Brasilianische Aktivist_innen holen sich Kraft aus dem österreichischen Dezember 1984 ...
Die Gegner_innen des brasilianischen Mega-Staudamms Belo Monte haben einen Bischof an ihrer Seite. Die Aktivist_innen der Hainburger Au hatten die auflagenstärkste Zeitung hinter sich. «Belo Monte» ist auch wegen der katastrophaleren Folgen des Projekts nicht mit «Hainburg» vergleichbar. Das Hainburger Happy End ist dennoch eine Art Frustschutzmittel für alle, die an ähnlichen «Fronten» kämpfen. Bericht von einer Bootsfahrt mit einstigen Au-Besetzer_innen und brasilianischen Belo Monte-Gegner_innen.
Und eins und zwei und drei und … Wir sitzen zu zehnt in einem Schlauchboot und paddeln die Donau hinunter. Bei Orth sind wir «eingestiegen» Hainburg ist unser Ziel. Wir lassen uns mit einer Strömungsgeschwindigkeit von etwa 14 km/h ein Gebiet entlang treiben, das es heute so und in seiner Artenvielfalt wohl nicht mehr geben würde: Wären nicht vor 27 Jahren Naturschützer_innen auf die Barrikaden gegangen, stünde hier nun ein großes Wasserkraftwerk. Inzwischen aber hat man die Donau-Auen als größtes zusammenhängendes Augebiet Europas entdeckt. Ein Nationalpark wurde gewidmet. Und der Dezember 1984 gilt heute als energie- und umweltpolitischer Markstein in der Geschichte Österreichs.
Ein Ausflugsschiff zieht an uns vorüber, wir winken und johlen. Und dann wieder ein paar Paddelschläge. Schnell finden wir unseren gemeinsamen Rhythmus, schaukeln auf den Wellen. Eins und zwei und drei … Nicht alle auf unserem Boot sprechen Deutsch. Lukas zum Beispiel nicht. Lukas mit der dunklen Sonnenbrille, obwohl die Sonne gar nicht scheint. Er liest mir die Zahlen von eins bis zehn von den Lippen ab, spricht mir nach. Und eins und zwei und … Janaina macht es ihm gleich. Sie schützt ihren dunklen Lockenkopf mit einem dünnen Tuch vor dem Nieselregen. Die jungen Leute an Bord kommen aus Brasilien und sind dort in sozialen Bewegungen aktiv. Nach Österreich eingeladen wurden sie von der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung (KAB).
Die «Brasileiros», wie wir sie an diesem Nachmittag nennen, führen einen ähnlichen Kampf wie die Naturschützer_innen seinerzeit in der Hainburger Au. Im Norden von Brasilien, am Xingu, einem Seitenarm des Amazonas, soll das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt entstehen Belo Monte. Seit den 70er-Jahren wird daran geplant. Immer wieder ist der Mega-Staudamm an Protesten gescheitert. Nun aber wirds ernst. Die Rodungen am Regenwald haben schon begonnen. Nicht die Natur allein ist in Gefahr. Für viele der armen Einwohner_innen im Norden Brasiliens ist diese Natur auch ihre Lebensader. Mehr noch.
Gracia erzählt von den Ängsten der Frauen in der Region: «Sie befürchten, dass ihre Männer als Billigarbeiter auf der Riesen-Baustelle ausgebeutet werden. Und sie haben Angst, dass sich ihre Töchter dort prostituieren. Sie wollen ihre Heimat nicht verlieren, das Gebiet nicht verlassen und verlangen, dass ihre Lebenswerte respektiert werden.» Rund 30.000 Menschen wären zur Landflucht gezwungen, weil sie nicht mehr Zugang zu Wasser, Fischfang und Jagd ihren Lebensgrundlagen hätten.
Für unsere Alu-Bierdosen, nicht für die Leute am Amazonas
Die Au-Besetzer_innen wären seinerzeit in Österreich ohne mediale Unterstützung wohl nicht so erfolgreich gewesen. Welches Bild zeichnen denn brasilianische Medien von Belo Monte, das Bischof Kräutler sogar als «Todesprojekt» bezeichnet hat? Bruna erzählt, was sie bisher dazu gelesen hat: «Die brasilianischen Massenmedien machen natürlich positive Stimmung, minimieren die Probleme, präsentieren das Projekt als ein Symbol für Fortschritt und Entwicklung. Werbespots an unseren Flughäfen zeigen ein sauberes Bild vom zukünftigen Staudamm. Die Gegner mobilisieren hauptsächlich übers Internet, und von Websites wie www.cimi.org.br erfahren wir, was in der Region wirklich läuft, und können uns untereinander vernetzen. Die sozialen Bewegungen haben starken Zulauf, aber freilich eine Mehrheit haben sie noch nicht.»
