Wien, Mariahilfer Straße. Wenn einer der reichsten Österreicher den Bau eines Luxushotels versemmelt, dann muss die Schläue von der Straße sprechen. Der Augustin hat sich umgehört, was sich Wiener:innen anstatt des Immo-Prestigeprojekts «Lamarr» wünschen.
«Der eilige Weg ist nie der richtige Weg. Man braucht für alles Zeit. Zeit zum Arbeiten, Zeit für Vergnügen, Zeit zum Ausruhen.» Dieses Zitat von Hedy Lamarr ziert den Eingang einer Baustelle an der Mariahilfer Straße
10–18. Hier sollte ein Mega-Projekt des Immobilien-Unternehmers René Benko realisiert werden: ein Luxushotel mit 150 Zimmern und 20.000 Quadratmetern Einkaufsfläche, dazu ein Park am Dach – alles benannt nach der österreichisch-US-amerikanischen Erfinderin und Schauspielerin Hedy Lamarr.
Luxuskonkurs
Letztes Jahr noch viertreichster Österreicher ist René Benko mit seiner Unternehmensgruppe Signa abgestürzt. Wie so viele prestigeträchtige Projekte von Signa ist auch das «Lamarr» den zahlreichen Insolvenzen der Signa-Gruppe zum Opfer gefallen.
Das Zitat von Hedy Lamarr passt zum gegenwärtigen Status des Projekts: Fünf Etagen hoch und zwei Wohnblöcke breit steht das Betonskelett im siebten Wiener Bezirk – still. Keine Bauarbeiter:innen, keine Maschinen, kein Lärm. Gerade scheint die Zeit zum Ausruhen zu sein. Mit 2. Februar dieses Jahres wurde das Konkursverfahren übers Lamarr, korrekt die «Mariahilfer Straße 10–18 Immobilien GmbH», eröffnet. Schulden hat Benkos Firmengeflecht bei der Allgemeinheit offiziell vergleichsweise wenig. Viel mehr schuldet er Banken und den (wohl wenig bedürftigen) Investor:innen. Aber in Benkos deutschen Kaufhäuser wie Karstadt und Sportscheck haben tausende Menschen ihre Jobs verloren, Dienstleister:innen blieben auf offenen Rechnungen sitzen.
Kein Kommentar
Zeit, der Öffentlichkeit etwas zurückzugeben. Und wenn es im öffentlichen Interesse sein soll, Bauern zu enteignen, um eine Ostumfahrung um Wiener Neustadt zu bauen, dann ist es allemal gerechtfertigt, zu sinnieren, wie eine attraktive Adresse im Zentrum der Stadt öffentlich genutzt werden könnte. Aber wofür eigentlich? Und wie?
Das wollten wir Expert:innen fragen, was sich jedoch als nicht so einfach herausgestellt hat. Die Masseverwalter sind hoch beschäftigt und geben ungern Interviews. Viele Ökonom:innen winken ab. Von der Pressestelle der Wirtschaftsuniversität Wien heißt es: «Zu dem Thema haben wir in den letzten Wochen einige Anfragen bekommen. Bisher wollte niemand von unseren Expert:innen dazu sprechen, weil die Lage noch sehr unklar ist.» Fragt man am Institut für Unternehmensrecht der Universität Wien nach, so will auch dort niemand ein Interview geben, aus anderen Gründen: «Ich befürchte, dass wegen der hohen Zahl an betroffenen Signa-Gesellschaften und Gläubigern halb Österreich an dem einen oder anderen Rechtsproblem arbeitet», lässt ein Rechtswissenschafts-Professor wissen. Daher wolle man die Causa nicht öffentlich kommentieren.
Die Intelligenzia von der Straße
So bleibt nichts als der Weg auf die Straße. Direkt vor Wiens bekanntester Bauruine, auf der Mariahilfer Straße, hat der Augustin mit Menschen gesprochen. Sie wurden gefragt, was sie aus dem missglückten Luxushotel machen würden, was der Öffentlichkeit am meisten bringen könnte.
Halid flaniert mit einem Freund die Einkaufsstraße rauf. Ziemlich zufrieden, man könnte auch sagen visionslos, zeigt er sich, was die Zukunft des Lamarr angeht. «Es gibt hier alles. Es braucht nix», findet der junge Wiener. Sein Begleiter interessiert das Thema weniger, der wartet abseits, bis die beiden weitergehen können. Ambitionierter zeigen sich zwei junge Frauen, auch wenn sie mit einer Rechtfertigung einsteigen: «Wir verfolgen das Thema nicht. Wir sind aus der Donaustadt.» Eine der beiden lacht. «Haben wir nicht einen Wohnraummangel?», fragt die Frau mit den Locken und der Lederjacke: «Na, dann!» Die Bauruine hinter den beiden Frauen ist mit Sperrholzplatten abgezäunt. Renderings und Werbung sind darauf plakatiert. Ein Graffiti quer darüber höhnt: «Danke Benko».
