In Krenglbach wird «Mobilitätsphilosophie» für die Praxis runtergebrochen
Die «Mobilcard Krenglbach» steht für ein neuartiges Mobilitätskonzept mit den Zutaten Carsharing und Anrufsammeltaxi für den ländlichen Raum. Der Augustin besuchte das dafür verantwortliche und bereits von der Fachwelt ausgezeichnete Brüderpaar Gerhard und Norbert Rainer in Oberösterreich.
Foto: Alexander Sper
«In jeder Gemeinde gibt es einen Musikverein oder eine Freiwillige Feuerwehr. Unsere Vision ist, dass es in jeder Gemeinde auch einen Mobilitätsverein geben sollte und diese sich vernetzen», erzählt Norbert Rainer auf ruhige und reflektierte Art. Er macht nicht den Eindruck, als ob er wegen der Vision einen Arzt brauchen würde, ebenso wenig sein Bruder Gerhard, mit dem er den Verein «Mobilcard Krenglbach» gründete und der mit am Tisch der schattigen Veranda ihres Elternhauses sitzt.
Vor rund zehn Jahren sei er aber schon noch schief angeschaut worden, erzählt Norbert, damals als er von seinem Studienort zurück in seine Heimatgemeinde Krenglbach gekommen sei und den Postbus genommen habe: «In Innsbruck war es normal, mit dem öffentlichen Bus zu fahren, aber hier hatten einige gedacht, mir sei der Führerschein abgenommen worden oder ich hätte ein anderes Problem.»
Das «Problem» von Norbert Rainer und seinem Bruder Gerhard ist, dass sie sich Gedanken zu einer umweltverträglicheren, nachhaltigeren, aber auch gemütlicheren Mobilität machen und diese in ihrer Freizeit in die Praxis umsetzen. Wobei festzuhalten ist, dass beide beruflich auf ähnlichem Gebiet arbeiten: Gerhard ist Ökologe und Umweltberater und Norbert leitet das Klimabündnis OÖ.
Mit der «Mobilcard» ist ihnen sozusagen ein privater Coup gelungen. Sie gewannen u. a. den ÖGUT-Umweltpreis in der Kategorie «Nachhaltige Kommune», der von der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) vergeben wird. Diese Auszeichnung bringt Anerkennung in der Fachwelt und führt zu vielen Vorträgen, aber nicht nur auf Fachtagungen, sondern auch in Gemeinden, wo Ähnliches angedacht wird. «Wobei«, so Norbert im Klartext, «die Einzelteile des Projektes sind nichts Neues, denn Carsharing und Sammeltaxis hat es vorher auch schon gegeben, nur das Zusammenführen und Abwickeln dieser Module über einen Verein ist neu.»
«Vereine sind vor allem am Land gut verankert», fährt Gerhard fort und ein großer Pluspunkt für Vereine sei die Flexibilität in der Administration, die in der Kommune nicht so gegeben wäre. Die große Herausforderung habe darin bestanden, «unsere philosophischen Ansprüche für die Praxis runterzubrechen, denn bei einer Präsentation in der Gemeinde braucht man nicht mit philosophischen Gedanken aufkreuzen. Die Leute wollen dort wissen, wie oft das Sammeltaxi fahren würde, was es koste etc.».
Apropos Kosten: Das Preis-Leistungs-Verhältnis der Mobilcard ist schwer zu übertrumpfen und damit bestes Beispiel dafür, wie «philosophische» Mobilitätskonzepte für die Praxis runtergebrochen werden können. Für einen Monatsbeitrag von elf Euro kann man ohne zusätzliche Kosten die Dienste des Anrufsammeltaxis «Kraxi» – eine Wortkomposition aus «Krenglbach» und «Anrufsammeltaxi», in Anspruch nehmen. Ohne Mitgliedschaft kostet die Einzelfahrt € 2,10. Die Mobilcard legitimiert auch zur Benützung der vereinseigenen Elektroautos «el Flitzi» und «el Maxi», deren Namen aus einem Wettbewerb in der Volksschule hervorgegangen sind, wobei pro Stunde 50 Cent und pro gefahrenem Kilometer 10 Cent verrechnet werden. Selbst Unternehmen können und sollen dem Verein beitreten, müssen aber im Vergleich zu Privatpersonen den zehnfachen Mitgliedsbeitrag entrichten.
