Autorin Miroslava Svolikova
Die Wiener Dramatikerin Miroslava Svolikova feierte 2015 mit ihrem ersten Stück
Die Hockenden Erfolge.. Ihre Texte sind voller absurdem Humor, lassen Raum für Interpretationen, ohne jedoch die Konkretheit zu verlieren. Ihr drittes Stück Europa flieht nach Europa läuft derzeit im Wiener Kasino am Schwarzenbergplatz. Ruth Weismann hat sich mit der Autorin über europäische Geschichte, Alien-Gefühle und sprechende Regenbögen unterhalten.
Foto: Marija Jociūtė
Frau Svolikova, wovor flieht Europa in ihrem Stück?
Europa ist eine Figur der griechischen Mythologie. Sie wird von Zeus, der sie in Gestalt eines Stiers verfolgt, entführt. Ich interpretiere das dann anders. In Europa flieht nach Europa bringt sie ihn mit der Spitze eines Haares um. Sie will ein Land gründen, in dem alle Platz haben, in dem es keine Mauern und keine Gewalt gibt. Sie stolpert dann in mehreren Szenen durch die europäische Geschichte und Ideengeschichte.
Mich hat interessiert, dass die Figur Europa von woanders kommt und dann – in der mythologischen Geschichte – der Kontinent nach ihr benannt wird, weil sie zufällig dort gelandet ist. Dieses Zufällige finde ich interessant, zufällig ist sie auf der Flucht vor dem Stier irgendwo gelandet. Dazu hat mich natürlich interessiert, dass in der europäischen Geschichte es so viele Einflüsse gibt, sich so viel vermischt und immer wieder auch rückbezogen wird.
Beim Titel denkt man heute natürlich auch an die Geflüchteten, die nach Europa kommen …
Das ist nicht explizit im Stück, aber natürlich spielt es eine Rolle, dass das zu Europa dazugehört. Verschiedenes integriert sich. Also die Idee, dass dieses Offene und nicht so klar Definierte einfach dazugehört, ist zentral.
Sie haben sich schon in Ihrem letzten Stück, das den Titel Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt trägt, mit Europa beschäftigt. Warum ist das Thema so wichtig für Sie?
Bei Diese Mauer ist es so, dass Europa in der Zukunft auch das Thema der Ausschreibung war. Im Stück ging es mir dann auch mehr um diesen Mechanismus von Ausschreibungen. Aber ich hatte die Idee mit dem Stern – das war noch vor dem Brexit –, dass die EU nur noch ein Museum ist, und dieser letzte Stern ist ein Exponat und redet und fragt: Wo sind alle? – Die Idee kam mir, weil man da schon so ein Gefühl hatte, dass etwas auseinanderbricht. Aber das Thema ist ja auf mehreren Ebenen interessant.
In Europa flieht nach Europa geht es auch um die ganze widersprüchliche Geschichte aus Utopien, Ideologien und Gewalt. Sie lassen viel offen und geben keine klaren Antworten …
Ja, weil ich nicht finde, dass das meine Aufgabe ist; aber auch nicht meine Stärke. Ich arbeite mit Verdichtungen, mit Bildern, die man auf mehreren Ebenen lesen kann. Dann interessiert mich, was die Leute dazu sagen. Was sie darin gesehen haben, worüber sie reflektiert haben oder was ihnen weiter einfällt. Das finde ich spannend.
Finden Sie, dass man Position beziehen soll, innerhalb so einer künstlerischen Arbeit?
Das macht man ja eh, das ist auch in meinem Stück vorhanden. Aber wenn es zu explizit wird, dann wird es oft wie eine to do list, das möchte ich nicht so machen. Aber es ist Aussage mit drin und bis zu einem gewissen Grad klar positioniert.
Sie haben ja selbst eine sehr europäische Biografie. Sie sind Österreicherin, ihre Elten sind aus der damaligen Tschechoslowakei emigriert. Sie erwähnten einmal, dass sie öfters als Slowakin vorgestellt werden …
Mittlerweile ist es schon besser geworden. Aber es war öfters so, dass ich das Gefühl hatte, sagen zu müssen: «Ich bin aber schon a Österreicherin.» Das ist aber auch blöd, offensichtlich bin ich keine echte, dann sag ich besser gar nichts. Man ist in der Falle. Ich dachte, man nimmt mir etwas weg, emotional gesehen. Ich bin ja total überassimiliert, eigentlich. Die Zuweisungen, was man denn jetzt ist, sind das eigentliche Problem, weil für Migranten sind diese Zuweisungen nicht gemacht, das merkt man in solchen Situationen sofort. Im Alltag hab ich diese Probleme nicht, ich war immer in einem sehr offenen Umfeld, den Vornamen verwende ich in der Form nur auf dem Papier, und Namen machen irrsinnig viel aus.
