Dem Paradies seine Kasernevorstadt

Das Freiburger Vauban-Viertel: Ein Akademiker-Ghetto?

Wer sich auf die Suche nach den Zukünften des städtischen Wohnbaus begibt, sollte wie Robert Sommer nach Freiburg im Breisgau fahren. In der Schwarzwaldmetropole wurde das 40 Hektar umfassende Areal der Vauban-Kaserne für ein Wohnexperiment zur Verfügung stellte: Wie schaut urbanes Wohnen aus, wenn nicht die Baumonopole, sondern die zukünftigen Bewohner_innen das Sagen haben?Eine Wagenburg-Initiative und die Selbstorganisierte Unabhängige Siedlungs-Initiative (SUSI), diese beiden Pioniere der demokratischen Zivilisierung eines militärischen Komplexes spielen im heutigen Vauban-Viertel, rund zwei Jahrzehnte nach dem Start der Aktivitäten, nur noch eine untergeordnete Rolle – als der wilde, subversive Strang der Vauban-Erzählung. Was vermarktbar und imagebildend ist, sind die neuen Bebauungen des Geländes, eine – zweifellos ästhetisch ungemein avancierte – Materialisierung der Wohnträume ökologisch gebildeter Mittelschichtangehöriger. Dem Quartier Vauban mit seinen nahezu 6000 Bewohner_innen wird nicht zu unrecht eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet des selbstorganisierten Bauens und Wohnens nachgesagt. Ein Besucher, eine Besucherin aus Wien wird sich zwangsläufig in so eine Siedlung spontan verlieben. Das am meisten benutzte Verkehrsmittel in Vauban ist das Fahrrad – weil es die Bewohner_innen so wollten. Die Kinder können ohne Risiko auf den Straßen spielen – weil es die Bewohner_innen so wollten. Eine extra für Vauban geschaffene Hochleistungs-Straßenbahnlinie stellt die Verbindung mit der Innenstadt her – weil es die Bewohner_innen (und die Stadtregierung) so wollten.

Nicht mehr die von SUSI revitalisierten und in eine liebenswerte Anarchie des Wohnens konvertierten Soldatenunterkünfte und die im schattigen «Dschungel» zwischen den Kasernenbauten geparkten Second-Hand-Trucks der Wagenburgler_innen bestimmen also heute das mediale Bild von Vauban. Das tun stattdessen die von den Baugruppen konzipierten Neubauten: Keiner gleicht dem anderen. Jede Baugruppe suchte sich eine_n Architekt_in und baute jeweils das Haus ihrer Wünsche. Die Monotonie der üblichen Verbauungen, die von Baugesellschaften verbrochen werden, die eine Eigeninitiative der Bewohner_innen nicht zulassen, fehlt hier zur Gänze. Niemand weint ihr eine Träne nach. Baugruppen sorgten für eine kleinteilige Parzellierung, sodass man beim Flanieren durch Vauban eine Überraschung nach der anderen erlebt. Das bezieht sich einerseits auf die Architektur der einzelnen Gebäude, andererseits auf die Komposition der gemeinschaftlich gestalteten Freiräume neben den Häusern. Baugruppen vermeiden die ökologischen Defizite, die dem herkömmlichen Wohnungsbau innewohnen. In Vauban setzten sie die Niedrigenergiebauweise flächendeckend um.

Auf solche und ähnliche Erfolgsbilanzen stößt man in den nicht enden wollenden Berichten über Vauban allenthalben. Für Norbert Rautenberg, der seit 19 Jahren im Quartier Vauban wohnt (und zwar gerne, wie er hinzufügt), ist diese beeindruckende Positivbilanz nur plausibel, wenn man von den ursprünglichen sozialpolitischen Ansprüchen absieht. Als Mitte der 90er Jahre die ersten Baugruppen ihre Pläne zu realisieren begannen, war die soziale Durchmischung des neu zu schaffenden Stadtteils noch ein Thema, berichtet Rautenberg. 25 Prozent der Wohnungen sollten der Kategorie des sozialen Wohnbaus angehören. Viele Interessent_innen gehörten linken oder grünen Bewegungen an. Bewohner_innen in die Baugruppen zu integrieren, die von den unteren Rändern der Freiburger Gesellschaft, aus den «Problembezirken» der westlichen Stadtteile Freiburgs kamen, galt quasi als ideologisches Muss.

