«Dass das 80 Jahre durchgehen konnte …»tun & lassen

Das Buch «Der Wein des Vergessens» lüftet ein Kremser Arisierungsgeheimnis

Die Winzergenossenschaft Krems wurde durch die Arisierung eines jüdischen Weinguts groß. Der eben erst erschienene historische Roman «Der Wein des Vergessens» thematisiert dieses bis zuletzt nicht erforschte Thema. Mit den Autoren Robert Streibel und Bernhard Herrman hat sich Günther Stockinger unterhalten.Wie kam es zu dem Buch, dessen Thema bislang schlimmstenfalls ein Gerücht gewesen ist?

Bernhard Herrman: Im Zuge einer Erbschaft bin ich beim Aufräumen auf eine Metallkassette gestoßen, die Fotos und Dokumente aus der Nazizeit enthalten hat. Da ich selbst Historiker bin, hat dieser Inhalt mein Interesse geweckt. In der Familie hat es immer Gerüchte über ein Weingut in der Wachau gegeben und darüber, dass «der Onkel» dort gewesen sei, aber ich hätte das nie mit der Sandgrube assoziiert.

Wie sind Sie dann auf Robert Streibel gekommen?

Herrman: Als sich herausstellte, dass «die Sandgrube» die heutige «Sandgrube 13» in Krems ist und durch den Umstand, dass Robert Streibel die kompetente Auskunftsperson zu Krems in der Nazizeit ist, lag das nahe. Ich habe dann auch noch den gesamten Akt der NS-Vermögenverkehrsstelle zu diesem Fall im Staatsarchiv gefunden, Robert Streibel war daran ebenfalls heftig interessiert, sodass wir uns dann an die Arbeit gemacht haben.

Auf welchen Sachverhalt sind Sie dabei gestoßen?

Robert Streibel: Es geht um das Weingut Sandgrube in Krems, das im Besitz von Paul und Johanna Robitschek, beide jüdisch, und des stillen Teilhabers August Rieger war. Robitschek war darüber hinaus Eigentümer eines großen Weinguts in der Steiermark und des größten Weinkellers in Wien-Heiligenstadt. Als die Nazis Österreich 1938 besetzten, versuchte Paul Robitschek zu einem Zeitpunkt, an dem es nach reichsdeutschen Gesetzen noch möglich war, das Weingut an August Rieger, der «arisch» war, zu verkaufen. Tatsache aber ist, dass die Winzergenossenschaft Krems, die im Juli 1938 durch einige Proponenten gegründet worden war, nur gegründet werden konnte, wenn sie einen Keller besaß. Den hatte sie aber nicht. Der NS-Ortsbauernführer und Mitbegründer der Winzergenossenschaft Franz Aigner hatte bereits vor dem März 1938 immer wieder erklärt: «Der Judenkeller des Robitschek wird der Keller der Genossenschaft.» Die Proponenten bekamen mit, dass das Weingut verkauft und im Grundbuch auf den Namen August Rieger eingetragen werden sollte. Das wurde verhindert durch die Einschaltung aller möglichen Parteidienststellen und durch Druck auf die handelnden Personen, da Robitschek und Rieger nicht nur Geschäftspartner waren, sondern auch ein Liebespaar. Das Weingut kam unter kommissarische Verwaltung. Rieger hat sich zwar bemüht, den Schaden zu begrenzen, aber da war es schon zu spät. Er wurde noch einmal verhaftet, saß 1943 noch mal einige Monate in Einzelhaft, kam aber wieder frei. Paul Robitschek ist schließlich die Flucht über Triest und Frankreich nach Venezuela gelungen. Rieger hat Robitschek noch auf der Flucht unterstützt und auch dessen Mutter Johanna bis zu deren Deportation mit monatlichen Zahlungen unterstützt. Nach dem Krieg versuchte August Rieger das Weingut zurückzubekommen. Die handelnden Personen wurden sogar in Haft genommen nach § 6 «Bereicherung», aber es kam nie zu einem Prozess, sondern nur zu einer Voruntersuchung, die sich bis 1949 hinzog. Dann gab es einen Vergleich in der Höhe von 600.000 Schilling an Robitschek und Rieger. Die Winzergenossenschaft blieb Eigentümerin.

2005 erschien das Buch Der Kremser Wein und die Kremser Weinkultur von Hans Frühwirth, das bezogen auf den «Erwerb» der Sandgrube voll von Geschichtsklitterung ist.

Herrman: Ja, das betrifft vor allem den Zeitpunkt des «Erwerbs». Frühwirth schreibt: «Der Keller des 1938 geflüchteten Paul Robitschek, von einem Treuhänder verwaltet, war frei. Er wurde zu einem der damaligen Zeit entsprechenden Preis angekauft. Dass es kein ‹unredlicher Erwerb› war, wurde 1947 von einem Beamten des Volksgerichtshofes bestätigt.» Weiter wird unterschwellig das Klischee der «jüdischen Gier und Unredlichkeit» bedient: «Trotzdem forderte 1946 der nunmehr in Venezuela beheimatete Robitschek die Rückstellung des Kellers ein. Die völlige Erfüllung seiner Forderung (1 Million) hätte die Genossenschaft schwer geschädigt oder sogar zu deren Auflösung geführt (…). Im Juni 1948 kam nach einem Lokalaugenschein unter dem damaligen Obmann Gottfried Preiß ein Vergleich zustande. Die WG (Winzergenossenschaft, Anm.) zahlte einen Abschlagbetrag von S 600.000 und kaufte damit den Keller zum zweiten Male.» Frühwirth erwähnt nicht, dass der angeblich «der damaligen Zeit entsprechende Kaufpreis von 22.000 Reichsmark auf ein Sperrkonto überwiesen wurde und so dem Fiskus des «Dritten Reiches» zugefallen war und nicht den jüdischen Eigentümern. In dem Frühwirth-Buch kommt auch kein einziges Mal das Wort «Nationalsozialismus» vor, der Autor blendet damit bewusst die Gründungsgeschichte aus, die Profiteure in Krems, die anti-jüdische Gesetzgebung und deren dramatische Auswirkungen auf das Schicksal der jüdischen Eigentümer der Sandgrube und ihrer Freunde.

Streibel: Dieser Fall war in dieser Dimension für mich selbst überraschend und ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit Kremser Zeitgeschichte. Ich habe zwar immer wieder Gerüchte gehört, aber dass es dieses Paradeunternehmen bis 2017, 2018 geschafft hat, eine scheinbar weiße Weste zu behalten, ist schon bemerkenswert. In der Sandgrube 13 wird seit vielen, vielen Jahren das Festival glatt&verkehrt mit Gästen aus der ganzen Welt abgefeiert. Da soll sich kein Mensch je gefragt haben: ‹Hallo, die Winzergenossenschaft wird nach dem «Anschluss» gegründet, war da nichts?› Dass das also 80 Jahre durchgehen konnte, ist schon unglaublich.

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