Der Ausbeutung den Garaus machentun & lassen

Arbeits- und aufenthaltsrechtliche Vertretung wird frisch gebündelt

Anfang Juni wird im ÖGB-Haus die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender (UNDOK) eröffnet. Kostenlos und anonym werden dort Arbeitnehmer_innen beraten, die keinen gesicherten Aufenthalt haben und/oder in einem rechtlich unsicheren Arbeitsverhältnis stehen. Solche Unsicherheiten werden von Arbeitgeber_innen oft ausgenützt: Wer sich nicht gegen Ausbeutung wehren kann, gilt als billige Arbeitskraft. Dass vier Teilgewerkschaften die neue Anlaufstelle mittragen, ist ein Novum in der Politik des ÖGB. Schließlich waren die Gewerkschaften bisher nicht unbeteiligt an den Gesetzen, die «UNDOK»-Arbeitende in ihrem Status verharren ließen. Drei Mitbegründerinnen der Anlaufstelle erzählen, wie alles wurde, was es ist …

Am 4. Juni wird die «UNDOK-Anlaufstelle» eröffnet – wie sah der Weg dahin aus?

Sandra Stern: Die Gruppe Prekär Café hat im Jahr 2009 begonnen, Veranstaltungen mit Gewerkschaften, NGOs und anderen Aktivist_innen zu machen, um sie zusammenzubringen. Wir haben den Bedarf nach einer Schnittstelle zwischen antirassistischem und gewerkschaftlichem Engagement gesehen. Die einen unterstützen Leute mit Aufenthaltsschwierigkeiten, die anderen greifen bei arbeitsrechtlichen Fragen ein. Eigentlich gehört das aber zusammengedacht.

Daraus hat sich ein Arbeitskreis entwickelt.

Sandra Stern: Im März 2011 gab es das erste Treffen vom «Arbeitskreis undokumentiert Arbeiten». Leute haben begonnen, sich in ihren Tätigkeitsfeldern auszutauschen, und irgendwann kam es dazu, dass der erste konkrete Fall unterstützt wurde: ein Kollege, der undokumentiert – in diesem Fall als Asylwerber in der Baubranche – gearbeitet hat, ist von uns als Verband, vor allem von der Gewerkschaft Bau Holz unterstützt worden. Der Unternehmer hat ihn um seinen Lohn betrogen, die Bau Holz konnte das aber recht rasch erledigen.

Susi Haslinger: Was uns bis dahin gefehlt hat, war die Zusammenführung der Erfahrung von allen Seiten. Das hieß, jemand ist zum Beispiel in die Arbeitsrechtsberatung gekommen, und du wusstest nicht, ob ich seinen Lohn einklagen kann oder er dann Gefahr läuft, abgeschoben zu werden. Bisher musste man sich durchtelefonieren, bis man zur nötigen Information kam.

Der Arbeitskreis ist also zu dem Schluss gekommen, eine Anlaufstelle muss her. War das eine rasche Entscheidung?

Sandra Stern: Wir haben uns langsam vorgehantelt – in Deutschland gibt es bereits in sieben oder acht Städten solche Anlaufstellen, in der Schweiz ebenso. Wir haben uns angeschaut, wie die funktionieren, und haben dann versucht, ein ähnliches Ziel für Wien anzuvisieren.

Gab es keine Berührungsängste zwischen Gewerkschaften und Aktivist_innen?

Sandra Stern: Ich kann mich an eine lustige Situation im Arbeitskreis erinnern: Wir haben auf Flipcharts einmal die Sichtweise linker Aktivist_innen auf nationalstaatliche Grenzen geschrieben und dasselbe aus Gewerkschaftsperspektive gemacht – das hätte unterschiedlicher nicht sein können. «Offene Grenzen sind doch ein neoliberales Projekt!», haben uns Gewerkschaftskollegen vor den Latz geknallt. Da schaut man erst einmal! Aber wir wussten, dass wir auf den Tisch legen müssen, wo wir alle herkommen und was wir denken, damit das Ding ins Laufen kommt.

Alle diese Positionen treffen sich jetzt also in der Anlaufstelle. Wie sieht der Arbeitsalltag aus?

Karin Jovic: Filiz Kalayci und ich haben zwei Teilzeitstellen. Wir sind beim Verband angestellt, nicht beim ÖGB, dieser stellt uns aber die Räumlichkeiten zur Verfügung. Wir haben zwei Wochentage definiert, an denen wir telefonisch und persönlich für Beratungen erreichbar sind. Es rufen zum Beispiel Leute von Beratungsstellen an, die für betroffene Personen einen Termin ausmachen. Aber Betroffene sind auch schon direkt hergekommen, um sich beraten zu lassen.

