Die gewaltfreie Lösung von Konflikten ist eines der Hauptanliegen der Friedensforschung. Als Forschungszweig ohne akademische Lobby führt sie allerdings ein Schattendasein – selbst in der neutralen Alpenrepublik, der sie eigentlich ein großes Anliegen sein sollte.
Es ist eine abendfüllende Thematik», sagt Werner Wintersteiner: Was ist Friedensforschung, was tut sie, was bewirkt sie? Verkürzt dargestellt ist die Friedensforschung «der Versuch, auf wissenschaftliche Weise die Möglichkeiten der Kriegsvermeidung, der Kriegsbeendigung und letztlich strukturelle und kulturelle Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben zu erforschen». Das klingt akademisch, und letztlich ist es das auch – selbst wenn die Friedensforschung als solche «keine eigenständige akademische Disziplin ist», sagt Wintersteiner. Als «scholar-practitioner» versteht sich der Publizist und Friedensforscher als Wissenschaftler und Aktivist zugleich. Er beschäftigt sich seit den 1980er-Jahren mit der Thematik und war unter anderem Gründer und Obmann des Vereins Alpen-Adria-Alternativ. Verein für Frieden, Menschenrechte und interkulturelle Zusammenarbeit. Wunder kann die von Öffentlichkeit und Politik oft nur am Rande wahrgenommene Friedensforschung keine bewirken – und oft genug ist das Forschungsobjekt ein schon in Trümmer liegendes Land.
«Schmuddelkind» der Wissenschaft
Im Ersten Weltkrieg verloren etwa 17 Millionen Menschen das Leben, im Zweiten Weltkrieg waren es bereits zwischen 60 und 80 Millionen. Trotz dieser «traumatischen Erfahrungen kann man nicht sagen, dass die Friedensforschung zu einem Schwerpunkt der politischen Bemühungen geworden ist», zieht Wintersteiner ein fröstelndes Resümee: «Ganz im Gegenteil: Sie gehört immer noch ein bisschen zu den ‹Schmuddelkindern› der Wissenschaft». Oder anders ausgedrückt: Sie ist keine eigenständige wissenschaftliche Disziplin und vegetiert daher finanziell in sehr seichten Budgets dahin. «Es gibt in Österreich keinen einzigen Lehrstuhl für Friedensforschung und kaum eigenständige Einrichtungen auf akademischem Niveau», heißt es im von Wintersteiner und Lisa Wolf herausgegebenen Jahrbuch Friedenskultur 2015: Friedensforschung in Österreich. Bilanz und Perspektiven. Und weiter: «Bestehende Initiativen und Institutionen drohen dem Sparstift zum Opfer zu fallen. Die Notwendigkeit des institutionalisierten Ausbaus wird von der Politikkaum anerkannt.» Geändert hat sich seit dem Erscheinen des Berichts vor acht Jahren offenbar nicht allzu viel, denn Projekte, wie etwa an den Universitäten Innsbruck und Graz, bleiben ambitionierte Einzelfälle. Werner Wintersteiner weiß ein auch heute noch gültiges Beispiel aus den 1970er-Jahren, als «zum ersten Mal versucht wurde, Friedensforschung an der theologischen Fakultät einer Wiener Universität zu etablieren. Damals musste man obrigkeitshörig im Ministerium ansuchen, ob man das überhaupt darf. Das Projekt wurde gnädig genehmigt, allerdings unter der Bedingung, dass es die nächsten drei Jahre nichts kostet. Dieses Beispiel demonstriert recht gut, welchen Stellenwert die Friedensforschung genießt.» In diese Kerbe schlägt auch Claudia Brunner: «Budgetäre Gründe sind letztlich immer politische Entscheidungen. Wenn die Politik meint, dass etwas akademisch wichtig ist, dann wird das auch entsprechend gefördert.» Wie Wintersteiner versteht sich Claudia Brunner als Friedensforscherin, ist von «der Herkunft her aber Politologin, weil es keine Ausbildungsmöglichkeiten zur Friedensforscherin gibt». Sie würde sich wünschen, dass man an jeder öffentlichen Universität in Österreich «Friedensforschung und Friedensbildung oder Konfliktforschung studieren kann. Es braucht mehr Selbstverständnis dafür, dass solche Studiengänge notwendig und sinnvoll sind, auf Bachelor-, Master-, auf Doktorrats-Ebene, und gewissermaßen eine Normalisierung stattfindet. Dazu braucht es ein politisches und gesellschaftliches Commitment der Institutionen, aber auch der Wissenschafts- und Bildungspolitik». Dass dem nicht so ist, könne auch daran liegen, dass die Friedensforschung am Stigma des zivilgesellschaftlichen Aktivismus gelitten habe: Sie sei ja gar keine richtige Wissenschaft, sondern Politik. «Ähnlich wie die Genderforschung, die auch lange Zeit diskreditiert wurde und wird, weil sie aus einem politisch motivierten Programm entstanden ist, das aus einer sozialen Bewegung hervorgegangen ist. Außerdem ist sie eine Querschnittsmaterie; und – je nach Standpunkt – auch eine tendenziell normativ orientierte Wissenschaft, die potenziell politischer ist als andere Wissenschaften.» Budgetgründe seien «eine Konsequenz, aber nicht der Grund» für ihr akademisches Schattendasein.
