Sommer, Sonne, Reisezeit, aber unser gegenwärtiges Mobilitätskonzept in Form von Billigflug und Autofahrerei kriselt – klimabedingt. Wäre Autostoppen eine ausbaufähige Alternative?
Text: Christof Mackinger
Fotos: Bettina Fleischanderl
Wien Hütteldorf, Sonntagnachmittag. Mindestens 30 Autos sind es pro Minute, die an mir vorbeibrausen. Meist mit nur einer Person besetzt, die Rückbank eigentlich immer leer. Und trotzdem, die Autos fahren einfach weiter. Manch Fahrer:in zuckt mit den Schultern, andere fuchteln kryptisch in der Luft herum. Die meisten aber ignorieren ganz einfach, wofür ich mich mit meinem ausgestreckten Daumen an der letzten Haltemöglichkeit vor der Autobahnauffahrt positioniert habe: Sie sollen stehenbleiben, um mir eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Autostoppen ist aus der Mode geraten. Waren es vor einigen Jahren noch Billigbusse und -flüge, hat zuletzt die Corona-Pandemie den verbliebenen Tramper:innen sozusagen «das Geschäft» kaputtgemacht. Das Problem aber ist, dass in Österreich unglaubliche 60 Prozent der Wege mit PKWs zurückgelegt werden. Durch den Verkehr wurden im vergangenen Jahr ganze 22 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen. Kein Wunder, dass für den Verkehrsclub Österreich die steigenden Emissionen des Verkehrs mit Abstand das größte Klimaschutzproblem des Landes darstellt. Da muss sich auf politischer Ebene also was bewegen. Weil das erfahrungsgemäß viel zu langsam geht, kann vorerst Autostoppen Abhilfe schaffen: Die Reise mit dem ausgestreckten Daumen ist eine der billigsten Arten von A nach B zu gelangen. Sie ist auch ökologisch, birgt nicht enden wollende Überraschungen und ist manchmal sogar schneller als mit dem Zug.
Auto, stopp!
Eine, die das aus der Praxis kennt, ist Heidi Glawitsch. Sie lebt in einem Hofkollektiv im südlichen Burgenland, wo der Öffentliche Verkehr traditionell schlecht ausgebaut ist. Zur Arbeit fährt die Fahrradmechanikerin mit dem Drahtesel. Weitere Strecken aber, nach Wien, Graz oder in den Urlaub, legt sie per Autostopp zurück. Und das seit 15 Jahren. Warum? «Es fahren eh überall ständig Autos. Wir brauchen nicht noch mehr Verbrennungsmotoren.» Beim Trampen genießt sie es, mit Menschen außerhalb «ihrer Blase» in Kontakt zu kommen. «Man redet mit Leuten, die man sonst nicht trifft». Zudem lerne man Menschen aus der Umgebung kennen. Beim Autostoppen also kommen d’ Leut’ zam. Auch in Hütteldorf kommen endlich d’ Leut’ zam: Rund 15 Minuten und gefühlte 1.000 Autos später ein Pfiff. An der Bushaltestelle ist ein Kombi stehengeblieben. Ich habe Glück. Drei Männer, alles Elektriker, am Weg zur Montage. Ein Platz sei frei, «Kollege ausgefallen». In Vorarlberg herrsche «Elektrikermangel deluxe», erklärt der Lehrling. Dementsprechend lohne sich der weite Weg jede Woche nach Bregenz. Sonntag hin, Freitag zurück. Jedes Handwerker-Klischee erfüllend ernährt man sich im Auto von Energydrinks, Wurstsemmeln und Zigaretten. Wer nicht am Lenkrad sitzt, beschäftigt sich mit dem Handy oder schläft. Zu reden gibt’s offenbar nicht viel.
Fingerspitzengefühl.
