Der Asphalt, der die Welt bedeutetArtistin

Das Kollektiv KLAUS bricht Bewegungstabus fernab traditioneller Kulturstätten. Straßen, Zebrastreifen und Plätze werden zur Bühne. Ein Versuch, die Kulturstadt Wien zurückzuerobern.

Text & Fotos: Nina Thiel

Segelähnliche Dächer beschatten den Urban-Loritz-Platz in Wien. Die Hitze drückt nichtsdestotrotz, reflektiert vom heißen Asphalt. Der Platz vor den imposanten Treppen der Wiener Hauptbücherei ist gut besucht. Die Blicke der Passant_innen richten sich in die Mitte der Fläche zwischen Bimstationen und Imbissbuden. Acht Frauen liegen dort am Boden.
Challenge accepted! Die Mitglieder der Performancegruppe KLAUS proben für ihren heutigen Auftritt. Ob alles in Ordnung sei, erkundigt sich ein junger Mann bei der Gruppe. Die Choreographie der Gruppe stört die alltägliche Szenerie. Dankend erklären sich die Tänzerinnen und laden zur Vorstellung am Abend ein.
Seit 2014 beschäftigt sich das Kollektiv KLAUS mit Tanz und Bewegung im öffentlichen Raum. Über zwanzig verschiedene Performances, vier Workshopreihen und zahlreiche spontane Tanzaufführungen hat die Gruppe quer durch Wien veranstaltet. Keine Performance gleicht der anderen. Im Gegensatz zu Bühnenveranstaltungen in Kulturstätten arbeiten die acht Künstlerinnen bewusst mit sich verändernden Umgebungen und unvorhersehbaren Interaktionen mit ihrem Publikum.
Ella Necker ist seit der Gründung ein Teil von KLAUS und spricht von einem Lerneffekt während der letzten sechs Jahre: «Auf der Bühne hast du die Konzentration, es ist ruhig, das Licht fokussiert dich, du bist fokussiert und das Publikum ist auf dich fokussiert. Alleine das bringt dich in die notwendige Verfassung. Draußen ist das eine Challenge.» Wie laut der Ort der Performance, wie kalt oder heiß der Asphalt und wie dreckig oder sauber der Boden ist – es sind unterschiedliche Gegebenheiten, auf die die Künstlerinnen in Straßen, auf Plätzen oder in Parks treffen. «Du musst trotzdem versuchen, diesen Performanceraum zu halten. Das ist echt nicht einfach.»
Während sich die Frauen an den wohl dreckigsten Untergrund in den noblen Gassen des ersten Bezirks erinnern, ist es heute vor allem der aufgeheizte Asphalt, der die Performance erschwert. Es ist Abend geworden. Der Urban-Loritz-Platz wird von den wenigen Lichtern der Bücherei beleuchtet. Bald beginnt die Vorstellung der jüngsten Performance Princess. Wenige Menschen stehen erwartungsvoll am Platz – sie kennen KLAUS und wissen durch Social-Media-Accounts der Gruppe von der heutigen Vorstellung. Auch unwissende Passant_innen schauen jetzt Richtung U-Bahn-Station Burggasse-Stadthalle. Die erste Tänzerin schreitet aus dem Lift Richtung Platzmitte. In Tüll und mit auffälligem Make-up – das weiße Gesicht wird von einem blauen Streifen überzogen – legt sie sich auf den warmen Boden. Musik klingt aus mitgebrachten Lautsprechern.

So viel ungenutzter Raum.

«Die richtigen Leute sind zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz zusammengekommen. Und da war für mich klar: Das wird was!» Ella erinnert sich an das Zusammenfinden im Umfeld der Tanzschule Move On. Seinen ersten Auftritt am Neubaugassenflohmarkt feiert das Kollektiv noch unter dem Namen Zebras. Schnell war klar, dass ihr radikales Vorhaben, «etwas gegen den Strich zu machen», nach einem anderen Namen verlangte. Während KLAUS dann durch Zufall entsteht, ist die Vision von Anfang an klar: «Es gibt keine Räume. Theater sind teuer. Und gleichzeitig gibt es so viel Platz, so viel Raum, der ungenutzt ist.» KLAUS-Mitglied Anne Megier spricht davon, den Lebensraum Stadt zurückzuerobern: «Es geht um Freiheit. Dass man sich bewegen kann, wie man will, wo man will.» Außerdem möchte sie mit KLAUS Tanz außerhalb der immer gleichen Kulturszene zugänglich machen: «Wenn du auf die Straße gehst, erreichst du alle. Nicht nur die, die bezahlen.»
Geld verdient das Kollektiv mit gelegentlichen Kooperationen wie den Workshops im Rahmen des Festivals ImPulsTanz – ihre Auftritte sind ausnahmslos kostenlos. Die Proben und das Erarbeiten von Choreografien und Workshopinhalten nehmen durchschnittlich einen Arbeitstag pro Woche in Anspruch. Entlohnt wird dieser durch Förderungen wie etwa die Projektunterstützung für Stadtteilkultur und Interkulturalität der Stadt Wien. Davon leben können die Mitglieder (noch) nicht – sie alle haben künstlerische Berufe abseits von KLAUS.

