Interview: Barbara Zeman
Anfang des Jahres erschien «Immerjahn», der Debütroman von Barbara Zeman. Seitdem sind die aus dem Burgenland stammende Schriftstellerin und ihre Geschichte über einen Kunstsammler mit Identitätskrise in aller Medien und Munde. Mit Robert Fischer hat sie über Kunst, männliche Macht und die Arbeitswelt gesprochen. Foto: Carolina Frank
In deinem ersten Roman spielt Kunst eine große Rolle. Die Hauptfigur, der Kunstsammler Immerjahn, will sein Haus in ein Museum umwandeln. Als er seine Werke sichtet, wird er melancholisch und verliert sich in Erinnerungen. Bist du auch privat kunstinteressiert?
Im Prinzip liebe ich Kunst sehr, aber ich komme mit der Art, wie die Kunst präsentiert wird, nicht so gut zurecht. Zum Beispiel als ich einmal auf der documenta in Kassel war: Die Ausstellung war so dicht, an jedem Zentimeter war irgendetwas anderes aufgehängt. Ich war drei Tage dort und musste mich danach zwei Wochen davon erholen. Ich bin ein Mensch, der in puncto Reizüberflutung eine ganz niedrige Schwelle hat. Deshalb vertrage ich Kunst, wenn sie auf herkömmliche Art in Museen präsentiert wird, immer nur in kleinen Dosen. Mit dem offiziellen Literaturbetrieb und den großen Buchmessen in Frankfurt oder Leipzig geht es mir ähnlich.
Hast du in Wien ein Lieblingsmuseum?
Eigentlich nicht. Statt der großen Museen mag ich viel lieber kleinere Ausstellungsräume oder Off-Spaces, weil sie ein bisschen was Räudigeres haben und nicht so unfassbar herausgeputzt sind. Ich empfinde Museumsräumlichkeiten meistens auch als ein bisschen einschüchternd durch ihren ganzen Prunk. Aber was ich mag, ist, wie im Kunsthistorischen Museum der Boden klingt, wenn man drübergeht. An manchen Tagen, wenn viel los ist, bewegt sich das Parkett dann auf eine seltsame Weise, das klingt wie knisternde Flammen! Ich mag auch das Belvedere gerne, da geht’s aber eher um das Zusammenspiel von einem Garten und dem dazugehörigen Gebäude.
Du hast ja in deiner Kindheit ein prägendes Erlebnis bezüglich deiner Augen gehabt.
Ich hatte eine Zeit lang mein linkes Auge abgeklebt, weil ich mein rechtes nicht benutzt habe. Das «gute» Auge wurde abgeklebt, um das andere zu aktivieren. Das heißt, ich war im Prinzip auf eine Art und Weise von heute auf morgen fast blind. In den 80er-Jahren wurde das so behandelt. Ich kann mich an diese Zeit nicht mehr gut erinnern, aber ich glaube, es gab in meinem Leben bisher kaum eine einschneidendere Sache als diese Phase, in der ich nur mit einem Auge sehen konnte.
Hat dieses Sehen mit nur einem Auge deinen Blick auf die Dinge geschärft?
Ja! Diese Phase hat circa eineinhalb Jahre gedauert, was für ein Kind in diesem Alter natürlich eine Ewigkeit ist. Dadurch habe ich aber ein gesteigertes Sehvermögen bekommen, weil du die ganzen Dinge erst einmal richtig anstaunst, wenn du sie länger nicht bzw. noch nie richtig gesehen hast. Und über diese Art ganz besonderen Blicks verfügt auch der Immerjahn in meinem Buch.
Du hast in einem Interview erzählt, es sei dir wichtig gewesen, dass Immerjahn ein Mann ist, weil Männer viel mehr besitzen als Frauen, das sei eine gesellschaftliche Realität.
In unserer Gesellschaft ist es so, dass Männer wahnsinnig viel mächtiger sind als Frauen. Für mich hätte es nicht funktioniert, den Roman aus Sicht einer Frau zu schreiben. Das wäre nicht repräsentativ gewesen. Die großen Kunstsammler weltweit sind alles Männer, es gibt zwar Ausnahmen, aber das sind dann zumeist die Gattinnen. Ich wollte durch diese Ausgangslage in meinem Buch auch bekräftigen, dass ich mit gewissen Dingen, wie sie momentan sind, überhaupt nicht einverstanden bin. Dadurch, dass Immerjahn ein Mann ist, kann ich mir als Frau viel mehr herausnehmen, was ich ihn sagen lassen kann. Ich fand es lustig, aus der Perspektive eines Mannes zu schreiben. Wenn du schreibst, hast du jede Freiheit, und das wollte ich ausnützen.
Durch den Umstand, dass Immerjahn die ganze Zeit nur herumsitzt und nichts tut, ist das auch wie das Durchexerzieren der absoluten Unfähigkeit von sehr, sehr vielen alten, weißen Männern, Probleme zu beheben oder aus der Welt zu schaffen.
Der Typus des alten, weißen Mannes, der keine Lösungen hat und nur den Status quo erhält?
Ja genau! Ganz egal, ob es die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern betrifft oder den Klimawandel oder etwas anderes. Oft gibt es nur viele Bekundungen, viele Vorhaben, die aber nie verwirklicht werden. Im Endeffekt ist Immerjahn auch so jemand, nur halt im Kleinen. Er versucht sein Haus in ein Museum umzugestalten, aber es funktioniert nicht. Eigentlich verplempert er seine Zeit. Er versucht auch, die Gesellschaft zu verändern, er will eine neue volkswirtschaftliche Theorie finden, macht das aber nur halbherzig. Er interessiert sich zwar für das Problem der Ungleichheit, aber sobald es darum geht, wie man die konkret beseitigen könnte, wendet er sich schon wieder etwas anderem zu.