Üblicherweise freuen sich Fahrer:innen über Gesellschaft zum Tratschen, andere über wen zum Zuhören. Wobei es schon etwas Fingerspitzengefühl braucht, welche Themen man wie mit wem bespricht, weiß Heidi Glawitsch. «Es ist schon eine Gratwanderung, wie weit man sich auf kontroverse politische Diskussionen beim Stoppen einlässt.» Immerhin soll das Ganze auch für die Fahrer:innen ein positives Erlebnis bleiben», findet die 35-Jährige. «Die sollen ja in Zukunft auch wieder Leute mitnehmen.» Es sei jedenfalls ein Vorteil als Frau zu stoppen, «weil man weniger als Bedrohung wahrgenommen wird». Zum Glück komme es selten vor, «dass wer auf Aufriss aus ist», berichtet die Wahlburgenländerin. In all den Jahren hatte sie dennoch ein paar ungute Erlebnisse mit Männern. «Aber das ist nicht die Regel. Davor habe ich eigentlich keine Angst.» Freundlich auszuschauen sei jedenfalls wichtig, um mitgenommen zu werden, seit Corona auch die sichtbare Bereitschaft vorsichtig zu agieren. Deshalb trage Glawitsch zuletzt oft eine FFP2-Maske gut erkennbar am Arm. Staatsziel Autostoppen? Ist man in Europa noch vom Goodwill der Autofahrer:innen abhängig, ist man in Kuba schon weiter: Auf der Karibikinsel ist das Autostoppen aufgrund der wenigen Autobesitzer:innen und schlechter öffentlicher Infrastruktur gesetzlich verankert. An den «puntos amarillos», Autobahnauffahrten oder -kreuzen, stehen gelbgewandete Menschen, die Amarillos, welche nicht vollbesetzte Fahrzeuge aufhalten, um ihnen Wartende zuzuteilen. Autostoppen als Staatsziel sozusagen. Etwas weniger ambitioniert klingt da die staatliche Strategie in Österreich. Das Klimaschutzministerium ist praktischerweise auch für Infrastruktur und Verkehr zuständig. Auf Augustin-Nachfrage lässt man wissen, Mitfahrbörsen und Co. können «eine gute Ergänzung zum öffentlichen Verkehr sein». Man würde auch Fahrgemeinschaften in Betrieben und ein Forschungsprojekt für eine Fahrgemeinschafts-App fördern. Das Autostoppen, unabhängig von irgendwelchen Apps, spontan und wild, scheint aber bislang kein Teil der Klimaschutzstrategie zu sein. Das Autofahrprivileg angreifen? Maximal auf freiwilliger Basis. Meine Handwerker auf Montage aber brauchen weder Fahrgemeinschaft-Apps noch staatlichen Druck. Sie sind einfach spontan stehengeblieben.
Unser Fahrer, ein Mann um die 50, starrt stoisch auf die Autobahn. Bei einer Geschwindigkeit von 160 – 180 km / h ist das auch ratsam. Einzig als er sich bei einem gewagten Überholmanöver die Hose mit seiner Zigarette voll äschert, fuchtelt er nervös vor dem Lenkrad herum. Währenddessen blicke ich aus dem Fenster und beobachte die Autos, die wir im Höllentempo hinter uns lassen. Mit Genugtuung sehe ich jene zurückfallen, die mich in Hütteldorf noch stehen lassen haben.
Autostoppen als Norm.
Die allermeisten Autofahrer:innen lassen Tramper:innen einfach stehen. Doch was bräuchte es, um diese ökologisch nachhaltige und soziale Art der Fortbewegung wieder zu etablieren? Glawitsch findet, der Diskurs müsste sich verschieben: «Autostoppen muss normal sein, was Cooles.» Heute gelte man als Bittstellerin, das Trampen im besten Fall als «etwas für Studis, arme Leut’ oder Landstreicher:innen». Das müsse komplett umgedreht werden: «Leute, die niemanden mitnehmen, sollten sich komisch fühlen.»
Das Autostoppen zu fördern, ist Ziel der Initiative «Mitfahrbankerl» der Klima- und Energiemodellregion Tullnerfeld Ost. Schon 2019 wurden in fünf Gemeinden zwischen Wien und Tulln 27 eigens markierte Sitzbänke an der Ortsausfahrt installiert. Die verstellbare Anzeigetafel zeigt das gewünschte Ziel der Wartenden an. In öffentlichen Workshops wurden die Bänke gebaut und aufgestellt, erzählt Rupert Wychera aus Zeiselmauer. Wychera ist Manager dieser Modellregion und hat die Bankerl-Aktion mitorganisiert. Wie häufig die Mitfahrbankerl genutzt werden, weiß er allerdings nicht. «Uns geht es mehr darum, den Autostopp-Gedanken zu pflanzen und Diskussionen anzuregen». Ähnliche Projekte wurden schon in Gemeinden in der Steiermark, in Ober- und weitere in Niederösterreich umgesetzt.
Modernste Technologien.
Dass gerade Autostopper:innen am Zahn der Zeit leben, zeigt der Einsatz modernster Technologien auf dem Sektor: Schon im Jahr 2014 trampte «Hitchbot», der erste Autostopp-Roboter, viele tausend Kilometer quer durch Nordamerika. Für Autostopper:innen aus Fleisch und Blut tragen Online-Plattformen wie https://hitchwiki.org Erfahrungen aus der ganzen Welt zusammen, auch Infos zu Standplätzen oder rechtliche Fragen. Und weniger Spontane können sich auf https://greendrive.at schon vorab nach einer Mitfahrgelegenheit umsehen.
Es gibt sie also, die Alternativen. Sie müssen nur noch genutzt werden. Niemand muss mehr alleine seine spritfressende Blechkarosse durch die Gegend kutschieren!
Erfolgreich umgesetzt wurde dies auch bei meiner Testfahrt von Wien nach Salzburg: Nach zweieinhalb Stunden steige ich bei der Raststätte Salzburg-Kasern aus. Mein Ziel ist erreicht: Die Reise war kostenlos, also ideal. Die Fahrt fast so bequem wie im Zug, aber sogar etwas schneller.
Fazit: Daumen hoch!