Der Comeback-Club ins freie Lebentun & lassen

Foto: © Jana Madzigon

Der Wiener Verein Phönix trainiert Inhaftierte im Basketball. Was hat das mit Resozialisierung zu tun und warum ist dabei der perfekte Wurf in den Korb gar nicht so wichtig? Ein Lokalaugenschein.

Breitbeinig stehen sich zwei Männer auf dem roten Kunststoffbelag gegenüber. Einer in schwarz, der andere mit einer gelben Weste. Sie wippen angespannt hin und her. Schwarz trippelt einen Basketball von links nach rechts, nach links, nach rechts. Überraschend macht Gelb einen Ausfallsschritt, nimmt seinem Gegenüber den Ball ab und startet damit in Richtung Korb. Im Sprung versucht er einen Wurf, verfehlt sein Ziel. Kaum hat der Ball aber den Boden berührt, ist Schwarz zur Stelle, fängt den Ball ab und manövriert ihn gekonnt, ebenfalls aus dem Sprung, in den Basketballkorb.
Was aussieht wie ein Spiel zweier gegnerischer Freizeitteams, ist in Wirklichkeit eine Resozialisierungsmaßnahme, gefördert von der Justiz. Hier geht es nicht um Konkurrenz, ­sondern um Teamgeist. Wofür aber ein privater Verein die Arbeit des Justizstrafvollzugs ergänzt, das erfährt man hier am Sportplatz in der Wiener Josefstadt.

Viereinhalb Jahre Haft

Bevor aber das Rennen um den Ball beginnt, startet das ­Programm an einem sonnigen Dienstagnachmittag mit Aufwärmübungen. Am ­Rande des Sportplatzes wird der Hampelmann gemacht, alles Mögliche gedehnt und Liegestütz trainiert. Im Kreis ­mühen sich sieben Männer und eine Frau ab. Die Teilnehmenden sind Teil des Comeback-Club, einem Angebot des Vereins Phönix – Training For Life für Freigänger:innen und ehemals Inhaftierte. Jede Woche wird gemeinsam am Sportplatz trainiert. Seit drei Monaten ist auch Leo dabei. Auf Geheiß der Justiz darf er, jede Woche nach seiner Arbeit hinter Gitter, zum Training fahren. «Berichten Sie bitte der ganzen Welt, wie toll diese Leute sind!» Der Mann im Ruderleiberl, Mitte 40, ist der ­größte Fan seiner Gegner:innen am Spielfeld. In Leos Leben ist etwas schiefgelaufen, gehörig schief. Was genau, ist unbekannt. Bekannt ist nur, dass es ihm eine ­Haftstrafe von viereinhalb Jahren eingebracht hat. Und das hat ihm den ­Boden unter den Füßen weggezogen, im besten Fall nur ihm. «Ja, ich hab einen Fehler gemacht, das ist mir klar.» Der Mann hat mittlerweile 18 Monate im Gefängnis verbracht, in der Justizanstalt Wien-Simmering. Wegen guter Führung ­müsse er zum Glück nur zwei Drittel seiner ­Strafe absitzen. Weitere eineinhalb Jahre stehen ihm noch bevor.

Soziales und sportliches Lernen

Wie aber kommt Leo, der ja eigentlich im Gefäng­nis sitzt, auf den Sportplatz in die Wiener ­Josefstadt? Hier kommen seine Basketball-Gegner:innen ins Spiel. Einer von ­ihnen ist Dominik ­Bachmeier. Er und ­seine Kolleg:innen haben Leo rausgeholt – zumindest vorübergehend. ­Bachmeier ist Sozialarbeiter und Sportpädagoge. Er ist auch Mitbegründer vom Verein Phönix , der den Comeback-Club betreibt. «Wir unterstützen Menschen in Haft durch den Einsatz von Sport als Mittel zur Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft», erklärt Bachmeier. «Unsere Vision ist eine Gesellschaft, in der für straffällig ­gewordene Menschen das Tor zu einem besseren Leben in Gemeinschaft einen Spalt weit offen bleibt.» Phönix bietet ausgewählten Inhaftierten die Möglichkeit, zehn Wochen an einem Basketballtraining hinter Gittern teilzunehmen. Justizanstalten bestimmen für das Programm ­geeignete Inhaftierte. Ausgewählt werden Menschen, die wenige Monate vor ihrer Entlassung stehen, keine Disziplinarstrafen im Gefängnis haben, in Gruppen rücksichtsvoll agieren und die nach der Haft weiter in Österreich leben werden. Beim Basketball-Training gehe es aber weniger darum, den perfekten Dunk, also ­einen Treffer in den Korb, hinzulegen. Ziel sei eher «ein soziales und sportliches ­Lernen», wie es Bachmeier nennt. Jede der wöchentlichen Einheiten drehe sich um ein inhaltliches Thema, soll zur ­Reflexion anregen. «Dass man am Ende ein richtig gutes Spiel hat und sich auch persönlich weiterentwickeln kann», sieht der Sportpädagoge als Ziel. Mittlerweile hat Phoenix ihr Programm in drei Justizanstalten in Wien und Niederösterreich angeboten.
Als Leo hinter Gitter landete, war er am Boden zerstört. «Der Alltag drinnen ist sehr anstrengend», berichtet er noch vor dem Aufwärmtraining. Man müsse immer schauen, dass man «gerade bleibt». Am meisten fehle ihm seine Familie. Tagsüber arbeite er im Gefängnis in ­einem Unternehmerbetrieb. Firmen von draußen geben Aufträge an Justizanstalten, welche die Inhaftierten abarbeiten. «Mal verpacken wir Thunfischdosen, mal machen wir Tee. Was so anfällt.» Aber Leo und seine Kollegen in Haft würden «oft nur zwei Tage die Woche arbeiten», wie er sagt. Es fehle immer an Aufträgen. Dem Gesetz folgend ist die Arbeit im Gefängnis, genauso wie der Sport, ein Mittel zur Resozialisierung. Die Arbeit ist allerdings verpflichtend und schlecht bezahlt.