Konzept einer «Friedensuniversität»
Ein fast schon sarkastisches Detail ist, dass der österreichische Philosoph und Schriftsteller Hermann Broch bereits nach dem Zweiten Weltkrieg im amerikanischen Exil das Konzept einer «Friedensuniversität» für die neu zu gründenden Vereinten Nationen entwickelte, die alle Disziplinen umfassen sollte. Laut Broch, der mit seiner Romantrilogie Die Schlafwandler bereits in den 1930er-Jahren eines der wichtigsten Werke der europäischen Literatur verfasste, könne die Thematik der Friedensforschung nur interdisziplinär aufgearbeitet werden und nicht auf eine politikwissenschaftliche Analyse reduziert. In eine ähnliche Richtung sinnierte auch der ehemalige Bundeskanzler Bruno Kreisky: «Nur wenn es möglich ist, das Problem der Friedenserhaltung mit allen seinen Aspekten zu studieren, die Ursachen von Konflikten zu erforschen und die Idee des Friedens zu verbreiten, kann jene Meinungsbildung entstehen, die in demokratischen Staaten von entscheidender Bedeutung für die Politik ist.» Etablieren konnte sich die Friedensforschung nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA, in Deutschland und in Skandinavien. Die «Idee der Friedensforschung wurde einerseits aus der Not geboren, dass die Welt schon viele Jahrhunderte, Jahrtausende vom Krieg dominiert wird – und andererseits aus dem festen Glauben und der Überzeugung, dass auch andere Wege der Konfliktaufarbeitung und des Interessensausgleichs möglich sind», sagt Claudia Brunner. Im aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine könne man allerdings nicht von einem besonderen Interesse der kriegsführenden Parteien und ihren Alliierten an der Expertise der Friedensforschung sprechen. «Hingegen gab es nach der Besetzung der Krim mehrfach auch Interventionen der Friedensforschung, die zeigen, dass viele Wissenschaftler gleichzeitig auch politisch eingreifen, etwa bei Mediationsverhandlungen oder Beratungen.» Damals wurden der ukrainischen Zivilbevölkerung Konzepte des gewaltfreien Widerstands vermittelt, was «den Effekt hatte, dass damals bei Meinungsumfragen in der Ukraine die gewaltfreie Lösung des Konflikts präferiert wurde», sagt Wintersteiner.
Ruhe und Stille
Frieden ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg, diese Definition wäre zu banal. Tatsächlich gibt es mehrere Definitionen, die das Geschehen aus bestimmten Blickwinkeln betrachten, von der althochdeutschen Definition als Zustand der Ruhe und Stille über die gewaltfreie Lösung von Konflikten bis hin zum Seelenfrieden aus Psychologie und Theologie. Hinter der Friedensforschung steht ein «Verständnis von Krieg und Frieden als kulturell-sozial-politisch-ökonomische Phänomene, die historisch sehr lang in der Geschichte der Menschheit verankert und dadurch auch nur langfristig zu beseitigen sind», sagt Wintersteiner. «Das ist eine Analogie zur Sklaverei, die im Prinzip durch den Fortschritt der Menschheit als Institution abgeschafft wurde.» Gelebte Einschränkung: «Das heißt nicht, dass die Sklaverei tatsächlich abgeschafft wurde, aber sie ist illegalisiert worden. In einer ähnlichen Art und Weise versucht auch die Friedensforschung wissenschaftlich dazu beizutragen, Krieg zu illegalisieren.» Einheitliche Standpunkte gibt es in der Friedensforschung nicht zwangsläufig, es gibt durchaus auch unterschiedliche Meinungen, wie beispielsweise zur Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen, die teils gutgeheißen werden, bei gleichzeitiger Warnung vor möglichen Eskalationen. «Es gibt unterschiedliche Zugänge zur Friedensforschung», sagt Brunner: «Ein Teil hat aus der klassischen internationalen Politik entwickelt und betrachtet die Dinge aus einer Top-down-Perspektive. Andere Sichtweisen haben sich aus sozialen Bewegungen oder einer widerständigen Zivilgesellschaft entwickelt. Deshalb unterscheiden sich auch die Zugänge, die Referenzbegriffe, Theorien und entsprechend auch Lösungsansätze recht stark.»
Das Fazit. «Es ist eigentlich eine fast schon banale Erkenntnis, dass es ‹Unfrieden› gibt, weil Menschen an der Macht, Strukturen und Kulturen existieren, die im Gewalteinsatz und im schlimmsten Fall im Krieg die einfachere und erfolgversprechendere Lösung sehen», sagt Wintersteiner. «Dagegen kann man nicht mit wissenschaftlichen Mitteln aufkommen. Man kann zwar aufzeigen, dass beispielsweise gewalttätiger Widerstand gegen ein diktatorisches Regime im Durchschnitt weniger erfolgreich ist als gewaltfreier. Das heißt aber nicht, dass man die Protagonisten eines gewalttätigen Widerstands dadurch schon überzeugt hätte.» Auch wenn sie nicht in der Lage ist, kurzfristige Lösungen anzubieten oder militärische Auseinandersetzungen zu verhindern, ist «die Friedensforschung immer aktiv, nicht erst wenn Krieg auf der Agenda steht», sagt Claudia Brunner.
Info:
Neben dem Austrian Centre for Peace (ACP) wird auf diesen Inseln Friedensforschung betrieben (Auswahl):
Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung im deutschsprachigen Raum:
www.afk-web.de
Conflict – Peace – Democracy Cluster/Karl-Franzens-Universität Graz:
https://frieden-konflikt.uni-graz.at
Forschungszentrum Friedens- und Konfliktforschung/Universität Innsbruck:
www.uibk.ac.at/innpeace
Institut für Konfliktforschung/Wien:
www.ikf.ac.at
Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung am Institut für Erziehungswissenschaften und Bildungsforschung/Universität Klagenfurt:
www.aau.at/erziehungswissenschaft-und-bildungsforschung/arbeitsbereiche/friedensforschung-und-friedensbildung
Informationsstelle Militarisierung/Tübingen:
www.imi-online.de