Wohnungslosen-Hilfe oder Glücksspiel-Hölle
Auf einer Sitzgelegenheit gegenüber dem Betongerippe hat sich Petra niedergelassen. Die Masseurin aus Niederösterreich wartet auf ihre Tochter, schleckt genüsslich ein Eis. Sie findet das halbfertige Gebäude «in erster Linie schiach», wie sie sagt. Aber: «Man könnte aus dem Gebäude ja billige Wohnungen machen, oder eine Unterkunft für Wohnungslose, Suchtkranke.» Sie wisse, wovon sie spreche. Als Alleinerzieherin dreier Kinder habe sie es auch nicht immer leicht gehabt. Apropos Kinder: Man könnte auch einen «kleinen Märchenpark» machen, «wie im Burgenland, was für die Kinder».
Quasi das Gegenteil wünscht sich Enes, der mit seinem Kumpel Jinze an den Plakatwänden vorbeispaziert. Die beiden sind gut gelaunt und haben Fantasie: «Das wäre perfekt für ein Riesencasino mit Cafeteria und Whirlpool!», schwärmt der junge Mann im weinroten Kurzarmhemd. Jinze lacht verschmitzt. Aber würde das Glücksspiel nicht abhängig machen und das Geld wieder den Reichen in die Hände treiben? Enes entgegnet schlagfertig, wenn auch inhaltlich umstritten: «Man muss es nur lang genug probieren. Irgendwann kommt der große Gewinn.» Das Whirlpool bringt Enes dann aber noch auf eine andere Idee: «Ein Schwimmbad! Das wäre megageil, ein Riesenschwimmbad in der City!» Auch Jinze gefällt der Vorschlag. Tatsächlich lassen sich in die flächigen Etagen aus Stahlbeton gut Schwimmbecken imaginieren. Der geplante öffentliche Park am Dach könnte ja bleiben.
Vernünftige Lösungen
Weniger visionär ist man in der Sache erwartungsgemäß bei der Stadt Wien. Auf Anfrage vom Augustin, wie die Immobilie denn der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnte, ob die Stadt gedenkt, sich in die Presche zu hauen, antwortet eine Sprecherin: «Wie es mit dem Kaufhaus Lamarr weitergeht, liegt in der Entscheidung des Insolvenzverwalters und des Hälfteeigentümers. Im laufenden Verfahren hat die Stadt Wien keine Rolle. Für uns ist jedoch wichtig, dass es eine vernünftige Lösung gibt.» Medienberichten zufolge ist der Verkauf an eine Versicherung, Investor:innen oder Bauunternehmer:innen im Gespräch.
Die wirklich vernünftigen Lösungen kommen von der Straße: Sebastian und Georg, zwei Männer zwischen dreißig und vierzig, sitzen auf einer Bank, schräg gegenüber vom Lamarr. Mit ihnen ein kleiner Hund. Während Georg einen Take-away-Nudelsnack verspeist, sagt Sebastian, man könne das Ganze ja der freien Kunst- und Kulturszene zur Verfügung stellen. «Die haben eh so wenig Mittel.» Einen großen Bissen Nudeln später wirft Georg ein: «Ein urbaner Campingplatz wäre geil! Mit einer René-Benko-Statue in der Mitte, mit der Inschrift ‹Den Reichen zur Mahnung, den Armen zum Trost›.» Die beiden lachen.
Zeit für Vergnügen
Die jahrelangen Bauarbeiten auf der Mariahilfer Straße belustigen Passant:innen, für die Anwohner:innen sind Dauerlärm und Staub aber zermürbend. Vielleicht muss man daher auch Pragmatismus walten lassen, wie ihn Helmut, ein Mann mit Kurzhaarschnitt und Brille, beherrscht. Er arbeitet in der Tabaktrafik direkt neben der Baustelle in Wien-Neubau. Helmut ist gut informiert, was den Fall Lamarr und die Mariahilfer Straße 10–18 Immobilien GmbH angeht. «Anfangs hatte der Spar ja Interesse gezeigt, dann aber wieder zurückgezogen», sagt der Angestellte. Ein Lebensmittelgeschäft wäre, findet er, «das kleinste Übel. Alles ist gut, nur keine Baustelle.»
Folgt man dem eingangs zitierten Spruch der Hedy Lamarr, alles brauche seine Zeit, wird klar, dass auch ein Betonmonster wie das Lamarr eine Ruhezeit braucht. Danach aber kommt wieder die Zeit zum Arbeiten, dann Zeit für Vergnügen und die Zeit zum Ausruhen. Man könnte meinen, auch Hedy Lamarr hat dabei schon an einen Campingplatz gedacht.