Der Drahtesel als Packeseltun & lassen

Lastenfahrräder und Radanhänger kommen wieder in Mode

Lastenfahrräder waren lange Zeit nur noch bei der Post im großen Stile im Einsatz. Vereinzelt tauchten im Stadtbild noch Eisverkäufer oder Bäcker mit nicht motorisierten Transportvehikeln auf, doch es zeichnet sich eine Wende ab das Fahrrad wird als Lastentransporter und Lastenschlepper wieder entdeckt.In den Niederlanden fahren viele Bobo-Mütter mit diesen Rädern, hier in Wien gilt man als crazy, wenn man damit gesehen wird», schildert Gerda Kolb, Augustin-Mitarbeiterin und Lastenfahrradbesitzerin. Die Geburt ihres Sohnes sei ausschlaggebend dafür gewesen, sich solch ein Vehikel anzuschaffen. In ähnliche Kerbe schlägt auch Stefan Novak vom Radl-Salon aus St. Andrä-Wördern: «Meine Auseinandersetzung mit dem Fahrrad als Transportmittel hat in dem Moment begonnen, als es Familienzuwachs gegeben hat.»

Weder Kolb noch Novak sind Autogegner beide lenken auch Kraftfahrzeuge, aber was sie von Normalos unterscheidet, ist ein sehr rationaler Zugang zum Thema Mobilität, sie haben wenig Scheu davor, eine Vorreiterrolle einzunehmen, und schließlich haben sie zumindest einen entfernten Bezug zu den Niederlanden, der europäischen Fahrrad-Hochburg.

Gerda Kolb wurde über eine holländische Freundin mit dem Lastenrad vertraut gemacht, und Stefan Novak besucht seit gut zwanzig Jahren regelmäßig als Straßentheaterkünstler Holland, wo er in puncto Lastentransport mit dem Fahrrad sozialisiert wurde: «Dort habe ich gesehen, wie Kinder gscheit transportiert werden, u. z. mit einem an der Lenkstange angebrachten Kindersitz. Das bedeutet, das Kind sitzt vor dir und sieht somit alles; es pickt nicht hinten mit dem Gesicht im Rucksack der fahrenden Person.»

Mit dem zweiten Kind musste der Mitbegründer des Radl-Salons die holländische Lenkermethode ad acta legen. Die nächste Phase führte ihn zum Fahrradanhänger, der locker zwei Kindern Platz bietet. Der einspurige aus alten Fahrradteilen zusammengebaute erregte in St. Andrä-Wördern Aufsehen, daher habe er sich auf die Suche gemacht, welche multifunktionalen Anhänger, also nicht nur Kindertransportanhänger, es am Markt gebe und daraus «als gelernter Landschaftsökologe ein Projekt gestrickt». Seine Zielvorgabe für «Radhänger fahren CO2 sparen» lautete: 50 Familien aus der Gemeinde mit geförderten Fahrradanhängern auszustatten. Seitens der Kommunalpolitik empfahl man ihm mit den Worten «Herr Novak, 50 werdenS ned schaffen» das Projektziel bescheidener zu setzen, doch Herr Novak blieb hartnäckig und erreichte die angepeilte Stückzahl. Mit Genugtuung erzählt er von in Radhängern transportierten Goldfischen, Erdbeerbowlen und vor allem vom Anhänger als Einkaufswagen im Supermarkt: «Das Modell mit der Hochdeichsel, d. h. es wird an der Sattelstütze befestigt, kann auch als Handwagen verwendet werden. Leute fahren damit zum Supermarkt, kuppeln ihn ab, schieben ihn an Stelle des Einkaufswagens durchs Geschäft. So spart man sich das mühsame Umklauben, bevor man den Supermarkt verlässt.»

Unausweichlich bleibt die Frage nach dem Fahrkomfort bzw. der Straßenlage des Gespanns Fahrrad plus Hänger. Als Antwort zieht Stefan Novak den Vergleich Autoanhänger heran: «Man muss bedachter fahren, fährt man zu rasant mit einem zweispurigen Hänger in Kurve, kann es ihn ausheben.» In gleichem Atemzuge konstatiert er, dass man mit dem Fahrradanhänger von AutofahrerInnen besser gesehen wird.


«Man muss viel Kommunikationsarbeit leisten»

Auch Lastenfahrräder werden ob ihrer Größe relativ gut gesehen und sind zudem (noch) regelrechte Eyecatcher. Mit «man muss viel Kommunikationsarbeit leisten» umschreibt Gerda Kolb die Tatsache, häufig auf ihr Gefährt aus einer berühmten niederländischen Transportfahrradschmiede angesprochen zu werden. Zwischen weit vorgelagertem Vorderrad und Lenksäule ist eine Holztruhe befestigt, die locker zwei Kindern Platz bietet und mit maximal 50 kg beladen werden darf. Dieses Fahrrad bringt ein stolzes Eigengewicht von 45 kg auf die Waage, lässt sich aber laut Kolb unbeschwerlich in Bewegung setzen und leicht manövrieren. Ihr hätte der Umstieg von Mountainbike auf Citybike mehr zu schaffen gemacht als von Citybike auf Lastenfahrrad. Natürlich habe es auch Nachteile gegenüber einem normalen Fahrrad, so sei das Vorbeischlängeln an

Autos kaum möglich, und oft seien die Radständer für Lastenräder schlichtweg ungeeignet. Darüber hinaus muss bei ihrem Modell noch in Betracht gezogen werden, dass Ersatzteile in Wien nicht erhältlich sind und Spezialwerkzeug für etwaige Reparaturen vonnöten ist.


