Eine Südtiroler Gemeinde macht ihre eigene Agrar- und Gesundheitspolitik
Bis vor einem Jahr war Mals ein relativ unbekanntes Dorf. Das hat sich in der Zwischenzeit grundlegend geändert: Der kleine Ort im Oberen Vinschgau erscheint jetzt grellrot auf dem Radar von Konzernen wie Monsanto oder BASF. Werner Kräutler (Text und Fotos) war in der ersten pestizidfreien Gemeinde Europas zu Besuch.
Das Wunder von Mals wird es genannt. Das, was derzeit in diesem mittelalterlich anmutenden Dörfchen stattfindet, ist in der Tat wundersam und einmalig für Europa. Denn in Mals wurde in der Gemeindesatzung – einer Art lokaler Verfassung – ein für allemal festgeschrieben, dass chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel innerhalb der Gemeindegrenzen nicht verwendet werden dürfen. Basta! Mals, das «Dorf der Türme» in der Nähe des Reschenpasses im Oberen Vinschgau, hat sich für pestizidfrei erklärt. Während die Agrarindustrie rotiert, ist es zu einem leuchtenden Vorbild dafür geworden, wie man dem Treiben der internationalen Giftmischer und der mit ihnen verbandeltetn Politiker_innen Einhalt gebieten kann. Aber der Reihe nach.
Begonnen hatte diese wohl einmalige Geschichte mit dem «Manifest von ‹akademischen Frauen und Männern› des Oberen Vinschgaus» im Mai 2013. Darin wurde von den Politiker_innen ein Verbot der Ausbringung von chemisch-synthetischen Pestiziden und Insektiziden gefordert. Die Begründung: Keines der im konventionellen und integrierten Obstbau verwendeten synthetischen Pestizide und Insektizide werde als «ungefährlich» eingestuft. Dem Manifest gingen gehäufte Meldungen über massiv Rückstände voraus, die aus der flächendeckenden Ausbringung der Gifte in den Südtiroler Obst-Monokulturen stammen mussten.
2014 ließ die Umweltschutzgruppe Vinschgau Wasser- und Grasproben analysieren, die in sogenannten «sensiblen Zonen» wie Schulen, Kindergärten, Sportplätzen oder Radwegen entnommen wurden. Der gemeinsame giftige Nenner: In allen Proben wurden Pestizidrückstände gefunden, die offiziell als «giftig» oder «sehr giftig» klassifiziert werden.
Wie verheerend der enorme Chemieeinsatz auf Südtiroler Obstplantagen war und ist, wird auch ersichtlich, wenn das Gras von biologisch arbeitenden Bauern und Bäuerinnen teilweise so verseucht ist, dass es vernichtet werden muss; ebenso die Kräuterernte einer biologisch arbeitenden Kräuterzucht weitab der Apfelplantagen. Der Grund in beiden Fällen: Die Konzentration an Giften war zu hoch. Aufgrund der «Abdrift» des Giftes über die teils heftigen Windbewegungen im Vinschgau war es sogar noch in der Gletscherregion des Ortler nachweisbar.
Die Kollateralschäden der Südtiroler Obstindustrie
Für heftige Diskussionen sorgt jedes Jahr wieder ein – wie es offiziell verbrämt umschrieben wird – «unerklärliches» Bienensterben. In den Amtsstuben des Landes ist man sich – streng vertraulich natürlich – der Ursache einigermaßen bewusst. Aus einem von der «Neuen Südtiroler Tageszeitung» veröffentlichten vertraulichen Protokoll einer Sitzung landwirtschaftlicher Interessensgruppen vor bereits zwei Jahren geht hervor, dass «der Verlust an Flugbienen nach Ende des Spritzverbotes» am stärksten ist. Jedes Jahr fallen tausende, wenn nicht gar hunderttausende Bienen ausgerechnet dann tot vom Himmel, wenn die Apfelbaron_innen ihre Kompressoren anwerfen und das Gift in Schwaden über die Obstgärten jagen, dessen Wolken sich anschließend auf Siedlungen, Tiere und Menschen legen. Das dramatische Ergebnis chemischer Untersuchungen toter Bienen sollte eigentlich auch unter Verschluss gehalten werden: In den leblosen Körpern der Bienen wurden bis zu elf verschiedene Gifte gefunden, die allesamt aus Spritzmitteln stammten, darunter sogar absolut verbotene Mittel, wie die «Neue Südtiroler Tageszeitung» berichtete. Vor einem Jahr wurden in einem Bach der Gemeinde Plaus im Unteren Vinschgau zu allem Übel noch hunderte verendete Fische entdeckt. Ein Insektizid wurde als Todesursache dingfest gemacht. Es wird zur Bekämpfung der sogenannten Apfeltriebsucht verwendet. Ein weiterer «Kollateralschaden» der Südtiroler Apfel-Monokulturen, die immer anfälliger gegen Schädlinge und Pilze aller Art werden. Ein weiterer Vorfall vor zwei Jahren führte die dramatische Konsequenz des zügellosen Chemieeinsatzes auf Südtiroler Apfel-Monokulturen vor Augen: Ein Hund starb unter entsetzlichen Qualen, vergiftet durch ein Pflanzenschutzmittel, das er zu sich nahm, als er in der Nähe eines Obstgartens Wasser aus einer Pfütze trank. Ein anderer Hund konnte durch den Einsatz eines Tierarztes in letzter Sekunde gerettet werden.
