Der Bote als schlechte Nachrichttun & lassen

"Neger raus": SOS Mitmensch widerspricht Institut für Graffiti-Forschung

Soll man die Stadt von den „“Neger raus““-Parolen säubern? Norbert Siegl vom Institut für Graffiti-Forschung (IGF) verneinte in unserer Ausgabe 200 diese Frage mit folgender Begründung: „Über Graffiti kommen gesellschaftlich verdrängte Inhalte zum Vorschein. Eine oberflächliche Zerstörung dieser Inhalte kommt einer Verdrängung des Verdrängten gleich.“ Die Position rief heftigen Widerspruch von Menschenrechts-NGOs und Antirassismus-Initiativen hervor. Hier eine Stellungnahme von Philipp Sonderegger, Sprecher von „SOS Mitmensch„.In der letzen Ausgabe gab der Augustin die Position des Instituts für Graffiti-Forschung (IGF) wieder. Diese richtet sich dagegen, rassistische Graffiti aus dem öffentlichen Raum zu tilgen. Es handle sich dabei um einen unverzichtbaren Indikator für gesellschaftliche Probleme. Das Zulassen der rassistischen Wandparolen sei notwendig, da sie Auskunft darüber gäben, wo es politischen Handlungsbedarf gebe bzw. in welchem Bereich Aufklärung und politisches Gegensteuern notwendig sei. Das IGF behauptet gewissermaßen, rassistische Beschmierungen seien nur der neutrale Bote, der die schlechte Nachricht überbrächte. Diese Einschätzung ist falsch und verharmlost Rassismus, denn hier ist der Bote selbst eine schlechte Nachricht.

Rassistische Parolen sind nicht nur Indikator eines Problems, sondern sie sind selbst eines. Und das in zweierlei Hinsicht. Erstens: Sie sind beleidigende Aggression gegenüber Minderheiten. Es ist vielleicht nicht leicht, sich in die Situation hineinzuversetzen. Aber wenn man ständig mit Anfeindungen und Diskriminierungen konfrontiert ist, wenn man die Forderung eines Regierungspolitikers, 300.000 Menschen abzuschieben, auf sich beziehen muss, dann hat man eine andere Wahrnehmung für Aufrufe wie „N… raus“ oder „Kill N…“, als man es aus der sicheren Position des weißen, männlichen Forschers hat. Weil sich die AdressatInnen dieser Angriffe eben schon in einer strukturell verwundbaren Position befinden, sind wir verpflichtet, die Angesprochenen vor dieser verbalen Gewalt zu schützen. Die österreichische Rechtsordnung tut dies, indem sie mit dem Straftatbestand der Verhetzung (§283) solche „Angriffe auf die Menschenwürde“ unter Strafe stellt. Eigentlich müsste die Polizei gegen solche Parolen vorgehen, doch dazu weiter unten.

Terraingewinne auf der Zeichenebene

Zweitens: Rassistische Beschmierungen müssen auch als Versuch von RassistInnen gewertet werden, auf der Zeichenebene mit ihrem Programm in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen und dafür Akzeptanz zu gewinnen. Eine Gesellschaft, die solche Parolen an Hauswänden und Stammtischen akzeptiert, riskiert die schleichende Legitimierung dieses Programms. Was als richtig, was als falsch gilt, wird ständig neu verhandelt. Dabei reicht die Palette von allgemein akzeptierten über gerade noch tolerierte Aussagen bis hin zu Behauptungen, mit denen man nicht mehr ernst genommen wird. Gestern noch als Minderheitenposition betrachtete Forderungen können sich plötzlich im Mainstream wiederfinden.

Die rassistische Forderung nach Quotierung der SchülerInnen aufgrund ihrer Erstsprache (nicht ihrer tatsächlichen Kenntnisse der Unterrichtssprache), war in den 90ern noch verpönt. Heute wird sie auch von Einrichtungen links der Mitte vertreten. Ist eine Behauptung einmal unsanktioniert aussprechbar, entwickelt sie Vorbildwirkung. Auch wenn wir prinzipiell mit Kritikfähigkeit ausgestattet sind, Menschen orientieren sich an dem, was als gesellschaftlicher Konsens gilt. Rassistische Parolen untätig an Hauswänden stehen zu lassen, ist deshalb unter den Handlungsalternativen keine akzeptable. Sie kreativ zu bearbeiten – „N… raus“ lässt sich mit acht Strichen in „Norweger voraus“ umwandeln – ist die sympathischste Option. Allerdings gerät sie mit dem Strafrecht in Konflikt und kann deshalb nicht als Regelvariante empfohlen werden. Bleibt also die Forderung, wie auch wir sie mit der Kampagne „Rassismus streichen“ erheben: Die öffentliche Hand soll für die rasche Entfernung aufkommen. Dabei haben wir uns einer vorhergehenden Dokumentation der Beschmierungen nie verschlossen. Auf die Parolen an der Wand angewiesen, um Rassismus in der Gesellschaft zu konstatieren, sind wir nicht, wie das Institut für Graffiti-Forschung argumentiert.

Rassismus etwas Falsches?

Wie wichtig es wäre, Rassismus klar und deutlich zu ächten, zeigt die Wiener Polizei. Rassistische Beschmierungen, wie wir sie tagtäglich sehen, sind ein „Offizialdelikt“. JedeR der rund 8.000 Wiener PolizistInnen, die/der eine rassistische Parole bemerkt, muss von sich aus eine Anzeige schreiben. Doch im Sicherheitsbericht des Jahres 2005 finden sich ganze 35 verhetzende bzw. wiederbetätigende Schmier- und Klebeaktionen. Während mit der Kampagne „Rassismus streichen“ bereits nach einem halben Jahr 500 Fälle zur Anzeige gebracht werden konnten und das Institut für Graffiti-Forschung nach eigenen Angaben in den letzen Jahren mehrere tausend dokumentiert hat. Schon daraus muss man schließen, dass für die Wiener Polizei Rassismus ein irrelevantes Problem ist.

Sieht man genauer hin, bestätigt sich dieser Eindruck: Der Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl hat sich immer hinter BeamtInnen gestellt, die in rassistische Übergriffe verwickelt waren. Die PolizistInnen, die in den Tod von Seibane Wague involviert waren, sind genauso noch im Dienst von „Sicherheit und Hilfe“ wie die Peiniger von Bakary J. Hier soll kein vereinfachendes „Auf das Wort folgt die Tat“ propagiert werden. Aber warum soll einE PolizistIn, die eineN AfrikanerIn rassistisch beamtshandelt, glauben, etwas wirklich Falsches zu tun, wenn er/sie im Fall der Beschmierungen tagtäglich erlebt, dass Rassismus als Delikt nicht geahndet wird.

Auch wenn Parolen an der Wand nicht das gleiche Maß an direkter Gewalt beinhalten wie ein Faustschlag. Die konsequente Ahndung aller rassistischen Straftaten ist eine wichtige Präventionsmaßnahme. Die systematische Ächtung dieser Delikte macht klar, dass Rassismus nicht einfache eine Meinung ist, die neben anderen steht. Diesen Konsens sollten wir nicht verlassen.

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