Der Bürgermeister tut sich schwer mit der Realität
«Wir kämpfen für leistbares Wohnen», plakatierte die Bundes-SPÖ im Wahlkampf 2013. Offenbar haben sie damals vergessen, wer die folgenschwere Aufweichung des Mietrechts knapp 20 Jahre zuvor mitbeschlossen hat. Vor der Wiener Wahl soll plötzlich alles besser werden …Noch vor 20 Jahren war Wien eine Großstadt mit einigermaßen leistbaren Mieten. Verglichen mit anderen europäischen Metropolen hielt sich die Teuerung in Grenzen. Ein wichtiger Grund waren die stadteigenen Gemeindewohnungen, eine Errungenschaft des «Roten Wien» der Zwischenkriegszeit, die bis 2004 gebaut wurden. Im Gegensatz zu den Mieten am «freien Markt», sie stiegen nicht zuletzt durch die von der SPÖ mitbeschlossene Mietrechtsnovelle 1994 deutlich an, lagen jene für Gemeindebauten deutlich darunter. Das ab 1994 geltende System der Richtwerte mit einem undurchsichtigen Dschungel an Zu- und Abschlägen hat zu einem rasanten Anstieg geführt: In den zehn Jahren zwischen 2002 und 2012 erhöhte sich die Miete für Altbauwohnungen in Wien 48,5 Prozent! Dazu kommt, dass dieser Anstieg deutlich über jenem der Löhne und Gehälter liegt, und somit die durch die Krise ohnehin prekäre soziale Situation ärmerer Menschen zusätzlich verschärft.
Mietkostensenkung durch 120 Gemeindewohnungen?
Glaubt mensch Bürgermeister Häupl, so ist nun, spät aber doch, Abhilfe in Sicht. Ganz zufällig knapp vor den Wiener Wahlen hat er nämlich angekündigt, erstmals seit 2004 wieder Gemeindewohnungen zu errichten. Dies sei «der Schlüssel zur Mietkostensenkung», lesen wir die großspurige Ankündigung auf den durch Steuergelder finanzierten Plakaten in der ganzen Stadt. Hier drängen sich zwei Fragen auf: a) Warum erst jetzt? Und b) Wie viele sind’s denn, dass sie tatsächlich zu einer Mietkostensenkung auf Gemeindeebene betragen? Erstere ist natürlich rhetorisch, die zweite jedoch maßgeblich hinsichtlich eines wirklichen Effekts auf die Höhe der Mietkosten in der Stadt. Die Antwort: zunächst einmal ganze 120! Spätestens hier bewahrheitet sich, was viele ohnehin befürchtet haben, nämlich dass die Ansage Häupls nicht mehr ist als ein billiger Wahlkampfschmäh. Auch die Perspektive der Errichtung weiterer 2000 Wohnungen wird daran kaum etwas ändern. Übrigens: An der neuen Gemeindebau-Errichtungsgesellschaft ist zu 51 Prozent die Gesiba beteiligt. Häupls «gute Freunde» (O-Ton) von der «gemeinnützigen» Gesiba (übrigens zu 99,97 Prozent im Eigentum der Stadt) haben laut einer Kritik des Rechnungshofes – wir haben vor kurzem an dieser Stelle berichtet – Millionengewinne auf Kosten der Mieter_innen eingefahren.
Expert_innen zufolge fehlen in Wien zigtausende leistbare Wohnungen. Gleichzeitig stehen aus Spekulationsgründen bis zu hunderttausend (!) Wohnungen leer, wie die Zeitung «Der Standard» jüngst berichtete. Dagegen sind selbst die Forderungen der mitregierenden Grünen mit 1000 Wohnungen pro Jahr nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Einen – aus ihrer Perspektive – klassenbewussten Vorschlag wiederum steuert die Wiener ÖVP bei: Sie fordert Eigentum statt Miete! Ob mit dieser Perspektive das Überwinden ihres Kleinparteien-Daseins gelingen wird, ist zumindest jenseits von Hietzing und Döbling zu bezweifeln.
In Wien gibt es täglich 7 Zwangsräumungen
Demokratische Mitbestimmung war noch nie die Stärke der SPÖ. Für die Gemeindebauten gilt dies ganz besonders. Mieter_innen sollen froh über ihre relativ günstige Wohnung sein, Parteimitglied – und ansonsten still. Frappierend ist, wie wenig Mühe sich die Partei macht, die im wahrsten Wortsinne herrische Politik des Stadtoberhaupts zu kaschieren: «Es macht eben schon einen Unterschied, ob man private Immobilienbesitzer oder die Stadt Wien und Bürgermeister Michael Häupl als Hausherren hat!» Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher. Wie weit die herrschende Partei dieser Stadt von der Lebensrealität ihrer Bewohner_innen entfernt ist, zeigt ein weiterer Wahlkampfslogan der SPÖ: «Damit Wohnen für alle leistbar bleibt!» Fakt ist, dass 17 Prozent der Bewohner_innen einer der reichsten Städte der Welt arm oder armutsgefährdet sind, 9000 obdachlos, 2011 gab es über 7600 Delogierungen und 2013 mehr als 2500 Zwangsräumungen! Dagegen machen auch in Wien Basisinitiativen wie das «Recht auf Stadt»-Bündnis oder die Gruppe «Zwangsräumungen verhindern» mobil. Auch diesem Druck von unten ist es zu verdanken, dass aus der Wiener Stadtregierung jüngst vermehrt Töne über die Reform des Mietrechts und eine Leerstandsabgabe zu vernehmen sind.
Im weitesten Sinne wird uns das Thema auch in der nächsten «Wiener Wirtschaft» erhalten bleiben, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Nebst anderer Privilegien sind die staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften nämlich von der Grundsteuer befreit. Wir begeben uns auf einen Lokalaugenschein.
PS: Mehr Infos zu den genannten Initiativen unter:
zwangsraeumungenverhindern.noblogs.org bzw.
rechtaufstadt.at