Daraus ist nichts geworden, klagt Norbert Rautenberg in einem Anflug von Sentimentalität. Heute seien die aus den Baugruppen hervorgegangenen Vauban-Bewohner_innen potenzielle Spekulant_innen geworden: «Als Eigentümer ihrer schicken Wohnungen können sie den Quadratmeter, der beim Einzug 2000 Euro kostete, jetzt um 4500 Euro verkaufen. Der Hype von Vauban hat die Wohnungspreise in die Höhe getrieben. Schau dir mal dieses Vaubaner Volk an: ein Volk von Lehrern und anderen Akademikern. Mit einem überproportionalen Anteil von Esoterikern. Öko-Spießer und Ex-Linke, die den Trend zur Gentrifizierung auch nach Vauban getragen haben und ihre Rolle nicht mehr reflektieren. Nur in einem einzigen Teil von Vauban entspricht der Ausländeranteil dem der Gesamtgesellschaft: im Studentendorf.»

Das Dilemma von Vauban

Das allgemeine Dilemma partizipativer Prozesse, nämlich dass in Bürgerbeteiligungsverfahren die Interessen von Bildungsbürger_innen weit eher eine Plattform finden als jene von bildungsfernen Schichten, scheint auch für Vauban zuzutreffen. Obwohl die Baugruppen im Prinzip gewählte Nachbarschaften darstellen, demnach aus Menschen zusammengesetzt sind, die «zusammenpassen», gebe es vermutlich nirgendwo sonst in Freiburg so viele Nachbarschaftsstreitigkeiten, die vor einem Richter enden, sagt Rautenberg.

Mein Gesprächspartner zählt zwar nicht zu den ersten Okkupant_innen der Kaserne, steht aber trotzdem für die alternative Geschichte des Quartiers. Norbert Rautenberg hat einen 20-Wochenstunden-Job im Büro der SUSI. Niemand von den 14 Mitarbeiter_innen des Projekts dürfe mehr als 20 Stunden angestellt werden – so schütze man das basisdemokratische Projekt vor versteckten Hierarchien, erläutert Rautenberg.

In den mit viel Eigenarbeit adaptierten SUSI-Gebäuden leben in 44 Wohngemeinschaften heute 285 Menschen. Zusammen mit den Wagenplatz-Bewohner_innen, repräsentieren diese WGs das soziale Gewissen Vaubans und stehen gleichzeitig für den Rest des Utopiegehalts des Projekts: die Vereinigung von Wohn-, Arbeits-, Kultur- und Lebensraum.

Zusammen mit dem «Mietshäuser Syndikat», einem bundesweiten Zusammenschluss von mehreren Dutzend antikapitalistischen Hausprojekten, ist der Verein SUSI Gesellschafter der gemeinnützigen SUSI GmbH, die insgesamt vier Ex-Soldatenunterkünfte betreibt. Die Wohngemeinschaften zahlen derzeit 5,30 Euro Miete pro Quadratmeter – und weil ihre Mitglieder alle «automatisch» auch Mitglieder des Vereins sind, ist die Mitgliederversammlung als höchstes Gremium gelegentlich wie paralysiert. Das Konsensprinzip, zu dem sich die SUSI-Leute bekennen, erschwert insbesondere dann Entscheidungsprozesse, wenn das Projekt sich infolge einer verschärften Finanzlage gezwungen sieht, die Quadratmetermiete zu erhöhen. Rautenberg legt ein Geständnis ab: «Manchmal verspüre ich den klammheimlichen Wunsch nach einem SUSI-Chef, der ein Schlusswort parat hat.» Ein Schlusswort dieser Art: Was sind zehn Cents zusätzliche Miete im subkulturellen Vauban im Vergleich zu den Wertsteigerungen des Bobo-Vauban?

Doch Bobos haben Geschmack, und man soll sie an ihren ursprünglichen Ansprüchen messen. Eine neunstündige Zugreise (einmal umsteigen in Frankfurt am Main) lohnt sich auf alle Fälle. Im Baugruppenteil sind Ferienwohnungen zu buchen, und wer dafür zu wenig Kohle hat, für die oder den findet sich im SUSI-Teil ein Platz, der für den Schlafsack reicht.

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