Gab es hin zur Gleichberechtigung der Frauen nicht schon viele Fortschritte?
Ja, aber es ist immer noch viel zu wenig! Ich glaube, um wirklich zufrieden zu sein, muss ich wahrscheinlich noch hundert Jahre warten. Alleine, wenn ich mir in meinem Freundeskreis anschaue, wie das ist, wenn jemand Kinder bekommt. In ganz wenigen, dafür aber umso großartigeren Fällen ist es dann so, dass sich der Mann genauso wie die Frau um die Kinder kümmert. Aber meistens machen es die Frauen. Es ist oft noch immer selbstverständlich, dass die Frau, wenn alle Stricke reißen, für die Kinder da sein muss. Beim Mann ist es eher optional.
Du hast eine Zeit lang im Nebenjob als Frühstücksköchin gearbeitet. Sind diese Erfahrungen in dein Buch eingeflossen?
Ich habe bei dieser Arbeit als Frühstücksköchin viel gelernt, auch wenn es teilweise sehr unschöne Erfahrungen waren. Es war total lehrreich, meine Kollegen in diesem Café besser kennenzulernen – viele kamen aus der Slowakei, Ungarn etc. –, um zu verstehen, mit welchen Problemen die Leute zu kämpfen haben. Für mich war das Ganze ein Nebenjob, während viele andere Vollzeit arbeiteten und davon abhängig waren. Es ist nicht nur einmal passiert, dass länger als zwölf Stunden gearbeitet werden musste oder andere Arbeitsschutzgesetze gebrochen wurden. Ich habe mir da als Österreicherin auch leichter getan, intuitiv zu spüren, was gesetzlich geht oder nicht, und habe das dem Chef auch gesagt, während meine Kollegen aus Angst, den Job zu verlieren, lieber nicht aufgemuckt haben. Aus diesen langen Arbeitszeiten und dem Stress entstehen dann auch diverse gesundheitliche Probleme. Diese Erfahrungen und Beobachtungen aus der Arbeitswelt habe ich in einigen Nebenfiguren von Immerjahn verarbeitet.
Du hast viele Freund_innen in der Kunstszene. Wie erlebst du die oftmals prekären Lebens- und Arbeitssituationen von jungen Künstler_innen?
Das ist ein großes Problem. Es ist unglaublich, wie viel Geld bei Kunstauktionen in nur einer Minute unter den Hammer kommt. Dann gibt es gewisse Institutionen, die sich mit kapitalismuskritischen oder wissenschaftskritischen Themen befassen und alles hinterfragen. Aber sie hinterfragen nicht, dass die Leute, die diese Ausstellungen aufbauen, oft nicht einmal gescheite Arbeitsverträge haben. Da wird dann mit einer Selbstverständlichkeit angenommen, dass es eine Ehre ist, bei einer Ausstellung oder für diesen oder jenen Kunstsammler zu arbeiten. Eine schreckliche Doppelbödigkeit. Man will einerseits reflektiert und innovativ sein, ist dann aber im Prinzip nicht besser als irgendein Oligarch.
Könnte man also sagen, dass künstlerische Arbeit zum Teil auch immer eine Art Selbstausbeutung ist?
Auf jeden Fall. Ich habe ja vor über zehn Jahren zu schreiben begonnen. Anfangs habe ich noch als Journalistin gearbeitet und habe deswegen viel in der Nacht geschrieben. Zu Beginn ist das teilweise gar nicht anders möglich. Außer du bist reich, dann kannst du das Ganze natürlich geruhsamer machen, aber das ist sicher die Ausnahme. Ich glaube auch, ohne den absoluten Willen etwas zu schaffen, kommst du nicht weiter.
Barbara Zeman: Immerjahn
Stille Melancholie
Der Erbe eines Zementfabrikanten, Gotthold Immerjahn, beschließt die wahnwitzige Kunstsammlung seiner Villa der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Weiters bevölkern das Haus noch Ehefrau Katka, Kunstzeitschrift-Redakteur Holm sowie Immerjahns Künstlerfreund Fritzwalter plus dessen Assistentenschar. Doch während der Vorbereitungen für das geplante Museum erfasst die Hauptfigur im Debütroman von Barbara Zeman eine Identitätskrise. Immerjahn mag Experte für Kunstwerke jeder Art sein, als Mensch ist er aber in seinem Leben meistens gescheitert. Barbara Zeman, die früher als Journalistin für Falter, The Gap oder Die Presse tätig war, verbindet in ihrem Debüt Sprachkunst, feinen Humor und Gesellschaftskritik mit der Liebe zur Kunst. Ähnlich wie Zeman selbst, die als Kind durch eine Erkrankung einige Zeit nur mit einem Auge sehen konnte, und dadurch ihren Blick auf die Umwelt geschärft hat, verfügt auch Gotthold Immerjahn über einen besonderen Blick. Deswegen ist Immerjahn ein Buch über das Sehen und über das Bild der Welt, das sich jede_r selbst macht. Zeman entwirft faszinierende Sprachbilder, selbst das Anstecken eines Zündholzes oder andere Alltäglichkeiten werden zum Spektakel. Zusätzlich hat die 37-jährige Burgenländerin kleine, assoziativer Erzählvignetten eingebaut, in denen etwa Christian Diors Das kleine Buch der Mode, die Malerin Paula Modersohn-Becker oder der heute vergessene Bernard Berenson, Autor eines Standardwerks über die Maler der Renaissance, auftauchen. Fazit: Zeman gelingt mit Immerjahn, das teils Familienepos, teils bunte und schillernde Assoziationskette ist, ein starkes Debüt.
Hoffmann & Campe 2019, 288 Seiten, 22,70 Euro