Für die ersten drei Jahre ist das Projekt Mobilcard Krenglbach durch die öffentliche Hand finanziell abgesichert. «Die Politik ist interessiert daran, Rahmenbedingungen zu schaffen, muss aber erst feststellen, welche es braucht, und das lernt sie jetzt mit uns», plaudert Norbert Rainer aus dem Nähkästchen und verschweigt auch nicht, dass nach Ablauf der Startsubvention die Mitgliedsbeiträge erhöht werden müssen.
Offensichtliche Kostenersparnis
Wir begeben uns ins Zentrum der 3.000-Einwohner_innen-Gemeinde, wo die Stromtankstelle eingerichtet ist und treffen dort Michael Pötzlberger. – Das ist nicht ganz zufällig, denn noch auf der Veranda der Familie Rainer sitzend, hefteten wir uns bereits an seine Fersen. Wir loggten uns ins Reservierungssystem ein, das von «carsharing24/7», eine Plattform für privates Carsharing, zur Verfügung gestellt wird, und konnten nicht nur sehen, dass Herr Pötzlberger gerade unterwegs ist, sondern auch relativ genau ablesen, wann er das geliehene Auto abstellen wird. Auf die fehlende Privatsphäre angesprochen, antwortet Gerhard, er sei ein wenig skeptisch bezüglich Datensicherheit gewesen, aber es habe bis dato noch keine Beschwerde wegen fehlender Anonymität gegeben. Und falls man darauf bestünde, könnte man die Fahrten ganz leicht anonymisieren. Sein Bruder Norbert betrachtet diesen Aspekt hingegen affirmativ: «Man soll sehen, wer wann unterwegs ist, denn dadurch ergeben sich Mitfahrgelegenheiten. Wir sind ein kleiner Verein, wo sich die Mitglieder untereinander kennen und sich zusammenschließen sollen.»
Wir erwarten also Herrn Pötzlberger im Ortszentrum. Als er mit dem Elektroauto eintrifft, gestehen wir, ihm nachspioniert zu haben. Er zeigt sich trotzdem auskunftswillig. Zwei Monate lang habe er die Möglichkeiten, die ihm und seiner Familie von der Mobilcard geboten werden, getestet, bevor er das Zweitauto leichten Herzens verkaufen konnte. Die Kostenersparnis sei so offensichtlich gewesen, dass er gar nicht kalkulieren musste, was billiger komme.
Michael Pötzlberger ist natürlich ein Vorzeigemitglied des Vereins, denn es ist eine Intention der Mobilcard-Gründer, dass wenigstens aufs Zweitauto verzichtet wird. Krenglbach liegt nämlich im Bezirk Wels-Land, in jenem Bezirk mit der zweithöchsten Autodichte in Oberösterreich. Viel Grün und im Zentralraum gelegen, das sind Komponenten, von denen sich wohlhabende Menschen angezogen fühlen – und in ihren Haushalten ist meist mehr als ein Auto zu finden. Ältere Menschen hätten rasch das Kraxi benutzt, «aber verflixt», hatte sich Norbert Rainer gedacht, «warum fahren keine Kinder mit dem Kraxi zum Fußballtraining oder zum Turnen?» Bis ihm die örtliche soziale Struktur bewusst (gemacht) wurde: Einerseits gibt es viele alleinstehende ältere Frauen, die mit dem Sammeltaxi an Mobilität gewonnen haben, andererseits gibt es auch viele Eltern im Ort, die es als ihre Aufgabe betrachten, ihre Kinder zu chauffieren. «Und gerade diesen schmackhaft zu machen, ihre Kinder mit dem Kraxi ins Training zu schicken, sei nicht so einfach gewesen.»
Mit Gerhard und Norbert Rainer sprach Reinhold Schachner
mobilcard.at
carsharing247.com
Projekte auf kommunaler Basis:
www.gaubitsch.at/stromgleiter
www.hartberg.at/index.php?seitenId=776