Für Mals ist jetzt Schluss mit «lustig»
Der Malser Bevölkerung platzte ob dieser schleichenden Verseuchung der Kragen. Und sie sah auch die Gefahr. Denn durch den Klimawandel bedingt rückten die riesigen Apfelplantagen immer näher an Mals heran. War es vor einigen Jahrzehnten schwer vorstellbar, dass Äpfel in der klimatisch eher rauen Gegend des Oberen Vinschgaus gedeihen, scheint das in Zukunft möglich. Die Menschen in Mals befürchteten zu Recht, nunmehr mitten in die Giftwolken zu geraten, und waren entschlossen, dem Tun der Obstbarone und der Agrarkonzerne Einhalt zu gebieten.
Eine von einer Kerngruppe initiierte Volksabstimmung brachte im Herbst 2014 ein eindeutiges Ergebnis: Die Malser Bevölkerung lehnte mit überwältigender Mehrheit den Einsatz von giftigen Pestiziden und Herbiziden auf ihrem Gemeindegebiet ab.
Kurzfristig musste die Malser Bevölkerung trotzdem befürchten, ihr Widerstand würde von der alles dominierenden Südtiroler Volkspartei und dem mit ihr unter einer Decke steckenden Bauernverband unterlaufen. Die versuchten zurückzuschlagen. Und das, obwohl sich eine Dreiviertelmehrheit der Bevölkerung für ein Verbot EU-weit zugelassener chemisch-synthetischer Pestizide ausgesprochen hatte. Die Mehrheit des damaligen Malser Gemeindeparlamentes wollte sich weigern, dieses eindeutige Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen und es entsprechend in der (in Italien existierenden) Gemeindesatzung, einer Art Gemeindeverfassung, festzuschreiben. Und das, obwohl mit Ulrich Veith schon damals ein vehementer Befürworter des Verbotes Bürgermeister war; seine eigenen Parteifreund_innen fielen ihm bei der Abstimmung in den Rücken.
Im Mai 2015 standen allerdings die Südtiroler Gemeindevertretungswahlen auf der Tagesordnung. Die Gift-Befürworter_innen wurden von den Wählenden aus ihren Ämtern gefegt. Bürgermeister Ulrich Veith und die Pestizidgegner_innen erzielten ein Traumergebnis. Sie verankerten das Ergebnis der Volksabstimmung gleich bei ihrer ersten Sitzung in der Gemeindesatzung: Mals war pestizid-, herbizid- und insektizidfrei.
Den «Malser Bazillus» politisch unterbinden
Erst kürzlich machte das widerständige Dorf den Sack für die Pestizidkonzerne vollends zu. Mit der Gründung einer «Bürgergenossenschaft» Ende Februar 2016 wird der Widerstand nachhaltig in konkrete, regionale und vor allem giftfreie Aktionen und Aktivitäten gegossen. Mals ist vollends zu einem europäischen Vorzeigemodell geworden.
Aber wer glaubt, die Südtiroler Landesregierung und die mit ihr verbandelten Bauernorganisationen hätten aus ihren Fehlern gelernt, täuscht sich gewaltig. Derzeit wird ein Landesgesetzvorschlag von Agrarlandesrat Schuler diskutiert, mit dem dieser die Gemeinden in Sachen Agrogifte restlos entmündigen will: Das Land soll bei der Entscheidung um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln die alleinige Kompetenz erhalten.
Giftln auf Landesbefehl hin quasi.
https://umweltvinschgau.wordpress.com
Bürgergenossenschaft Mals: www.bgo.bz.it
Werner Kräutler, Oberhirte auf Helgas Alm in Tirol, Blogger und Jakobspilger. Sein Tirol-Blog «Tirol isch toll» nimmt sich seit geraumer Zeit ausnahmslos positiven Themen an.