Mit an Bord unseres Schlauchbootes ist auch Univ. Doz. Dr. Peter Weish, Präsident des Forums für Wissenschaft und Umwelt. Er war selbst im Dezember 1984 in der Hainburger Au und erinnert sich: «Auch uns wurde damals das Märchen von drohender Stromknappheit aufgetischt. Es wurde auch behauptet, die Au-Landschaft an der Donau könnte trotz Kraftwerkbau erhalten bleiben, ja würde dieses sogar zum Bestehen brauchen. Das war ebenso ein Märchen. Denn die längerfristigen Folgen hätten den Lebensraum Auwald zerstört. Da kann man bei jedem bestehenden Kraftwerk nachsehen …»
Ein Kormoran am Donau-Ufer erregt unsere Aufmerksamkeit, Feldstecher werden gezückt. Wir schweigen kurz in der Stille der Natur, während wir am Auwald vorübergleiten.
Und doch taucht in unseren Köpfen schon die nächste Frage auf. Jetzt, wo alle vom Atom-Ausstieg reden, ist Wasserkraft nicht trotz allem eine gute Alternative?
Dr. Peter Weish: «An sich ist Wasserkraft eine umweltfreundliche Energie. Es kommt aber auch auf die Dimensionen an. Wenn dafür Natur- und Lebens-Ressourcen unwiederbringlich zerstört werden, fällt auch hier die Umwelt-Bilanz letztlich negativ aus. Großprojekte wie Belo Monte dienen nur dem Energie-Profit. Es geht nicht darum, die einheimische Bevölkerung mit Strom zu versorgen, sondern Energie für Aluminiumhütten vor Ort zu erzeugen damit wir hier unser Bier weiterhin aus Dosen trinken können.» Die einzige Alternative aus seiner Sicht: «Auf regionale Energieversorgung setzen und Energie sparen.»
E-Mail-Protest gegen die Beteiligung der Andritz AG
Wir landen in Hainburg und ziehen unser Boot mit vereinten Kräften aus dem Wasser. Lukas und Janaina haben auf Deutsch zählen gelernt. Und wir alle haben wir aus Hainburg gelernt? Wäre ein Widerstand wie damals heute überhaupt noch möglich, hierzulande ebenso wie in Brasilien?
Da gehen die Meinungen etwas auseinander.
Prof. Dr. Manfred Pintar von der Universität für Bodenkultur war ebenfalls mit auf dem Boot. Er ist Optimist. «Nach Hainburg wurde in Österreich die Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt, Großprojekte sind nicht mehr ohne Bürgerbeteiligung durchzuführen. Und junge Leute sind heute wie damals zum Widerstand zu mobilisieren, davon bin ich überzeugt.» Die junge Bruna aus Brasilien hingegen ist skeptisch: «Widerstandsbewegungen sind nicht homogen. In Brasilien gibt es innerhalb dieser Bewegungen Interessenskonflikte zum Beispiel zwischen Land- oder Stadtbevölkerung, aber auch zwischen gebildeten und ungebildeten Schichten.»
Und so haben internationale Konzerne leichtes Spiel, Interessensgruppen gegeneinander auszuspielen und profitable Großprojekte «durchzuziehen». Wie etwa das Technologie-Unternehmen Andritz aus Graz, das massiv in Belo Monte investiert. Herbert Wasserburger von der Dreikönigsaktion erzählt von seinen Begegnungen mit Betroffenen vor Ort. «Wir können sie hier und jetzt unterstützen», fordert Wasserburger Solidarität ein. «Unter www.dka.at/belomonte gibt es eine E-Mail-Protestaktion gegen die Beteiligung der Andritz AG an der Errichtung von Belo Monte.»
Stoff genug für weitere Diskussion beim Abendessen im Gasthaus in Orth.