Dem «Hässlichen» nützt auch die Stille nichttun & lassen

Eine menschenrechtliche Analyse zum Bettelverbot

Ein Kolumnist dieser Zeitung ist in diesem Frühling aus der SPÖ ausgetreten und weint ihr nicht einmal eine Träne nach. Auschlaggebend dafür war, dass die SPÖ-Fraktion im Rathaus schneller die Antibettlerverordnung in Richtung generelles Wiener Bettlverbot verschärfte, als Strache in eine Position gewählt wurde, in der er sich in Sachen Armenvertreibung als der bessere Häupl darstellen könnte. Anfang Juli soll das Gesetz in Kraft treten, mit dem nicht nur wie bisher aufdringliches und aggressives, sondern darüber hinaus auch gewerbsmäßiges Betteln verboten und bestraft werden soll. Hier eine juridsche Expertise.

Gewerbsmäßig betteln heißt betteln ausschließlich zu dem Zweck, um sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Da stellt sich die Frage, zu welchen Zwecken sonst noch so gebettelt wird, normalerweise Obwohl der diesbezügliche Initiativantrag der SPÖ ausdrücklich festhält, dass keineswegs ein generelles Bettelverbot gemeint sei, scheint es, dass man diesem Ergebnis zumindest sehr nahe kommen wird. Ausgenommen sind am ehesten noch «Gelegenheitsbettler» oder noch vielmehr «Einmaligkeitsbettler». Der Rest, der wahrscheinlich die größte Zahl ausmacht, fällt dann leider unter die neue Regelung der Gewerbsmäßigkeit.

Selbst «stilles Betteln» schafft dann der Bettlerin, dem Bettler keine wirkliche Legitimation zum Betteln mehr, denn man kann auch still organisiert oder still gewerbsmäßig betteln, sagt die Polizei. Dabei ist stilles Betteln nichts als ein klarer Appell an die Mitmenschen: Man macht auf seine persönliche Notlage aufmerksam und stellt klar, dass man die Hilfe der Passanten benötigt. Ob jemand etwas gibt oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen.

Menschenrechtlich können sich Bettler auf zwei Grundrechte berufen, die in Österreich Verfassungsrang haben. Einerseits auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, das Recht auf Privat- und Familienleben, andererseits auf Artikel 10, die Meinungsfreiheit. Das Recht auf Privatleben gewährleistet einen umfassenden Schutz auf selbstbestimmtes Leben. Dazu gehört auch, Beziehungen mit der Außenwelt einzugehen sowie einen Beruf auszuüben. Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben ist ein sicherer Unterhalt, mit dem es überhaupt erst ermöglicht werden kann, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu bestimmen. Zwar stellt Betteln keinen Beruf im ursprünglichen Sinne dar, allerdings ist der dahinterstehende Zweck der gleiche sich regelmäßigen Unterhalt zu sichern. Um Almosen zu bitten ist für Bettler oft die einzige Möglichkeit, dies zu tun. In diesem Sinne wäre auch zu überlegen, ob nicht ein Verbot gewerbsmäßigen Bettelns dem Recht auf Privat- und Familienleben widerspricht und damit verfassungswidrig wäre.

Alle Formen der Kommunikation sind ausdrücklich erlaubt

Das zweite Grundrecht, das einem Bettelverbot entgegensteht, ist das der freien Meinungsäußerung. Dieses umfasst Meinungskundgaben sowie Tatsachenfeststellungen in grundsätzlich allen Kommunikationsformen. Dazu zählt beispielsweise auch die Körpersprache, wie es etwa bei stillen Bettlern der Fall sein könnte. Geschützt von der Meinungsfreiheit ist sogar kommerzielle Werbung. Wenn daher ein Bettler auf seine Notsituation aufmerksam macht und sich dazu demonstrativ auf den Gehsteig setzt, wenn er das Umfeld daran teilhaben lassen möchte und dafür ein Schild mit Erklärungen oder Bilder zeigt, fällt dies eindeutig unter diesen Schutz.

Natürlich gelten Menschenrechte nicht schrankenlos, es gibt Gründe wie zum Beispiel die Rechte anderer , die eine Einschränkung rechtfertigen können. Im Falle des Bettelns könnte man sich Einschränkungsgründe wie beispielsweise die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung oder Sicherheit, oder eventuell sogar den Schutz der Gesundheit und der Moral anderer überlegen. Diesbezüglich hat allerdings der Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 eindeutig festgestellt, dass Betteln kein «das Gemeinschaftsleben störender Missstand» sei, mit dem Argument der öffentlichen Ruhe und Ordnung kommt man daher nicht weit.

Armut nicht sehen zu wollen kann rechtlich nicht geschützt sein

In diesem Sinne hat schon der deutsche Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Jahr 1998 entschieden: «Jedenfalls in seiner stillen Form stelle sich das Betteln nicht schon generell als eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dar. Es sei weder strafbar noch typischerweise als eine Ordnungswidrigkeit zu bewerten. Die Anwesenheit auf dem Bürgersteig sitzender Menschen, die in Not geraten sind und an das Mitleid und an die Hilfsbereitschaft von Passanten appellieren, müsse von der Gemeinschaft jedenfalls in Zonen des öffentlichen Straßenverkehrs als eine Erscheinungsform des Zusammenlebens hingenommen werden und könne folglich nicht generell als ein sozial abträglicher und damit polizeiwidriger Zustand gewertet werden.» Damit fällt auch der Einschränkungsgrund des Schutzes der Rechte oder Moral anderer weg «hässliche» Armut nicht sehen zu wollen kann menschenrechtlich nicht geschützt sein.

Perfektion gibt es leider nicht, Hässliches gehört zum Schönen, es gibt kein Pech ohne Glück, keine Armut ohne Reichtum. Es wird nie immer alles gut sein. Und wenn wir es uns noch so sehr einreden möchten. In diesem Sinne hat auch schon der große Meister Leonard Cohen gesungen (und singt immer noch) «Ring the bells, that still can ring, forget your perfect offering, there is a crack in everything and thats how the light gets in». Also, warum lassen wir nicht ein bisschen was von dieser netten Frühlingssonne auch in die tieferen Abgründe und kommen dann vielleicht drauf, dass es gar nicht mehr so angsteinflößend oder hässlich ist. Und können vielleicht sogar ganz gut damit leben …

Translate »