Rollenbilder und Realitäten für Frauen und Männer im "Gender Check"
In Osteuropa war der Großteil der Frauen berufstätig. Der Preis, den sie in der Phase des Überganges zur Marktwirtschaft für ihre frühere Stärke im Sozialismus zahlen mussten, war dementsprechend hoch. Die Ausstellung Gender Check im MUMOK kann die Fülle an Themen und Kunst nur anreißen. Kerstin Kellermann führte für den Augustin ein Gespräch mit der teilnehmenden Künstlerin Tanja Ostojic.
Als ich vor dem Krieg in Jugoslawien lebte, hatte ich den Eindruck, dass der Geschlechterkampf nicht so stark ist wie in Österreich. Dass es den Frauen erlaubt wird, ein Charakter zu sein. Es schien mir nicht so sehr männlich gegen weiblich, sondern die Frauen waren sich sicher, sie könnten ihren Charakter ausleben und es müssten nicht so viele Weiblichkeits-Shows auch in erotischer Hinsicht geliefert werden. Ich kann ich selber sein, und das ist kein Problem.
Durch die sozialistische Arbeiter-Befreiung waren die Frauen emanzipiert, in der Arbeit gleichberechtigt, und normalerweise waren sie in der Familie die Dominierenden. Wenn schon nicht im Berufsleben, so waren sie zu Hause der Boss und sicherlich diejenigen, die den Männern sagten, was sie zu tun haben. Sie in eine Richtung zu pushen, zu schubsen, ihnen Mut zu machen (lacht). Ein Grund, warum wir keine Geschlechterkämpfe hatten, ist, dass offiziell erklärt wurde, dass Frauen und Männer gleich sind. Es gab kein Bedürfnis, Empowerment von unten zu betreiben, da die Gleichberechtigung zu einem großen Teil von oben organisiert wurde.
Ich hatte den Eindruck, dass die Leute mehr wie Brüder und Schwestern, Kameraden, Genossen miteinander umgehen und nicht so stark in den Rollen der Männlichkeit und Weiblichkeit verhaftet sind. Sogar wenn Frauen stark geschminkt und sexy gekleidet waren, schien es mir nicht so stark eine Erotisierung über die Typisierung wie im Kapitalismus zu sein. Es ist diese Frau als Person und nicht ein bestimmter Typus, der erotisiert wird.
Hier hast du die Barbie-Puppe oder das Playboy-Girl als erotische Rolle. Die Arbeit Jebite Me (Fuck me, 1981) von Vlasta Delimar in der Ausstellung passt gut zu dieser Debatte. Sie ist in ihrer Kunst genau das, was sie in Wirklichkeit ist: ein Charakter. Sie hat kein Problem damit, Sex einzufordern. Sie macht sich nicht zurecht. Sie sieht eben so aus, wie sie ist. Vlasta Delimar ist keine kroatische Export-Feministin. Alle schimpfen auf sie. Sie scheint politisch nicht korrekt zu sein, ihre Arbeit sieht sehr sexistisch aus, aber in Wirklichkeit, wenn du genauer schaust, ist sie emanzipatorisch.
Was die Männer betrifft, hatte ich den Eindruck, dass sie nicht so männlich waren. Sie waren sogar überrascht, wenn jemand männliche Rollen von ihnen erwartete. Ich rede jetzt von Slowenien.
Slowenien ist anders. Trotzdem, das Patriarchat war ziemlich präsent. Die Männer hatten gewisse maskuline Rollen. Wenn ich eine Analyse von Gesamt-Jugoslawien machen würde, in welchen Gebieten es patriarchaler war und wo nicht, würde das allein meinen persönlichen Eindruck wiedergeben.
Mein Mann ist gut er schlägt mich nicht einmal
Mit dem Krieg kam dann überraschenderweise diese ganze extreme Maskulinität raus. Ich fragte mich, wo die in diesem Moment herkam?
Diese Maskulinität existierte in einem Großteil der Bevölkerung, bei den weniger Reichen und Gebildeten waren maskuline Rollen stärker präsent. Frauen in den Dörfern sagen noch immer, mein Ehemann ist gut, er schlägt mich nicht einmal. In der Realität litten die Frauen sehr und tun das immer noch. Die Vergewaltigungen im Krieg auf nationaler Basis sind eine Horrorstory es ist sehr schwer, darüber zu sprechen, aber das ist wirklich das Schlimmste, und es gibt keine Arbeit in der Gender-Check-Ausstellung, die sich mit diesem Thema beschäftigt. In meiner Arbeit Personal Space (1996) für die Biennale der jungen Künstler in Vrsac in der Vojvodina gibt es dieses starke Gefühl von Trauma, das man darin lesen kann. Ich hörte, dass es als Werk einer bosnischen Künstlerin eingeschätzt wurde, das sich auf Vergewaltigung bezieht. In der Performance stehe ich zwei Stunden unbeweglich da, rasiert und ohne Haare und von Marmor-Staub bedeckt. Vrsac war nicht vom Krieg betroffen, außer dass Flüchtlinge kamen. Die Biennale-Besucher waren von meiner Performance geschockt, denn in dieser Zeit gab es eher Bilder und Skulpturen keine Performance, kein Verwenden des Körpers.
Letztes Jahr sah ich in Jerusalem eine Menge Arbeiten zum Thema Soldaten und über 18-Jährige, die auf Menschen schießen sollen. Mich beeindruckte die junge Künstlerin Jumana Mana sehr, die junge Männer im Pyjama in ihren Kinderzimmern im Bett fotografierte, um ihre Verletzlichkeit zu zeigen. In dieser Ausstellung gibt es wenig zur männlichen Rolle des Soldaten.
