem 2400-Seelen-Dorf im Waldviertel einmal pro Monat für Kinovergnügen. Als Vorführraum dient weiterhin der einstige Kinosaal, inzwischen ein Mehrzweckraum, der zum vorderen Gasthaus Failler gehört.
Zwei Stunden noch bis Vorstellungsbeginn. Einige Mitglieder des Filmclubs sind bereits emsig bei der Arbeit. Den Boden fegen, Tische aufstellen, Sessel herbeischaffen. Eben war hier noch eine Kinderveranstaltung, nun wird der Raum für die Filmvorführung adaptiert. Ja, auch mit Tischen. Andere Kinobetreiber_innen setzen auf Komfort, auf Plüschsessel und Dolby-Surround-Klang, der Filmclub Drosendorf dagegen auf – Wirtshausatmosphäre. Hier nehmen die Kinobesucher_innen an Tischen Platz, auf denen sie das im Gasthaus erstandene Glas Wein oder Bier abstellen können. Zum visuellen Genuss kommt der lukullische. Kino wie in seinen Anfängen, wie damals, als Wanderkinobetreiber_innen noch von Gasthaus zu Gasthaus zogen, nur dass inzwischen auch hier Rauchverbot ist.
An den Wänden rote Tapeten. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Auf die Tische kommen Tischdecken. Und Reservierungskarten. 100 Voranmeldungen gibt es bereits für diesen Abend. Der Saal wird also voll sein. Es herrscht geschäftige Hektik, auch diese gewisse Vorfreude, die sich gerne vor Veranstaltungen breitmacht.
Eben noch hat Andreas Resel im Saal mit angepackt, nun begibt er sich ins Foyer, hinter die Kassa, denn die ersten Besucher_innen treffen ein. Die meisten kennt er und spricht sie mit Vornamen an. Immer wieder herzliche Begrüßungen. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert besteht nun der Filmclub, und in dieser Zeit hat sich ein Stammpublikum, eine treue Anhängerschaft herausgebildet. 50, 60 Leute sind es, die in einem Umkreis von etwa 50 Kilometern wohnen und verlässlich zu den Filmveranstaltungen kommen. Diese Leute schätzen das Waldviertel als Wohnort, seine Abgeschiedenheit, lassen sich aber auch immer wieder gerne von der Traumfabrik Kino in andere Welten entführen.
Schon als kleiner Bub, erzählt Resel, habe er hier hinter der Kassa gestanden, damals noch, um Süßigkeiten zu verkaufen. Er ist einer der Gründungsmitglieder des Filmclubs. Dessen Leiter und Obmann ist seit Anfang an Wilhelm-Christian Erasmus. Dunkle Hornbrille, hell gefärbte Haare. Kein gebürtiger Drosendorfer, doch ihn verschlug es Ende der 1980er-Jahre hierher. Heute bewohnt er das älteste Haus im Ort, direkt gegenüber dem Schloss gelegen: Einst war es eine romanische Kirche, dann ein Schüttkasten und dann ein Gefängnis, wo nicht zuletzt, wie Erasmus halb süffisant, halb stolz erzählt, Räuberhauptmann Grasel inhaftiert war.
Es ist noch etwas Zeit bis Vorstellungsbeginn, und Erasmus führt uns in die Vorführerkabine, in das geheime Zentrum des Kinos: zu zwei AEG-Filmprojektoren aus dem Jahr 1937. Das Besondere an ihnen: Sie arbeiten noch mit Kohlebogenlampen, das heißt, ihr Licht wird durch die Spannung zwischen zwei sich gegenüber liegenden Kohlestiften erzeugt. Eine Technik, die in den 1960er-Jahren unterging, verdrängt von der neu aufgekommenen Xenonbogenlampe. Allerdings nicht in Drosendorf. Hier spricht man von einem Kulturgut, das man nach Kräften weiter hegen und pflegen möchte.