Resozialisierung?

«Die Strafgefangenen sind zu einer sinnvollen Verwendung ihrer Freizeit anzuhalten und dabei erforderlichenfalls anzuleiten. Zu diesem Zweck ist ihnen insbesondere Gelegenheit zum Lesen, zur Teilnahme am Empfang von Rundfunksendungen und zu sportlicher Betätigung zu geben», heißt es in Paragraph 58 des Strafvollzugsgesetzes. Zwar ist der Fernseher in Haft noch immer das Mittel der Wahl, aber rein theoretisch gäbe es auf den anstaltseigenen Sportplätzen für Inhaftierte die Möglichkeit, einmal in der Woche Sport zu treiben.
Sina Bründler, eine Sprecherin des Justizministeriums, bestätigt auf ­Anfrage überschwänglich: «Natürlich gibt es in jeder Justizanstalt – und ich kenne viele von ihnen! – unterschiedliche ­Fitnessräume, Sporthallen et cetera», dort würden «diverse Sportmöglichkeiten» angeboten werden, so Bründler. Dass diese aber zum Leidwesen der Inhaftierten häufig unzugänglich sind, wie es (ehemals) ­Inhaftierte dem Augustin immer wieder berichten, könne sie nicht bestätigen. Dazu gäbe es keine Erhebungen. Sie wisse nur, dass es auf vielen Stationen in den Gefängnissen auch Fitnessräume gäbe, «da können die Leute auch selbstständig hingehen».
Nichtsdestotrotz dürfte es so mancher Justizanstalt dennoch als sinnvoll erscheinen, Inhaftierten zusätzliche Sportmöglichkeiten anzubieten. Und ein Fehler ist dies ganz sicher nicht. Die sogenannte Resozialisierung in Gefängnissen funktioniert ohnehin nicht übertrieben gut. Statistisch gesehen wird jeder dritte Gefangene vier Jahre nach seiner Freilassung wieder wegen einer Straftat verurteilt. Die Wiederverurteilungsrate nennt man das. Und um die nach unten zu bekommen, ist wahrscheinlich alles besser als eine komplette Isolation von der Gesellschaft, wie es das Gefängnis ja eigentlich zum Ziel hat. Dem überholt anmutenden Gesetz zufolge sind die Verurteilten «von der Außenwelt abzuschließen, sonstigen Beschränkungen ihrer Lebensführung zu unterwerfen und erzieherisch zu beeinflussen».

«Sehr, sehr amazing!»

Und hier kommt Bachmeiers Verein Phönix ins Spiel. «Die Leute reden auch gerne über ihr Leben. Die Reflexion mit uns holt sie aus ihrem Gefängnistrott raus.» Denn die meisten ­haben nicht nur eine Verurteilung hinter sich, sondern seien «auch selbst Opfer geworden, bevor sie zu Tätern wurden». Basketball sei besonders geeignet, «weil es zu Beginn ein verletzungsarmer Sport ist und die ­Leute eine gute Lernkurve erleben können». Das sei wichtig für die Motivation. Und die ist zumindest bei Leo vorhanden, sogar bis zum Anschlag, wie es scheint. «Sehr, sehr amazing!» sei es für ihn. «Das wöchentliche Training gibt mir Halt im Leben.»
Jetzt fehlt nur noch die Motivation in der Justiz. Mit dem Verein Phönix kooperieren bisher drei Gefängnisse, 25 ­weitere lassen noch auf sich warten. Dabei wäre noch ausreichend Platz auf dem roten Kunststoffbelag der heimischen Sportstätten.

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