Skandalöse Frauen.

Das Publikum hat inzwischen einen Kreis um die acht Tänzerinnen geformt. Mit vorsichtigem Abstand und neugierigen Blicken beobachten Kinder, Geschäftsleute, Student_innen, Standler_innen und wartende Fahrgäste die Tänzerinnen. Mit Sprüngen, laufend und mit starken Gesten brechen die durch die Menschentrauben. An der Theke der Imbissbude Würstelmausi lehnend und mit Bier in der Hand schauen Zaungäste sich die moderne Tanzperformance an. Andere filmen die abstrakten Bewegungen der als Prinzessinnen verkleideten Frauen. Viele sind gebannt und beobachten den Auftritt stillschweigend.
In Princess spielt das Kollektiv mit dem stereotypen Prinzessinnenbild. «Es geht um ein freies Frauenbild, das nicht entsprechen muss», erklärt Anne. Ob diese Botschaft in Form von Tanz bei einem – zum Teil überrumpelten – Publikum ankommt, ist für die Künstlerinnen nicht ausschlaggebend. Auch ohne konkrete Agenda bezeichnen die Frauen jeden störenden Akt als Statement. Wichtiger, als fertige Bilder in den Köpfen des Publikums zu erzeugen, ist für sie das Fördern der freien Interpretation.
Der Anspruch von KLAUS, den Tanz «nicht drinnen zu lassen», bricht regelmäßig Bewegungstabus. «Auf der Bühne darfst du halt machen, was du willst. Aber im öffentlichen Raum nicht.» Tänzerin Natalie Campbell erzählt von ihren ersten Performances mit KLAUS. Vom Stück Drinnen und Draußen zum Beispiel. Dabei hat das Kollektiv alltägliche Handlungen – schlafen, frühstücken oder Zähneputzen – in den öffentlichen Raum verlegt. «Da liegt dann halt in der Grünphase eine Frau in weißer Bettwäsche am Zebrastreifen. Was an sich ja nichts Provokantes ist.» – «Aber es war geradezu skandalös!», ergänzt Ella lachend.

Spinnen die?

Das Kollektiv schätzt jede Art von Reaktion auf seine Kunst. Neben skeptischen Blicken und Aussagen wie «Die spinnen ja» erfahre die Gruppe großteils positive Rückmeldung. Vor allem das aktive Mitmachen von Zuschauer_innen ist ein zentrales Element für KLAUS.
Auch Probleme mit der Polizei hatte das Kollektiv noch keine. Ella spricht von einer Grauzone. Den Künstlerinnen ist es wichtig, trotz radikalen Aktionen keine Auflagen oder Gesetze zu brechen: «Immerhin wollen wir das ja noch lange machen.» Den bisherigen Aufführungen des Stücks Princess sind Anfragen an die Stadt Wien vorausgegangen. Die Genehmigungen müssen mindestens eine Woche vor den Vorstellungen beantragt werden, wie Natalie erklärt. Spontane Performances oder auch wandernde Projekte ohne konkrete Ziele hat das Kollektiv bereits ohne Genehmigungen gemacht. «Wir gehen dann einfach zu den Polizist_innen und erklären, was wir machen.» Anwesende Ordnungshüter_innen seien bisher immer verständnisvoll gewesen.
Während die Choreografie die Frauen über die gesamte Fläche des Urban-Loritz-Platzes geführt hat, positionieren sie sich zum Finale der Vorstellung wieder in der Platzmitte. Die Tänzerinnen türmen sich zu einer Pyramide, ihre Hände über den Köpfen zu Kronen geformt. Lauter Applaus setzt ein, und mit Gelächter, Geschrei und im sprunghaften Lauf verlassen die Künstlerinnen den Platz in Richtung U-Bahn. Langsam endet der Applaus. Die Ansammlung an Menschen löst sich auf. Die Musik verstummt. 

www.klaustanzt.at