Wie geht so eine Beratung vor sich?

Karin Jovic: Die Fälle und Fragestellungen sind sehr unterschiedlich. Manchmal wird Information benötigt, wie die arbeitsrechtliche Situation bei einem bestimmten Aufenthaltsstatus aussieht. Manchmal braucht es auch Begleitung, weil die Erfahrung zeigt, dass Leute nicht nur sprachliche Übersetzung benötigen, sondern man ihnen in bestimmten Situationen den Rücken stärken muss: Zum Beispiel muss jemand zur Gebietskrankenkasse, um eine Niederschrift über ein undokumentiertes Arbeitsverhältnis zu machen. Nun schlägt dir erst einmal Misstrauen entgegen, niemand dort findet deine Geschichte glaubwürdig: Wieso würdest du zwölf Stunden täglich, sieben Tage die Woche arbeiten, keinen Lohn bekommen und trotzdem weiterarbeiten? Da ist es gut, eine Person mitzuhaben, die dich bestärkt, durchzuhalten.

Wie ist die Anlaufstelle finanziert?

Karin Jovic: Es wurde ein Verein gegründet, der unter anderem Förderanträge beim Sozialministerium und beim WAFF eingereicht hat. Daneben gibt es finanzielle Unterstützung von den vier Gewerkschaften, die Mitglieder sind, und auch von der Arbeiterkammer, die Kooperationspartner ist. Die Stellen sind vorerst bis Ende des Jahres finanziert.

Sandra Stern: Und wir haben großes Interesse daran, dass auch die anderen Gewerkschaften Teil des UNDOK-Verbands werden, namentlich die Gewerkschaften Öffentlicher Dienst, Post und Gemeindebedienstete.

Kann man im öffentlichen Dienst von undokumentierter Arbeit ausgehen?

Sandra Stern: Die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass es kaum eine Branche gibt, wo nicht undokumentiert gearbeitet wird. Seien es die ausgelagerten Bereiche im öffentlichen Dienst oder einfach dort, wo niemand hinschaut. Denken wir an die Leute bei der MA 48, die in der Früh kommen und die Schneeschaufel in die Hand kriegen. Ich bin nicht sicher, ob da jemand nach einem Arbeitsvertrag fragt, der mit dem Aufenthaltsstatus kompatibel ist.

Wie sieht die Arbeit des Verbandes in Zukunft aus?

Sandra Stern: Wir verstehen das Angebot der Anlaufstelle nicht nur als Rechtsberatung, sondern auch als Unterstützung zur Selbstorganisierung. Die Grenzen von Einzelfallarbeit sind evident, die Überausbeutung hat System und Arbeitgeber_innen nutzen das grandios aus. Mit dem Einklagen des einzelnen Lohns ist es da nicht getan. Es braucht Organisierung, die die Arbeitgeber_innen merken lässt, dass sie die Arbeitnehmer_innen nicht länger so behandeln können. Generell geht es uns um die Verbesserung der Situation von undokumentiert Arbeitenden. Wenn man ohne brauchbare Papiere in Österreich lebt, wirkt sich das nicht nur auf das Arbeitsverhältnis aus, sondern auch auf die Wohnsituation, die Bildungsmöglichkeiten, die Gesundheit, das ganze Leben.

Und was weiterhin auf unserer Agenda steht, ist Sensibilisierungsarbeit in den Gewerkschaften. Deren Perspektive muss sich weiterentwickeln in Anerkennung der Tatsache, dass Menschen sich von Grenzen nicht abhalten lassen oder lassen können. Das verändert die Art der Gewerkschaftsarbeit, die notwendig wird, und auch den Blick auf «typische» Mitglieder.

Susi Haslinger: Die Anlaufstelle hat auch eine Art Bündelungsfunktion. Wir hatten ein Treffen mit den Rechtsabteilungen aller Gewerkschaften, um das Projekt vorzustellen, und da gab es eine Reihe von Aha-Momenten: «Ich mach doch schon so lange … und wenn ich gewusst hätte, dass ihr auch …» Es tun sich also Gemeinsamkeiten auf, die wir sonst gar nicht bemerkt hätten.

Heuer ist der 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens, der sogenannten «Gastarbeiterregelung». Wieso hat die Gewerkschaft so lange gebraucht, um festzustellen, dass migrantische Arbeitnehmer_innen mit speziellen Ausbeutungsformen konfrontiert sind?

