«Der ehrliche Versuch»vorstadt

Lokalmatador

Michel Fleck managt eine Schule, in der die soziale Herkunft nicht überbewertet wird.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Die Tür zur Direktion steht weit offen. Daher tritt die junge Bewerberin ein und lässt sich auch von anderen Anwesenden nicht irritieren. Sie möchte, sagt sie selbstbewusst, hören, was sie an dieser Schule konkret erwartet.
Sie hat im Studium sehr gut gelernt, die Welt des Michel Fleck wird ihr dennoch neue Perspektiven eröffnen.

Philosophie.

Michel Fleck ist der Direktor einer der größten Schulen Wiens (1100 Schüler_innen und 160 Lehrer_innen), jener in der Anton-Krieger-Gasse in Liesing. Darauf ist aufmerksam zu machen. Denn wäre er ihr zum ersten Mal irgendwo in der Stadt begegnet, die Pädagogin hätte ihn mit vielen Berufen in Verbindung bringen können, von Sport über Kultur bis Soziales. Direktor eines Gymnasiums wäre ihr eher nicht in den Sinn gekommen.
«WMS/RG/ORG» liest sie jetzt die mehrteilige Buchstabenkombination auf dem Briefpapier. Wer in der Schulbürokratie mag wohl solche Abkürzungen erfinden? Eine gute Frage. WMS steht jedenfalls für Wiener Mittelschule.
Direktor Fleck gelingt es schnell, das Rätsel WMS/RG/ORG aufzulösen: «Wir sind keine Hauptschule, die auch Gymnasiast_innen aufnimmt. Wir sind der ehrliche Versuch, als Gymnasium Kinder aus allen sozialen Schichten zu unterrichten.»
Dass er selbst Pädagoge werden könnte, ist dem Sohn aus dem Favoritner Arbeiter_innenmilieu zum ersten Mal beim Bundesheer in den Sinn gekommen: «Da hat sich ein Rekrut bei mir bedankt, dass ich ihm die Materie so erklären konnte, dass er sie am Ende auch verstanden hat.»
Der heute 47-Jährige ist kein Fan des Wehrdienstes. Er hat ihn nach seiner Matura dennoch abgeleistet: «Ich war damals jung und dumm. Ich hab’ wirklich geglaubt, dass es die Gewissenskommission noch gibt.» Diese Kommission war kurz zuvor abgeschafft worden. Sie hatte Generationen von jungen Männern den Zugang zum Zivildienst verwehrt.
Dennoch verdankt Michel Fleck dem Heer noch eine Erkenntnis, die ihn heute in seinem Tun beeinflusst: «Wir waren vierundzwanzig in einem Schlafsaal, und ich habe damals zum ersten Mal mitbekommen, welche unterschiedlichen Typen in diesem Land leben.»
Was der Sohn eines gelernten Wiener Tapezierers und einer Bürokauffrau aus Ungarn auch bemerkt hat: «Ich konnte mit den Schmuddelkindern genauso gut wie mit den Kindern aus den geschnupften Familien.»

Physik.

Seit mittlerweile sieben Jahren leitet Michel Fleck den Schulversuch im Süden von Wien, der bereits 1974 gestartet wurde und somit gleich alt ist wie der aktuelle Direktor.
Dessen Augen leuchten, wenn er jetzt über sein Credo spricht: «Man benötigt für die schlechtesten Schüler_innen die besten Lehrer_innen, darf dabei aber auch die Begabten nicht aus den Augen verlieren. Ich bin daher sehr dankbar, dass ich mit so vielen ambitionierten Kolleg_innen arbeiten darf.»
Nur die sehr Guten zu unterrichten, sei ein Kinderspiel, weiß der Schulleiter, der selbst eine siebente Klasse in Physik unterrichtet. Er erklärt das auch all jenen, die sich bei ihm bewerben: «Sie sind dort am meisten gefragt, wo es gilt, Konflikte zu lösen. Das kann manchmal auch mühsam sein.»
Schön sei es, wenn es gelingt, junge Menschen zu schulischen Erfolgen zu führen. Ihr Selbstbewusstsein werde dadurch gestärkt – und nicht zuletzt ihre Chance für den weiteren Werdegang. Er selbst verdankt seine berufliche Karriere der aufmerksamen Lehrerin einer Volksschule auf dem Wienerberg: «Sie hat meinen Eltern geraten, mich in einem Gymnasium einzuschreiben. Mir persönlich war das als Kind egal.»
Manchmal müsse man allerdings auch mit hochemotionalen Rückschlägen fertig werden: «Wenn etwa ein Mädchen bei uns über mehrere Jahre zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit herangereift ist, wenn sie dann ihre traditionell religiös eingestellten Eltern gegen ihren Willen aus der Schule nehmen, dann trage ich meine Sorgen auch mit nach Hause.»
Emotionalen Ausgleich findet der Pädagoge in seiner Familie (seine Frau ist Kindergärtnerin, die gemeinsamen drei Kinder sind inzwischen erwachsen). Und auch beim Sport: Michel Fleck spielt aktiv Baseball und einmal pro Monat mit anderen Schuldirektoren Fußball.

Mathematik.

Die junge Bewerberin ist angetan vom soeben Gehörten. Dabei behält der Direktor seinen Trumpf bis zum Schluss in der Hand. Er sei nicht unbedingt ein Freund der Zentralmatura, leitet er ein. Und doch haben diese Testungen, die für alle Maturant_innen gleich schwierig sind, das Experiment in Liesing nachträglich bestätigt: «Es zeigt sich im direkten Vergleich, dass unsere Schule gleich gut abschneidet wie die klassischen Gym­nasien.»

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