Wie gesagt, jetzt bin ich überall ein bisschen vorgestellt, in den Medien, und ich hatte die Chance, es auch klarzustellen. Trotzdem fühlt man sich manchmal wie ein Alien. Und ich denke, ich sollte mich eigentlich mit Inhalten beschäftigen und nicht ständig damit.
Stichwort Inhalt: In ihrer Bearbeitung des Mythos bringt Europa den Stier, der sie vergewaltigen will, um. Eine feministische Version also?
Sie wird entführt von Zeus, in Stiergestalt, der sich Sterbliche rauspickt und die dann einfach vergewaltigt. Die Kinder von denen werden dann irgendwas. Das ist einfach: what the fuck?! Deshalb hab ich mir gedacht, nein, das ist logisch, dass sie ihn umbringt, das ist Selbstverteidigung. Aber es ist natürlich in diesem märchenhaften Genre erzählt.
Was in ihren Stücken oft vorkommt, sind Dinge, die wie Figuren funktionieren und sprechen. Im aktuellen Stück etwa der Regenbogen, im letzten Mauer, Stern und andere. Wie kommt es zu diesem Zugang?
Jemand hat mich mal gefragt, ob das eine Demokratisierung ist, wenn sogar die Objekte sprechen dürfen. So habe ich mir das gar nicht gedacht, aber es macht Sinn. Für mich ist relevant, dass ein Symbol sich quasi selbst erklärt, in einem performativen Sprechen. Ich lasse auch Berufsbezeichnungen sprechen oder Zitate. Ob ich eine Figur schreibe und die sprechen lasse, oder ein Objekt, ist dasselbe, was auch damit zusammenhängt, dass ich keine psychologischen Charaktere entwerfe. Die Figuren kann jeder sprechen, es ist austauschbar. Das empfinde ich als sinnvollen Zugang zum Theater, auch weil dann solche Fragen, wer was spielen soll, irrelevant werden, wenn man nicht über Psychologisierung geht. Man muss nicht fragen, wer kann was spielen oder nicht. Es können alle Schauspieler und Schauspielerinnen jeden Alters, Geschlecht oder Backgrounds alles spielen.
Sie spielen auch viel mit Brüchen zwischen Ernst und Humor …
Für mich schließt sich das überhaupt nicht aus, Ernst und Humor sind immer parallel da. Wenn ich eines meiner Stücke mehrmals gesehen habe, dann hatte ich auch immer das Gefühl, je nach Tag ist es manchmal total lustig und manchmal ernst. Es macht einen Unterschied, was die Schauspieler gerade machen oder wie die Stimmung im Raum ist. Wenn ein Stück offen dafür ist, umzuschwenken, dann finde ich das interessant. Es hat ein ernstes Moment, aber es suhlt sich nicht darin.
Was interessiert Sie am meisten, beim Schreiben fürs Theater?
Ich sage immer, ich bin da so reingerutscht, weil ich 2015 den Retzhofer Dramapreis gewonnen habe. Aber ich habe schon immer gesucht, in welcher Form ich schreiben soll, habe Lyrik geschrieben und in verschiedenen experimentellen Formen. Ich habe das Gefühl, dass das Theater eine gute Form für mich ist. Ich schreibe lustiger. Es wird lustiger, weil man weiß, es geht noch durch so viele Hände durch, es wird noch so viel damit gemacht. Und weil ich so lange mit Lyrik gearbeitet habe, habe ich irgendwie diesen Anspruch, dass die Sätze einfach da stehen können und von den Schauspielern auch gerne genommen werden. Ich möchte nicht, dass das so ein Material ist, das man einfach hinhaut, und dann gehe ich weiter zum nächsten. Das ist mir wichtig.
Als ich im Goethe-Institut in Tokio war, hat eine junge Regisseurin eine szenische Lesung mit einem meiner Texte auf Japanisch gemacht. Sie hat viel interpretiert und eigentlich eine kleine Regiearbeit daraus gemacht. Ein Theaterwissenschaftler hat kritisiert, dass das too much sei, er wollte mich eigentlich verteidigen. Ich habe mir gleichzeitig gedacht, eigentlich war das eine super Arbeit. Ich bin echt nicht da, dass ich sage, was sie machen darf und was nicht. Das ist ja nicht die Idee. Eigentlich eine komische, schwierige Situation, in der man ist, als Dramatikerin.
Europa flieht nach Europa
Ein dramatisches Gedicht in mehreren Tableaus
Termine: 14. und 15. Oktober, 20 Uhr, weitere folgen
Kasino am Schwarzenbergplatz
1., Schwarzenbergplatz 1
www.burgtheater.at