Susi Haslinger: Die Gewerkschaften sind da bisher sehr einzelfallbezogen rangegangen. Wenn es jemand zufällig bis zur Gewerkschaftstür geschafft hat, nimmt man sich seines bzw. ihres Problems an. Die große Schwierigkeit steckt aber darin, dass viele Kollegen und Kolleginnen nicht von selber kommen, weil die Institution Gewerkschaft sehr hochschwellig ist. Dem soll die Anlaufstelle entgegenwirken. Gleichzeitig haben Gewerkschaften die Sache lange Zeit unter einem anderen Gesichtspunkt auf ihre Agenda gesetzt: Dass undokumentiertes Arbeiten das Lohnniveau, das Arbeitsbedingungsniveau für alle anderen Beschäftigten aushöhlt. Das ist natürlich ein ganz wesentlicher Punkt, die Seite der Betroffenen hat man aber lange gar nicht gesehen. Das ändert sich jetzt langsam.

Ihr sprecht von Niederschwelligkeit, das Büro der Anlaufstelle ist aber in diesem riesigen Glasbau untergebracht, am gefühlten Ende der Stadt.

Sandra Stern: Wir haben die Vor- und Nachteile vieler Orte und Bezirke diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass Niederschwelligkeit nicht allein vom Ort abhängig ist. Es geht auch um Vertrauen: Ich gehe ja nicht meinen Arbeitgeber konfrontieren oder gar verklagen, wenn ich nicht sicher bin, dass mich die Leute unterstützen. Der Vorteil am Gewerkschaftshaus ist, dass wir uns Schutz vor der Fremdenpolizei erwarten.

Das schreit nach Reaktionen – was sagen Gewerkschaftsmitglieder und Politik zu diesen Neuerungen?

Susi Haslinger: Innerhalb der Gewerkschaften blieb es unseres Wissens ziemlich ruhig. Am meisten Aufregung hat die Reaktion der Freiheitlichen Arbeitnehmer im Wahlkampf zur Arbeiterkammerwahl verursacht, die in etwa behauptet haben: «Gewerkschaft eröffnet Anlaufstelle zur Vermittlung von Schwarzarbeit», was dann kurzfristig auch von den Medien übernommen wurde.

Sandra Stern: Die FPÖ hat sich drei Presseaussendungen geleistet, um zu sagen, Arbeiterkammer und Gewerkschaften sollen sich in medizinische Behandlung begeben, wenn sie so etwas machen. Und die «Kronen Zeitung» ist aufgesprungen. Es geht darum, Leute dabei zu unterstützen, zu ihrem Recht zu kommen, und die Gegenseite hat nichts Besseres zu tun, als mit Rassismus zu kontern. Der Aufwand, der betrieben wurde, um die Arbeit der Anlaufstelle zu diskreditieren, war schon recht groß. Die Reaktion darauf war allerdings eine positive Stellungnahme von allen Beteiligten: Alle, und das heißt auch der Sozialminister und der Arbeiterkammerpräsident, haben sich mit Presseaussendungen hinter diese Anlaufstelle gestellt, und das ist natürlich gut so.

Fotos: Carolina Frank

Eröffnung am 4. Juni, 9.30 Uhr

ÖGB-Haus, Johann-Böhm-Platz 1, 1020 Wien

Wilhelmine-Moik-Saal

Karin Jovic ist seit Dezember 2013 in der UNDOK-Anlaufstelle angestellt und Ansprechperson für die ersten Beratungsgespräche. Jovic ist seit mehreren Jahre in der Flüchtlingsarbeit tätig.

Susi Haslinger arbeitet in der Rechtsabteilung und der Sozialpolitik der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE). Die PRO-GE ist Mitglied des UNDOK-Verbandes.

Sandra Stern hat als Aktivistin der Gruppe Prekär Café, die an der Schnittstelle von Antirassismus und gewerkschaftlicher Organisierung tätig ist, das Projekt der UNDOK-Anlaufstelle mitgestartet. Stern ist als Einzelperson Mitglied im UNDOK-Verband.

Im Rahmen des Verbands UNDOK, der die Anlaufstelle trägt, arbeiten zusammen: die Gewerkschaften PRO-GE, GPA-djp, Vida und GBH, verschiedene NGOs und Aktivist_innen sowie die Arbeiterkammer Wien. Beratung findet auf Deutsch, Englisch, Türkisch, Kurdisch, Französisch, Spanisch, BKS und Russisch statt; weitere Sprachen auf Anfrage.


www.undok.at