Die Maschinen, obwohl schon 80 Jahre auf dem Buckel, funktionieren anstandslos, sagt Wilhelm-Christian Erasmus. Selbst der Antriebsriemen, ein klassisches Verschleißteil, zeige noch keine Ermüdungserscheinungen. Bleiben als Problem die Kohlestifte, denn die werden nicht mehr hergestellt. Auf der Suche nach diesen Raritäten sind Mitglieder des Filmclubs bereits alte Kinos in Osteuropa abgefahren. Und demnächst, sagt der Obmann, würden sie sich gen Indien orientieren, denn dort gäbe es noch Kinos der alten Bauart.
Ulrich Seidl führt zu Problemen
An diesem Abend kommt allerdings digitale Technik zum Einsatz. Gezeigt wird «Wilde Maus» von Josef Hader, nur eine Woche nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Berlin. Der Saal ist gesteckt voll. Ein Besucher hat seine zwei Hunde mitgebracht. Darf er, hier sieht man das nicht so eng.
Was diesen Kinobesuch von anderen unterscheidet: Hier gibt es kein Popcorn-Geraschel. Auch wird hier nicht präsentiert, was man mit Mainstream umschreiben könnte. Nicht Hollywood, stattdessen Arthouse-Filme, europäisches Kino. Neben österreichischen bilden bulgarische, rumänische und tschechische Filme einen Schwerpunkt. Schließlich ist man in einem Grenzgebiet zu Hause.
Ein neuer Streifen von Ulrich Seidl, der feiert regelmäßig seine Premiere in Drosendorf. Und stellt den Filmclub immer vor Logistikprobleme, da jeweils ein hoher Besucher_innenansturm bewältigt werden muss. Zu Seidls «Hundstage» kamen nicht weniger als 250 Besucher_innen, es war das «reine Chaos», erinnert sich Resel, doch irgendwie schafften sie es, dass alle einen Platz zu fanden.
Im Laufe der Jahre hat sich ein besonderes Naheverhältnis zwischen dem großen österreichischen Regisseur, immerhin Gewinner des Großen Preises der Jury in Venedig, und dem kleinen Filmclub entwickelt, ja, der Filmclub war für Seidl nicht zuletzt ein Grund, sich mit Zweitwohnsitz in Drosendorf niederzulassen.
Es gab, erzählt Wilhelm-Christian Erasmus, auch schon gemeinsam mit Seidl veranstaltete Filmabende in dessen Weinkeller. Überhaupt sei der Filmclub ständig auf der Suche nach neuen Ideen, schon im eigenen Interesse, damit sie, die (ehrenamtlichen) Mitglieder, immer wieder etwas Anderes erlebten. Und was haben sie nicht auch schon alles auf die Beine gestellt! Autokino, Sommerkino im Strandbad, Vorführung in aufgelassenen Gasthäusern, Filme mit Live-Musik. Momentan arbeiteten sie daran, ein «energieautarkes Kino» zu schaffen.
Die Vorführung der «Wilden Maus» ist zu Ende. Oft schließt sich an den Film noch eine Diskussion mit den Filmschaffenden an, die in der Regel mit eingeladen werden. Auch mit Hader stand der Filmclub in Kontakt. Der Autor, Regisseur und Hauptdarsteller des Films wäre gerne gekommen, musste allerdings absagen. Zu viele Termine im Augenblick.
Trotzdem ist die Veranstaltung noch nicht zu Ende, sie geht weiter, mit Suppe und Wein. Die anschließende Verköstigung, im Eintrittspreis inkludiert, ist fester Bestanteil der Veranstaltung. Die Besucher_innen bleiben an ihren Tischen sitzen und unterhalten sich. Kino ist traditionell ein Ort der Weltflucht. Hier, in diesem Wirtshaus-Kino, ist es auch und vor allem ein Ort der Begegnung.
Diese Reportage aus Drosendorf bildet den Auftakt zu einer loser Serie über Kinos außerhalb von Wien.