Absurdes Projekt ist jetzt grindig
Gentrifizierung auch am Stadtrand: Ende der 90er Jahre verkauft die Gemeinde Wien, konkret der Wiener Wirtschaftsförderungsfond, die Türme des ehemaligen Gasometers. Private Investoren (u .a. auch eine Gewerkschaft, aber das ist eine eigene Geschichte) erhoffen Profit und eineinhalb Jahrzehnte später sehen wir ein devastiertes Shoppingcenter. Martin Birkner und Clemens Staudinger über missglückte Stadtplanung am Beispiel Gasometer.
Illu: Much
Mittlerweile ist allgemein bekannt, große Einkaufszentren führen zum Sterben der Grätzel-Nahversorgung und auch der lokalen Einkaufsstraßen. Auch im rosagrünen Wien sind kaum Alternativen zu dieser neoliberalen Tendenz zu sehen. Selbst neue Bahnhöfe dienen nur noch in zweiter Linie zum Ein- und Aussteigen in Verkehrsmittel: Statt großzügiger Warteräume gibt es allerorts privatisierte Einheitsverpflegungslokale und Filialen der immergleichen Kaufhausketten. Passt die Frequenz, d. h. der Profit, dann doch nicht, wird eifrig wieder zugesperrt und devastierte Zonen urbanen Planungsversagens bleiben zurück – wie zum Beispiel die Türme des Wiener Gasometers, die vor mehr als zehn Jahren als Prestigeprojekt des damaligen Wiener Wohnbaustadtrates Werner Faymann in eine zweite Nutzung starten sollten. Die PR-Maschinerie mit besten Kontakten zur «Kronen Zeitung» wurde angeworfen und dem Publikum wurde suggeriert, auch im Umfeld würde eine lebenswerte Gegend entstehen. Heute gibt es Autobahn, Bürozentren und Müllverbrennungsanlage.
In die 1899 erbauten Türme wurde anlässlich des Umbaus Ende der 1990er Jahre neben Wohnungen, Bildungseinrichtungen und einer Konzerthalle selbstverständlich ein Einkaufszentrum hineingepflanzt. Heute darf das Projekt – wie viele andere – als gescheitert angesehen werden: eine Dead Mall mehr. Das Shoppingcenterzeitalter hat seinen Höhepunkt längst überschritten, und nun sterben jene als Erstes, die Planungsfehler aufweisen. Die Gasometer sind weder als Wohn- noch als Bürostandort beliebt, und so funktionieren sie auch als Shoppingcenter nicht. Ein absurdes Projekt, das vor allem viel Geld gekostet hat. Über 170 Mio. Euro für 615 Wohnungen, 230 Student_innenzimmer, Büros, Kinos und das nunmehr tote Shoppingcenter.
Das Flair der Gegend, das Erdberger Mais, hält eine Mischung aus alten Gewerbe- und Handelsunternehmen und steriler Wohn- und Verwaltungsarchitektur jüngeren Datums bereit. Kaum Sitzgelegenheiten, wenige Bäume, ein unwirtlicher Ort. Wer das Shoppingcenter betritt, ist sofort der Geruchsmischung von Asia-Nudeln, Döner, Fleischlaberlkette und Junkpizza ausgesetzt. Der Haupt-Gebrauchswert des Einkaufszentrums: Kantine für die zahlreichen Beschäftigten der umliegenden Firmen und Institutionen zu sein. Gerüchtehalber wurde in das benachbarte Gebäude der Statistik Austria genau deshalb erst gar keine Kantine eingebaut.
Mittelmäßige Mahlzeiten, devastierte Zonen
Abseits der Gastronomie ist nicht viel los im Gasometer. Kaum ist die Pause vorbei, fällt der Komplex wieder in eine Art Wachkoma. Einige Geschäftslokale sind geschlossen, die Fenster verklebt. Ein Elektronikgeschäft mit grindig-verschmierten Auslagenscheiben ist um 14 Uhr geschlossen: Mittagspause. Regelmäßige Nutzer_innen erzählen vom häufigen Auf- und Zusperren der Shops. Die empirisch feststellbare Besucherfrequenz am mittleren Nachmittag lässt dies mehr als nur plausibel erscheinen. Richtig gruselig wird es dann beim Durchgang zur Gasometer- Veranstaltungshalle und dem unvermeidlichen Multiplex-Kino: Restbestände ehemaliger Cafés, Papiermüll, Tristesse. Seit Jahren versucht die Betreibergesellschaft, musikindustrielle (Privat-)Institutionen hier anzusiedeln: Die Johann-Sebastian-Bach-Musikschule, eine Pop-Akademie, Musikfachgeschäfte, Jam-Locations und dergleichen versprechen Starruhm und Pop-Glam. Dies steht allerdings im Widerspruch zu der spürbaren Atmosphäre. Die einzig wirklich wahrnehmbaren Frequenzen sind jene vereinzelten Gitarrenstimmens und schwerer Beats. Menschen sind wenige zu sehen. Eine beklemmende Stimmung beherrscht den auch akustisch suboptimal gestalteten Bereich.
Der Architekturkritiker Reinhard Seiss weist in seinem Standardwerk «Wer baut Wien» darauf hin, dass trotz der Größe des Projektes seinerzeit von der Gemeinde Wien bewusst auf einen Architekturwettbewerb verzichtet wurde. Bekannte «Star»-Architekten wurden engagiert, und für die Stadt war «eine ökonomisch tragfähige Nachnutzung», so Seiss, wesentliche Priorität.
Wer übrigens glaubt, unter einer Stadtregierung mit grüner Beteiligung fände ein grundlegendes Umdenken in Sachen Einkaufszentrumswahn statt, irrt: Zu den rund 35 (!) existierenden Shoppingcenters gesellte sich – abseits der bereits genannten neuen «Bahnhöfe» – vor kurzem das «Citygate» im Norden Wiens, und auch im nunmehr blaubraunen Simmering wird soeben eines relaunched – und soll im nächsten Jahr noch einmal vergrößert werden.
Info:
Reinhard Seiss: Wer baut Wien
Verlag Anton Pustet, 214 S., 24 Euro
Im Augustin Nr. 410 erforschen Clemens Staudinger und Ulli Gladik, was
die «Gewista» dazu veranlasst, den öffentlichen Raum mit Werbung
zuzupflastern.