Es gibt das Werk Face to Face (2003) des Künstlers Dren Maliqui aus dem Kosovo, in dem er die Rolle eines Kosovo-Helden mit Maschinenpistole, der wie Elvis Presley in Pop-Art-Manier posiert, aufzeigt. Aber diese Kunst wurde in Belgrad heruntergerissen, weil sie dachten, es sei nationalistisch (lacht). Die Nationalisten in Belgrad nahmen an, es sei die Verherrlichung eines Kriegsverbrechers. Im Kosovo ist er ein Held der Nationalbefreiungsarmee, in Serbien ist er ein Kriegsverbrecher. An dieser Dualität bin ich aber nicht interessiert, sondern an der, dass er hier als Popstar präsentiert wird. Meiner Meinung nach ist es ein kritisches Kunstwerk. Kuratorin Bojana Pejic integrierte das Soldatenthema in andere Abteilungen. Ich hätte zum Beispiel ein Werk von Jelica Radovanovic gebracht, das nicht in der Schau ist: Sie gibt ihrer Tochter die Brust und trägt auf der einen Hälfte ihres Gesichtes einen Schnurrbart und auf ihrer Brust steht Drzava to sam ja geschrieben, Der Staat bin ich. Das war in der Hardcore-Milosevic-Zeit. Das ist eines der Werke, das sich mit dem wirklichen Gender-Thema, der politischen Macht und dem Krieg auseinander setzt. Als Nationalismus und Krieg kamen, war die Generation meiner Tanten emanzipiert. Diese Generation, mit Geburtsjahr in den 80ern, wurde in Rollen gedrückt, die Kirchen und das Patriarchat für sie erschufen, und fanden sich als Hausfrauen wieder.
In der Ausstellung gibt es Frauen und Männer als Gleiche in der sozialistischen Kunst, dann einen Spalt und dann gibt es diese Körper-Kunst Es fehlt etwas dazwischen.
Dazwischen sind alle diese abstrakten Skulpturen und Tapisserien, die Frauenkörper darstellen sollen. Seit den 50ern war Modernismus die dominante Staats-Kunst, in Jugoslawien eben nicht die sozialrealistische Kunst. Tito liebte abstrakte Kunst, und ich denke, er finanzierte sie. Weil die abstrakte Kunst nichts mit der Realität zu tun hatte.
Jetzt streiken die serbischen Arbeiter wie verrückt
Kennst du Künstlerinnen aus der Generation deiner Mutter?
Sanja Ivekovic und Marina Abramovic sind genau die Generation meiner Mutter. Meine Mutter starb in der Phase des Übergangs, viel zu früh mit nur 55 Jahren. Sie arbeitete in der Frauenmode-Industrie. Die Angestellten und die ganze Fabrik wurden an jemanden verkauft. Ich kreierte eine Arbeit und machte eine Performance für die re.act.feminism-Ausstellung in Berlin. Ich zog ganz viele Kleidungsstücke über, auch eine Menge ihrer Kleider und erzählte, wie schmerzhaft der Übergang für sie war. In Gender Check gibt es eine Arbeit die Privatizacija heißt (Ozana Brkovic, 2003), ein großes Bild einer Frau, der vor lauter Stress Rotz und Blut aus der Nase läuft. Alle diese Arbeiter im früheren Jugoslawien waren gewohnt, stabile Jobs zu haben, und sie waren in die Entscheidungsfindung in ihren Firmen eingebunden. Plötzlich wurden die Firmen verkauft, und das war ein großer Schock für diese Leute, die Jahrzehnte im Sozialismus gelebt hatten. Früher konnten selbst Reinigungsfrauen über bestimmte Dinge mit entscheiden. Meine Mutter arbeitete für eine elitäre Firma für Damenbekleidung in der Produktqualität, und dann plötzlich verkaufen sie sie und alle müssen hässliche Sachen bearbeiten, bekommen extrem wenig bezahlt, werden gekränkt und erniedrigt. Sie wurden monatelang nicht bezahlt. Sie trug die Verantwortung für ihre Angestellten. Also sagte sie ihnen, einen Tag näht ihr für die Firma und einen Tag für euch selbst, so versuchte sie eine gewisse Balance zu schaffen, aber es war unmöglich. Sie hatte Ärger mit ihren Bossen. Das ist die Transition, ein sehr schmerzvoller Prozess im früheren Osteuropa. Jetzt gerade streiken die Arbeiter in Serbien wie verrückt. Nach Monaten des Hungerstreiks bissen sie sich in ihrer Verzweiflung die Finger ab! Schreckliche Dinge geschehen. Das ist alles Transition. Ein Horror-Prozess! Wir sehen das nicht in dieser Ausstellung, die Themen sind so riesig, man kann sich nur auf bestimmte Dinge fokussieren.
Die Zeitspannen sind so kurz, es gab den Krieg, jetzt herrscht der Kapitalismus. Wie können die Leute mit all diesen Veränderungen in diesem Tempo umgehen? Ich fand immer, dass die Frauen sehr stark sind.
Es ist schwer. Aber das ist auch das Problem: Wenn du stark bist, denkst du, dass du immer stark sein musst, und dann pumpst du dich auf und lässt dich selbst nie schwach werden. Du musst immer die Stärkste sein und dann kollabierst du. Du wirst nie krank und dann stirbst du plötzlich. Meine früh verstorbene Mutter hatte genau dieses Syndrom, sie erfüllte mindestens fünf Rollen perfekt, sie starb an der Phase des Überganges im Dezember 2005.