Zehn Bananenschachteln auf der «Long Joane»

Oskar vom Wiener Lastenradkollektiv (LRK) ist wie Stefan Novak vom Radl-Salon ein Vertreter der Do-it-yourself-Philosophie und baute sich einfach ein atemberaubendes Transportrad. Gut hätte seine «Long Joane» als Requisite in einem der Mad-Max-Streifen getaugt, so brachial und zugleich erhaben wirkt das Gefährt mit einer Länge von zirka drei Meter und einem Fassungsvermögen, das es locker mit dem eines Autos aufnehmen kann: zehn Bananenschachteln!

Das Lastenradkollektiv formierte sich im Jänner dieses Jahres, um die Gratis-Benützung von Lastenrädern und Radanhängern zu ermöglichen. Für ein passables Lastenrad von der Stange müssten schon um die 1500 Euro hingeblättert werden.

Für Mountainbikes, Straßenrenner oder neuerdings auch für Singlespeeds werden von vielen VelozipedistInnen solche und noch viel höhere Summen locker gemacht, aber für ein Lastenrad?!

Deswegen gibt es auch die Leute vom Wiener LRK, die am besten Wege sind, den Lastentransport auf dem Fahrrad respektive mit dem Anhänger salonfähig zu machen. Obendrein liefern sie auch noch fundierte Argumente pro Fahrrad und contra Auto. Für Mabudo vom LRK dreht sich ziemlich viel ums Radfahren, so verdient er sein Geld als Fahrradbote. Er und seine Mitstreiter übersiedeln in letzter Konsequenz auch Wohnungseinrichtungen mit dem Fahrrad. Dazu Mabudo: «Natürlich muss man mit dem Lastenrad öfters fahren, aber für mich überwiegen die Vorteile. Ich besitze keinen Führerschein und müsste mir Fahrer und Auto organisieren. Obendrein kommt mir die Übersiedlung mit Rädern auch viel billiger.» Oskar, zum Zeitpunkt des Interviews gerade dabei, sein Hab und Gut von der alten in die neue Wohnung zu manövrieren, fügt hinzu, «ich wohne in einer zugeparkten Gegend und bin zweimal mit dem Auto gefahren. Das Parkplatzsuchen war Stress pur, mit dem Lastenrad fahre ich direkt vor die Haustür.»

Kühlschrank, Waschmaschine oder großer Teppich mit dem Radl transportiert oft in der Praxis von den Profis erprobt, alles kein Problem. Da tun sich aber dem gemeinen Alltagsradfaherer, also mir, noch zwei Fragen auf: Wie schwierig ist es ein Lastenrad vom Schlage «Long Joane» zu kutschieren? Und wie gehen die Hüter der Straßenverkehrsordnung (StVO) damit um? Meine erste Frage beantwortet Mabudo, wohl gemerkt Fahrradbote, und somit wahrscheinlich gut geübter Radfahrer, überraschend ehrlich: «Die ersten 500 Meter habe ich wie ein Besoffener gewackelt, aber man bekommt sehr schnell den Dreh raus.» Zur StVO antwortet Flo: «Wird eine Breite von 80 Zentimeter überschritten, muss man vom Radweg runter auf die Straße. Hält man sich daran, macht die Polizei auch keine Schwierigkeiten. Das Lastenrad ist aber weiters auch nicht gesetzlich erfasst.»

Es führt kein Weg daran vorbei: Österreich muss in Sachen Fahrradkultur Holland werden. Gelingen könnte dies, gingen die Analysen von Hermann Knoflacher, dem österreichischen Verkehrsexperten schlechthin, in so manche Köpfe hinein. Oskar zitiert sinngemäß Knoflacher: «Würden sich die Leute durchrechnen, was sie pro Monat fürs Auto ausgeben, wüssten viele, dass es sich nicht rentiert. Autos kosten nicht nur extrem viel Geld, sie brauchen auch sehr viel Platz der öffentliche Raum ist zugeparkt.»

INFO

Der Fuhrpark, die Ausleihkonditionen und die Kontaktadresse des LRK auf:

http://lastenradkollektiv.blogsport.de

Der Radl-Salon veranstaltet im Herbst einen Workshop für Lastenfahrradbau und ist auf Fahrradspenden angewiesen. Bevorzugt werden Drahtesel aus Stahlrahmen, an denen der Rost noch nicht allzu stark genagt hat.

Kontakt und weitere Informationen auf:

www.radl-salon.at

Äther-Tipp: Am Montag, dem 12. Juli, bringt Radio Augustin auf Orange 94,0 eine Reportage zu diesem Thema.

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